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Gesucht. In Sachsen-Anhalt gibt es eine besonders große Unterdeckung des Lehrkräftebedarfs, ebenso in Mecklenburg-Vorpommern.

© Patrick Seeger/picture alliance/dpa

Neue Prognose der Länder: Bundesweit fehlen tausende Lehrkräfte

Die Kultusminister präsentieren ihre lang erwarteten Zahlen - und stellen ihre Zuverlässigkeit gleich wieder infrage.

In den kommenden Jahren werden jährlich bundesweit tausende Lehrkräfte fehlen – davon geht jetzt auch die Kultusministerkonferenz (KMK) mit ihren offiziellen Zahlen aus. Die KMK veröffentlichte am Donnerstag ihre seit langem erwartete Prognose, wie viele Lehrerinnen und Lehrer künftig gebraucht werden.

Demnach fehlen allein in diesem Jahr 11.500 neue Lehrkräfte, ein Viertel des Bedarfs an Neueinstellungen kann damit nicht gedeckt werden. Für die beiden kommenden Jahren geht die Prognose von jeweils mehr als 3000 fehlenden Lehrkräften aus. KMK-Präsident Helmut Holter (Linke) betonte erneut den „akuten Handlungsbedarf“ für alle Länder. Gleichzeitig räumte er aber ein, dass die Zahlen nur bedingt aussagekräftig sind, weil die Länder ihre Daten unterschiedlich erheben. Das soll nun anders werden. "Es soll Vergleichbarkeit erzeugt werden", kündigte Holter am Abend an. Zudem solle der Bedarf künftig jährlich erhoben werden.

Schon jetzt ist der Lehrermangel dramatisch spürbar

Laut der Prognose müssen bundesweit bis 2030 jährlich im Schnitt 31.900 Lehrkräfte neu eingestellt werden. Das sind pro Jahr 9700 mehr als die KMK noch vor drei Jahren dachte – der Bedarf ist also um ein Drittel gewachsen. Dem stehen im kommenden Jahrzehnt im Schnitt aber nur 31.200 Absolventinnen und Absolventen gegenüber, es fehlen also auch langfristig Hunderte im Jahr. Dass die Kultusminister ihre Prognose korrigieren müssen, ist seit langem klar: Weil mehr Kinder geboren werden und viele junge Menschen nach Deutschland einwandern, werden die Schülerzahlen viel höher liegen als noch vor einigen Jahren gedacht. Zudem stehen viele Lehrer vor der Pensionierung.

Schon jetzt ist der Lehrkräftemangel in vielen Ländern dramatisch spürbar. Insbesondere in den kommenden Jahren wird der Mangel anhalten, auch wenn sich dieser laut der Prognose abschwächt. Erst ab 2023 könnte sich die Lage entspannen: Dann soll es sogar im bundesweiten Schnitt wieder einen Überschuss an Absolventen geben. Vielerorts wird die Lücke dennoch groß bleiben.

Lehrkräftebedarf in Deutschland.
Lehrkräftebedarf in Deutschland.

© Tsp/Böttcher

4000 Gymnasiallehrer mehr als benötigt

Je nach Land und Schulform sieht die Situation ohnehin ganz unterschiedlich aus. Vor allem in den Grundschulen und Berufsschulen werden Lehrkräfte fehlen, in den Grundschulen bis 2023 mehr als 2000 pro Jahr. Anders sieht es dagegen für die Gymnasien aus: Das ist die einzige Schulform, für die die KMK dauerhaft ein Überangebot prognostiziert. Im Schnitt werden hier pro Jahr 4000 Gymnasiallehrer mehr auf den Markt kommen als in den Schulen benötigt werden. Marlis Tepe, die Vorsitzende der GEW, fordert daher, alle Länder müssten in Zukunft - wie Berlin - Grundschullehrerinnen und -lehrer genauso wie die Kolleginnen und Kollegen an Gymnasien bezahlen, um das Primarschullehramt attraktiver zu machen.

Besonders spitzt sich die Lage in den ostdeutschen Ländern und in Berlin zu – also in den Regionen, in denen die Schulen schon jetzt stark unter dem Lehrermangel leiden. Im Osten wird eine Unterdeckung des Lehrerbedarfs von durchschnittlich 21,6 Prozent vorhergesagt. „Sofern bei den zukünftigen Studienbewerbern kein größeres Interesse am Lehrerberuf geweckt werden kann, wird sich in den ostdeutschen Ländern die Mangelsituation auf dem Lehrerarbeitsmarkt noch verstärken“, warnt die KMK.

Stipendien für den "Quermaster"

Berlin hat inzwischen einige Anstrengungen unternommen, um „Interesse zu wecken“ – darunter zuletzt ein Stipendium für Hochschulabsolventen, die bereit sind, in ein Lehramtsmasterstudium zu wechseln. Zudem wurden die Studienplätze für die Lehrämter ausgebaut. Die Gefahr, dass die dann zusätzlich ausgebildeten Lehrkräfte in ein paar Jahren auf der Straße stehen, ist eher gering, weil die KMK für Berlin einen langfristigen Mangel prognostiziert: Wie Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen wird Berlin es bis 2030 nicht schaffen, den Lehrermangel aus eigener Kraft zu beseitigen, sofern sie künftig nicht energischer gegensteuern. Für Sachsen lagen nur unvollständige Zahlen vor, aber auch hier steht fest, dass die Lehrer nicht reichen werden, weshalb Sachsen sich in diesem Jahr entschieden hat, seine Lehrer zu verbeamten. Die Neuregelung tritt 2019 in Kraft.

GEW fordert noch mehr Studienplätze

Am Beispiel der Berliner Zahlen wird deutlich, dass sich der Bedarf auch langfristig sehr nach Schulform unterscheidet. So fehlen in Berlin jährlich im Schnitt 400 Grundschullehrer: Selbst für 2030 wird noch eine Unterdeckung von 350 Stellen erwartet. Ähnliches gilt für die Klassen 7 bis 10, wo der Mangel noch höher und zwar bei jährlich rund 600 Lehrkräften liegen wird. Gleichzeitig steuert Berlin aber auf einen Überschuss bei den Lehrern der Oberstufen an Gymnasien zu, wo sich das jetzige Überangebot von rund 300 Lehrkräften auf fast 1200 pro Jahr steigern wird. Die Oberstufenlehrer müssen die Lücken an Grund-, Sonder- und Berufsschulen also füllen, wenn Berlin nicht langfristig auf Quereinsteiger angewiesen bleiben soll.

Die Berliner GEW mahnte im Hinblick auf die Zahlen, Scheeres müsse „der Realität ins Auge blicken und die Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen weiter erhöhen“.

Auf die Quereinsteiger kommt es an

Berlin habe ein „gutes Konzept“ für die Qualifikation der Quereinsteiger vorgelegt, betonte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Dieses Konzept müsse nun im Hinblick auf die Lehrkräfte, die kein Fach der Berliner Schule studiert haben – die sogenannten Seiteneinsteiger oder auch "Lehrer ohne volle Lehrbefähigung" (LovL) - , weiterentwickelt werden. "Es ist wichtig, dass sich jetzt auch andere Länder auf den Weg machen und von Berliner und anderen Erfahrungen lernen!", twitterte Dirk Zorn von der Bertelsmann-Stiftung.

Zorn und Bildungsforscher Klaus Klemm hatten für die Bertelsmann-Stiftung im Januar ebenfalls eine Prognose zum Lehrerbedarf vorgelegt, sich dabei aber auf die Grundschulen beschränkt. Prognose wurde durch die KMK-Zahlen "eindrucksvoll bestätigt", wie Zorn im Vergleich feststellte. Allerdings gab er zu bedenken, dass die KMK für die Jahre ab 2021 "nach wie vor von zu geringen Schülerzahlen ausgeht". Klemm und er hätten einen Bedarf von jährlich 2000 Lehrern mehr als die KMK berechnet. Auch diese Diskrepanz spricht für Holters Forderung, die Bedarfsfeststellung auf KMK-Ebene künftig zu verbessern, um die Validität zu erhöhen.

Bayern fehlen Lehrer - wegen der Rückkehr zu G9

Auffällig ist, dass von den westdeutschen Ländern ausgerechnet Bayern auf einen Mangel zusteuert – obwohl dort bislang kaum Klagen über zu wenig Lehrkräfte zu hören waren. Ab 2025 werden aber jährlich zwischen 1500 und 2500 Lehrer zu wenig zur Verfügung stehen. Das bayrische Kultusministerium erklärt die drohende Lücke mit der Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums. 2025 sei das Jahr, in dem zu ersten Mal wieder ein 13. Schuljahr angeboten wird. Allerdings hat Bayern noch Zeit, bis dahin gegenzusteuern - anders als Berlin und die meisten anderen Bundesländer, deren Bedarf schon jetzt größer ist als die Zahl der Hochschulabsolventen und Referendare.

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