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Studierende mit Mundschutz stehen vor einem Universitätsgelände, einer hält ein Plakat mit der Aufschrift Not my rector hoch.

© Ozan Kose/AFP

Update

Nach erneutem Angriff auf Wissenschaftsfreiheit: Prostest gegen von Erdogan bestellten Uni-Rektor in Istanbul

Erneut flammt in Istanbul Protest gegen das Erdogan-Regime auf. Nach studentischen Protesten an der Bogazici-Uni werden zahlreiche Festnahmen gemeldet.

Nach zahllosen politisch motivierten Entlassungen, Exmatrikulationen und Verhaftungswellen seit 2016 stehen die türkischen Universitäten weiterhin unter starkem politischen Druck. Derzeit protestieren Studierende der renommierten Istanbuler Bogazici-Universität gegen die Ernennung eines neuen Rektors durch Staatschef Recep Tayyip Erdogan.

Die Studentinnen und Studenten versammelten sich am Montag vor den Toren der Universität und riefen "Wir wollen keinen ernannten Rektor" sowie "Er wird gehen, wir bleiben!". Auf Transparenten war zu lesen: "Not my Rector" oder "Der Rektor sollte gewählt und nicht bestellt werden" (in deutscher Übersetzung).

Zahlreiche Festnahmen nach der Demonstration

Der Protest richtet sich gegen den 50-jährigen Melih Bulu, der am Freitag von Erdogan als Leiter der Bogazici-Universität in Istanbul eingesetzt wurde. An den Protesten beteiligten sich zunächst insgesamt rund tausend Menschen. Im Zusammenhang mit den Protesten hat die türkische Polizei Berichten vom Dienstag zufolge 17 Personen festgenommen. Nach elf weiteren Personen werde gefahndet, teilte das Istanbuler Gouverneursamt mit.

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Alle Festgenommenen seien Studierende, darunter Unterstützer von anderen Universitäten, sagte einer der Anwälte, Cagan Yazici. Ihnen würde ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Widerstand gegen Beamte vorgeworfen. Studierende forderten am Dienstag die Freilassung ihrer Kommilitonen, wie auf Videos zu sehen war. Journalisten wurden nicht auf den Campus gelassen, Polizisten sperrten Ein-und Ausgänge ab.

Pressebilder vom Montag zeigen, dass die Sicherheitskräfte am Montag Tränengas, Wasserwerfer und Plastikgeschosse einsetzten, um die Demonstration aufzulösen. Demonstrierende gingen mit erhobenen Fäusten auf Polizisten zu, zerrten an ihren Schutzschilden und Helmen und traten auch gegen die Schilde. Am Dienstag wurden die Proteste ungeachtet der Festnahmen fortgesetzt, für Mittwoch weitere Demonstrationen angekündigt.

Lehrende verteidigen die Wissenschaftsfreiheit

In früheren Jahren wurden die türkischen Hochschulrektoren intern gewählt, aber nach dem Putsch-Versuch von 2016 hatte sich Erdogan den Zugriff auf die Hochschulen gesichert. Bulu gehörte bislang nicht zum Personal der Bogazici-Universität. Er hatte 2015 versucht, mit Hilfe von Erdogans Regierungspartei AKP ein Parlamentsmandat zu erringen.

Studierende erheben ihre Fäuste gegen Polizisten, die mit Helmen und Schilden in einer Reihe vor ihnen stehen.
Konfrontation von Studierenden der Bogazici-Universität mit der Polizei.

© Jason Dean/imago images/ZUMA Wire

Es ist das erste Mal seit 1980, dass der Rektor der englischsprachigen Bogazici-Universität nicht von Universitätsangehörigen selbst bestimmt wurde. Der Lehrkörper verabschiedete eine Erklärung, in der die Berufung Bulus als Verletzung der Wissenschaftsfreiheit und Verstoß gegen die demokratischen Werte der Universität verurteilt werden.

AKP-Sprecher: Politische Identität kein Verbrechen

Die Studierenden kritisieren die Nähe Bulus zur AKP und den Schritt, ihn als Rektor einzusetzen, als undemokratisch. Sie fordern das Recht ein, ihren eigenen Rektor zu wählen. AKP-Sprecher Ömer Celik wies die Vorwürfe am Montagabend zurück und sagte, es sei kein Verbrechen, wenn eine Person eine politische Identität habe.

Im Jahr 2018 wurden mehrere Studierende der Universität festgenommen, weil sie an einer Demonstration gegen eine türkische Militär-Offensive in Syrien teilgenommen hatten. Erdogan beschimpfte sie als "Verräter" und "Terroristen".

Kambiz Ghawami, der Vorsitzende des World University Service Deutschland (WUS Germany), appellierte am Dienstag "an die internationale Scientific Community, die Vorgänge an der Boğaziçi-Universität in Istanbul klar zu verurteilen und ihre Solidarität mit den Lehrenden und Studierenden, die sich für die Autonomie ihrer Universität einsetzen, zu bekunden".

Erdogan sehe in den Hochschulen des Landes "nur angebliche Terroristen, die es zu eliminieren gilt und hierzu sind ihm alle Mittel recht". Ghawami erinnerte daran, dass seit 2016 insgesamt 15 private Hochschulen geschlossen und ihre Vermögenswerte konfisziert worden seien. "Über 6000 Hochschullehrende und 1500 Verwaltungsangestellte an 122 Universitäten wurden ohne Gerichtsbeschluss gefeuert und abertausende Studierende zwangsexmatrikuliert", so Ghawami.

Die Bogazici-Universität blickt auf eine lange Tradition zurück. Sie wurde 1863 unter dem Namen Robert College als erste amerikanische Universität außerhalb der USA gegründet. 1971 wurde sie nach dem Bosporus-Fluss umbenannt, an dem sie im europäischen Teil Istanbuls liegt. (Tsp/dpa/AFP/Reuters)

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