zum Hauptinhalt
Neu gepflanzter Wald nimmt in der Wachstumsphase viel Kohlendioxid aus der Luft auf und speichert es als Biomasse.

© dpa/ZB

Negative Emissionen: Rückrufaktionen für Treibhausgas

Um das Klima zu schützen, wird der Luft Kohlendioxid entzogen werden müssen. Verschiedene Verfahren lassen sich kombinieren.

Auch das ambitionierteste Sparprogramm für Emissionen von Treibhausgasen könnte nicht reichen. „Um die Erwärmung des Erdklimas auf zwei oder sogar 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müssen wir zusätzlich rund fünf bis 15 Prozent unseres heutigen jährlichen Kohlendioxidausstoßes wieder aus der Luft holen und langfristig deponieren“, erklärt Andreas Oschlies. Der Naturwissenschaftler untersucht am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) in Kiel die „Climate Engineering“ genannten Möglichkeiten der Beeinflussung des Klimas.

Jedes Jahr wächst die Weltbevölkerung derzeit um rund 78 Millionen Menschen. Sie brauchen zusätzlich Energie und Produkte. Zudem kann etwa bei der Herstellung von Zement, in der Landwirtschaft, im Flug- und Schwerlastverkehr und der Müllverbrennung der Kohlendioxidausstoß nur zum Teil gesenkt werden.

„Auch wenn technisch, politisch und gesellschaftlich der Wandel so schnell und gut wie möglich klappt, würde Deutschland nach unseren Modell-Rechnungen zur Mitte des 21. Jahrhunderts jährlich noch mit 30 bis 70 Millionen Tonnen Kohlendioxid über dem Null-Emissionsziel liegen“, sagt Oschlies.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Aufforstung in großem Stil

Da ohne Klimaneutralität bis 2050 selbst das Zwei-Grad-Ziel voraussichtlich verfehlt würde, müsste bis dahin jährlich zumindest diese Menge Kohlendioxid wieder aus der Luft geholt werden. In vielen anderen Ländern der Welt sieht die Situation ähnlich aus.

Es gibt natürliche Optionen, Renaturieren von Feuchtgebieten und Aufforsten etwa. „Selbst wenn wir alle sinnvollen Möglichkeiten nutzen, um trockengelegte Moore wieder zu vernässen und möglichst viele Flächen wieder aufzuforsten, lässt sich damit allenfalls ein Viertel der benötigten Kohlendioxidmengen aus der Luft holen“, so Oschlies.

[Lesen Sie auf Tagesspiegel Plus „Dann schlagen wir die Tür zum 1,5-Grad-Ziel unwiderruflich zu“, ein Interview mit dem vormaligen Vorsitzenden der IPCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz]

Und die Rechnung sei noch optimistisch, sagt Pierre Ibisch von der Eberswalder Hochschule für Nachhaltige Entwicklung. Wälder etwa würden in Zukunft bei sich häufenden Wetterextremen wie langen Dürreperioden wahrscheinlich weniger Kohlendioxid als heute binden. „Am besten wäre es, wenn nach Waldbränden und Dürren das Totholz auf den Kahlflächen bleibt und der Wald sich aus eigener Kraft regeneriert“, erklärt Ibisch. Zwar würde das Totholz mit der Zeit abgebaut und dabei Kohlendioxid freigesetzt. Doch es verbessere den Wasserhaushalt und fördere so das Wachstum neuer Bäume. Kohlenstoff werde so auch in tiefere Bodenschichten geschwemmt und dem Klima-Kreislauf entzogen. Die negative Klimabilanz der Zersetzung des Totholzes werde damit „mehr als kompensiert“.

Aber der Aufforstungsbedarf für Deutschland wäre groß – und weltweit riesig: „Um die globalen Rest-Emissionen im Jahr 2050 aufzunehmen, müssten Flächen von der Größe Russlands aufgeforstet werden“, sagt Oschlies. Das ist wenig realistisch. Zudem würden solch gigantischen Neuwaldgebiete auch mehr Sonnenenergie aufnehmen und Temperaturen lokal sogar erhöhen.

Stauraum für Emissionen unter dem Meer

Eine weitere Möglichkeit wäre Holzkohle aus Pflanzenresten. In Böden eingearbeitet verbessert sie deren Eigenschaften und steigert Erträge. Der enthaltene Kohlenstoff bleibt vielleicht sogar Jahrtausende im Boden. Diese Prozesse würden derzeit intensiv untersucht, so Oschlies. Auch Biokohle dürfte aber „nur einen kleinen Teil der für eine Null-Emission nötigen Kohlendioxid-Mengen aus der Luft holen können.“

Die gewaltige Lücke bei den zu entsorgenden Kohlendioxid-Mengen könnte eine „Direct Air Capture“ (DAC) genannte Methode schließen. Dabei wir Kohlendioxid direkt aus der Luft gefiltert. Diese Methode funktioniert bei Rauchgasen und für Zementwerke gut, verbraucht allerdings beim Abscheiden aus normaler Luft wegen der geringeren Kohlendioxid-Konzentrationen sehr viel Energie und ist daher auch teuer.

Erfahrungsgemäß werden solche Verfahren aber mit neuen Entwicklungen preiswerter. Dann könnte das konzentrierte Kohlendioxid verflüssigt und in leergepumpte Erdgaslagerstätten oder porösen Sandstein tief unter der Erde verpresst werden. „In Norwegen wird dieses Verfahren bereits seit Jahrzehnten betrieben und das Land hat jüngst angeboten, auch in Deutschland anfallendes Kohlendioxid zu speichern“, erklärt Oschlies.

Deutschland könnte das Verfahren auch selbst anwenden. Das Verpressen an Land wäre gesellschaftlich wohl kaum akzeptiert. Aber unter der Nordsee gibt es genug Platz für das Kohlendioxid, das in Europa aus der Luft geholt werden müsste. Die Niederlande, Großbritannien und Dänemark erschließen diese Methode daher bereits.

Und sollte in wahrscheinlich sehr seltenen Fällen das Gas wieder austreten, sind die Risiken gering: Als bei einem Experiment große Gasflaschen mit Kohlendioxid in 50 Metern Tiefe in der Nordsee geöffnet wurden, wurde das Gas vollständig vom Wasser aufgenommen.

Elektrolyse und Mangroven

Ein weiterer Prozess, der Kohlendioxid aus der Luft holt, ist die Verwitterung. Dieser Prozess hält in der Natur die Kohlendioxid-Konzentrationen seit vielen Jahrmillionen relativ stabil. Die Verwitterung erfordert aber viel Zeit und würde die von der Menschheit in die Luft geblasenen Kohlendioxid-Mengen erst in Jahrtausenden wieder herausholen. Es sei denn, man beschleunigt die natürliche Verwitterung, indem man Basalt oder Kalkgestein fein mahlt und in den Meeren ausstreut. „Für diese beschleunigte Verwitterung kann man auch den bei der Zementherstellung anfallenden Kalkstaub nehmen“, erklärt Oschlies. Dieser Prozess wirkt auch der Versauerung der Meere durch den zunehmenden Kohlendioxid-Gehalt der Luft entgegen.

„Auch könnte mit grünem Strom mit dem Elektrolyse-Verfahren Meerwasser zerlegt werden“, nennt Oschlies eine weitere Methode. Dabei entsteht Wasserstoff, der für die Energiewende in verschiedenen Bereichen dringend benötigt wird, und zum Beispiel Salzsäure. Holt man die Säure aus dem Wasser, geht die Versauerung zurück und das Meer nimmt zusätzlich Kohlendioxid aus der Luft auf.

Zudem könnten in warmen Regionen Mangrovenwälder im flachen Küstengewässern per Pflanzung vergrößert oder wieder angesiedelt werden. Die Pflanzen holen Kohlendioxid aus der Luft und schützen zusätzlich die Küsten. In anderen Regionen könnte man in den flachen Gewässern Seegraswiesen renaturieren. Allerdings sind die Flächen dafür knapp, allenfalls 400.000 Tonnen Kohlendioxid könnten solche Seegraswiesen jährlich an der deutschen Ostseeküste aus der Luft fischen.

Weltweit liegen die Kapazitäten von Seegraswiesen ebenfalls nur bei wenigen Prozent der nötigen Kohlendioxid-Entnahme. In Kombination wären die Ansätze aber effektiv. Auch Salzwiesen, die an den Küsten von Ost- und Nordsee von Naturschutzverbänden mancherorts bereits wieder angelegt wurden, können so zur nötigen Bremsung des Klimawandels beitragen.

Die von Oschlies geleitete Forschungsmission CDRmare (Carbon Dioxide Removal oder Kohlendioxid-Entnahme) untersucht solche Verfahren im und am Meer. Man will hier wissen, wie viel Kohlendioxid mit ihrer Hilfe aufgenommen würde, wie sie die Umwelt im Meer verändern können und welche Nebenwirkungen und Risiken es gibt. „Bei diesen Untersuchungen können sich Methoden natürlich auch als undurchführbar oder zu riskant erweisen“, sagt Oschlies. Auch das werde man dann „rasch kommunizieren, um die sehr knappe Zeit für das Einhalten der Klimaziele so effektiv wie möglich zu nutzen und unsere Schwerpunkte auf andere, vielversprechendere Methoden zu legen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false