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Tumoren "besänftigen" die Immunabwehr und wiegen sie in trügerische Ruhe.

© Mauritius

Neue Krebstherapie: Weckruf für das Immunsystem

Tumoren unterdrücken die Körperabwehr. Mit speziellen Wirkstoffen kann diese Strategie durchkreuzt und der Krebs bekämpft werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Es wäre schön, wenn man sein Immunsystem auf einfache Weise stärken könnte. Kein Krankheitserreger könnte einem mehr etwas anhaben, Schnupfen adieu! Dass das in der Praxis nicht funktioniert, hat einen guten Grund. Das Immunsystem hält sich selbst in Schach. Ein fein austariertes Gleichgewicht sorgt dafür, dass die Abwehrzellen wachsam sind, aber nicht über die Stränge schlagen. Dagegen würde eine hyperaktive Körperpolizei sich über kurz oder lang auch gegen den eigenen Organismus richten. Ein starkes Immunsystem ist ein zweischneidiges Schwert.

Im Netz der Immunabwehr sind an etlichen Stellen Knoten eingewebt. Sie sind Stoppsignale und bremsen bei Bedarf die Abwehrzellen. Leider machen sich Krebszellen häufig diese wissenschaftlich als Checkpoints bezeichneten Kontrollpunkte zunutze. Damit gelingt es ihnen, den Fängen des Immunsystems zu entkommen. Ein typischer Checkpoint ist ein in die Zellhülle einer Abwehrzelle eingelassenes Empfängermolekül. Wie Schlüssel zum Schlüsselloch hat die Krebszelle häufig das passende Pendant zum Empfängermolekül parat. Damit geht die Schranke am Checkpoint herunter, die Abwehrzelle wird ausgebremst.

Selbst fortgeschrittener Hautkrebs kann zurückgedrängt werden

Wie wäre es, wenn man einen solchen Checkpoint ausschalten würde? Der Erste, der diese Idee in die Tat umsetzte, war der Immunforscher James Allison vom M.-D.-Anderson-Krebszentrum der Universität Texas in Houston. Allisons Forschung ebnete den Weg für den Wirkstoff Ipilimumab. Der blockt das Checkpoint- Molekül CTLA-4, das auf speziellen weißen Blutkörperchen sitzt – den T-Zellen.

Das 2011 in den USA und inzwischen weltweit zugelassene Ipilimumab wird vor allem beim fortgeschrittenen schwarzen Hautkrebs, dem Melanom, eingesetzt und kann den Tumor in vielen Fällen langfristig, also für etliche Jahre, zurückdrängen. Inzwischen wird Allison mit Ehrungen überhäuft, im März bekommt er in Frankfurt am Main den Paul-Ehrlich-Preis. Pharmakonzerne stehen vor seinem Labor Schlange, um von seinem Wissen zu profitieren.

Seit Allisons Durchbruch hat es eine wahre Lawine weiterer Entdeckungen und Entwicklungen gegeben. Checkpoint-Kontrolle kann zu einer neuen Säule der Krebsbehandlung werden. Es ist eine indirekte Therapie, eine Art Heilung durch die Hintertür. Wird doch der Krebs nicht frontal attackiert, sondern das körpereigene Immunsystem aus seinem Schlaf geholt.

Fast jede Art von Tumor spricht auf die Behandlung an

Im Mittelpunkt stehen inzwischen Medikamente, die einen weiteren Checkpoint mit Namen PD-1 blockieren. Dieser Ansatz ist offenbar deutlich erfolgreicher als die Hemmung von CTLA-4. Die als Nebenwirkung auftretenden Entzündungen sind zwar ernst zu nehmen – immerhin werden mit den T-Zellen die Kampfhunde des Immunsystems von der Leine gelassen –, aber weniger schwer und meist vorübergehend. Am erstaunlichsten ist jedoch, dass fast jede Krebsart im Prinzip auf die Behandlung anspricht, wie Ulrich Keilholz berichtet, Leiter des Krebszentrums der Charité. „Bei 20 bis 40 Prozent der Patienten schlägt die Therapie an“, schätzt Keilholz.

Mit Nivolumab und Pembrolizumab warten zwei Anti-PD-1-Wirkstoffe in Europa auf die Zulassung, sechs weitere werden erprobt. Doch das ist längst nicht alles. Die Liste der Checkpoints ist lang, entsprechend vielfältig sind die therapeutischen Möglichkeiten. Und die gemeinsame Gabe von zwei Präparaten, etwa gegen CTLA-4 und PD-1, kann die Erfolgsrate drastisch erhöhen. Auch die Kombination mit anderen Krebstherapien ist denkbar. Noch ist kein endgültiges Urteil möglich, noch ist nicht abschätzbar, wie die „gigantische Entwicklung“ weitergehen wird, die der Krebsmediziner Keilholz beobachtet hat. Aber es sieht ganz danach aus, als ob die jahrzehntelange Erforschung des Immunsystems Früchte trägt, als ob nach so manchem Irr- und Umweg der Immuntherapie eine Tür in die Zukunft weit aufgestoßen wurde. Endlich.

Bleibt noch die leidige Kostenfrage. Bisher kosten die neuen immunstärkenden Medikamente sehr viel Geld. Eine Hautkrebs-Behandlung mit Ipilimumab etwa summiert sich auf rund 120 000 Euro. Sollte die Therapie Schule machen und sich auch bei häufigen Krebsarten bewähren, dann müssen die Preise deutlich sinken. Der Fortschritt muss bezahlbar bleiben.

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