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Nicht willkommen. Pegida-Demonstranten am 19.10.2015 in Dresden protestieren gegen den Islam.

© picture alliance / dpa

Nach Gaulands Debakel: Der Fremdenfeind in uns

Xenophobie hat auch biologische Wurzeln. Doch das ist kein Grund, sie zu rechtfertigen oder zu resignieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Neben so einem will keiner wohnen“, soll der AfD-Vizechef Alexander Gauland über den deutschen Nationalspieler Jérôme Boateng gesagt haben. Was folgte, war ein Debakel für den Politiker, der sich nun anhören muss, dass neben ihm, Gauland, keiner wohnen will. Nebulös bleibt, ob Gauland Ausländerfeindlichkeit rechtfertigen oder nur benennen wollte.

Eindeutiger hat sich Boris Johnson geäußert. Der ehemalige Londoner Bürgermeister und prominente Befürworter der britischen Brexit-Kampagne sagte in einem Interview, dass Xenophobie, Fremdenfeindlichkeit, ein Teil der menschlichen Natur ist. Niemandem sei dieses Gefühl fremd.

Steckt der Fremdenfeind insgeheim also in uns allen? Boris Johnson hat mit seiner provokanten Äußerung nicht ganz unrecht. Menschen fühlen sich zuallererst zu Ihresgleichen hingezogen. Zu jenen, die ihnen am ähnlichsten sind. Am stärksten ist diese Verbindung zur Familie, gefolgt von der näheren Umgebung – von Freunden, Nachbarn, Kollegen. Je weiter wir in die soziale Peripherie kommen, desto mehr werden sich die warmherzigen Empfindungen abkühlen, während Vorsicht, Skepsis, Reserviertheit zunehmen. Die Trennung zwischen „wir“ und „ihr“, zwischen Eigenem und Fremdem, ist Teil des menschlichen evolutionären Erbes.

Wer nicht dazu gehört, bekommt wenig Sympathien

In den Hunderttausenden und Millionen von Jahren, in denen der Mensch und seine Vorfahren in Gruppen durch die Savanne streiften, war es vermutlich ein Überlebensvorteil, sich vor allem zu wappnen, was nicht zum eigenen Stamm gehörte. Ob wir es wollen oder nicht: Xenophobie hat seine Ursache auch in den Genen. Ein genaues Gespür dafür, wer „Insider“ und wer „Outsider“ ist, zeichnet nicht nur den Menschen, sondern ebenso die anderen Primaten aus. „Es ist Teil des Primatenerbes, dass man zu einer Gemeinschaft gehört und nicht unbedingt Sympathien für jene hegt, die nicht dazugehören“, sagt der Verhaltensforscher Frans de Waal von der Emory-Universität in Atlanta. Etliche Studien belegen auch am Beispiel des Menschen, wie rasch man dazu tendiert, die soziale Umgebung in Freunde und Fremde einzuteilen, in Gruppen und Parteien, deren Teil man ist oder die man meidet.

Vielen missfällt aus verständlichen Gründen dieser nüchterne Blick auf die menschliche Psyche. Dabei neigen die Kritiker zu zwei Fehlschlüssen. Der erste: Ein Verhalten, das uns in die Wiege gelegt ist, kann per se nicht schlecht sein. Ist Fremdenfeindlichkeit also „gut“? Keineswegs. Die Tatsache, dass eine Neigung im Menschen existiert, heißt nicht, sie zu billigen. Nicht alles, was natürlich ist, ist auch moralisch gutzuheißen. Der zweite Fehlschluss besteht darin, vor einem Charakterzug zu resignieren, weil er in den Genen angelegt ist. Motto: Wenn etwas angeboren ist, kann man es nicht ändern. Die Wirklichkeit ist jedoch komplizierter. Es gibt keinen Automatismus, der von den Genen zur Xenophobie führt, und damit keinen Grund für Fatalismus.

Die Wurzeln der Xenophobie "sind kaum auszurotten"

Die Gene stecken lediglich einen Rahmen ab, sie versehen uns mit Instinkten und Überlebensstrategien. Der Mensch ist kein Sklave seiner Erbanlagen, auch wenn er sich nicht völlig von ihnen freimachen kann. „Moderne Xenophobie ist das Ergebnis komplexer kultureller Phänomene“, hebt der New Yorker Philosoph Massimo Pigliucci hervor. Dabei dürfe man jedoch nicht vergessen, dass ihre Wurzeln in einem biologischen Überlebensmechanismus lägen, der „kaum völlig auszurotten ist“.

„Die Beziehungen zu unseren Nachbarn sind manchmal feindselig, manchmal freundlich, manchmal kooperativ“, sagt de Waal. „Diese Flexibilität sieht man kaum bei anderen Menschenaffen.“ Als Kulturwesen sind wir imstande, von Konflikt auf Kooperation umzuschalten. Der Ökonom Samuel Bowles vom Santa-Fe-Institut nennt als Beispiel die Geschichte Europas. „Vor 500 Jahren bestanden die europäischen Nationen aus hunderten kleiner Fürstentümer.“ Aus dem Flickenteppich wurden die Nationalstaaten und schließlich die Europäische Union. Früher waren die meisten Europäer Ausländer auf dem eigenen Kontinent. Das hat sich tiefgreifend geändert. Als Europäer sind wir alle Insider, als Weltbürger müssen wir es noch werden.

Nachfolger Boris Johnsons als Londoner Bürgermeister ist übrigens der Labour-Politiker Sadiq Khan. Er ist pakistanischer Abstammung – und Muslim.

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