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Die Zahl der Studierenden von Berliner Universitäten, die ins Ausland gehen – wie etwa hier im Bild Harvard – liegt schon wieder auf dem Niveau von Vor-Corona-Zeiten.

© mauritius images / Alamy / Educa

Nach Corona nehmen Auslandsaufenthalte zu: Endlich wieder Austauschsemester

Während Corona ging das Auslandsstudium drastisch zurück. Jetzt machen wieder mehr Studierende ein Austauschjahr – manchmal mit gemischten Gefühlen.

Ein Semester im Ausland. Was vor einigen Monaten noch unerreichbar schien, wird für viele Studierende an Berliner Universitäten und Hochschulen im kommenden Wintersemester wieder Realität. Auch für Julia Schudak. Die 23-Jährige studiert Nachhaltiges Management an der Technischen Universität Berlin. Seit zwei Wochen ist sie in Oslo.

Doch bereits vor den ersten Vorlesungen kommen bei Julia erste Zweifel auf. Die Orientierungsveranstaltungen an ihrer Partneruniversität laufen anders als gedacht: keine Abstände, Menschenmassen und kaum Masken. Sie beschließt, eine dieser Veranstaltungen vorzeitig zu verlassen. „Das war mir zu risky“, sagt sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Der Umgang mit der Pandemie ist hier halt schon ein bisschen anders als in Deutschland.“

Dabei sind es gerade die neuen Bekanntschaften und Eindrücke, die ein Auslandssemester so reizvoll machen. Für Julia ist es sogar ihr erster längerer Aufenthalt in einem anderen Land. Dass sie diesen antreten möchte, war der Studentin klar.

Ohne Maske in der Uni - das fühlt sich seltsam an

Doch in der Universität ohne Maske zu sitzen, fühlt sich für sie komisch an. „Einige Tage später gab es auch Instagram-Posts, dass irgendwelche Leute positiv getestet wurden und empfohlen wird, sich testen zu lassen“, berichtet sie. Aufgrund der Pandemie ihren Aufenthalt abzusagen, kam für Julia jedoch nie infrage.

Unterricht vor dem Laptop, geschlossene Hörsäle und eine Menge Unklarheiten: Die Corona-Semester haben ihre Spuren bei vielen Studierenden hinterlassen. Doch nicht nur die eigene Universität blieb zu. Denn Studieren in Zeiten einer Pandemie bedeutet auch, dass die sonst sehr beliebten Auslandssemester auf Eis gelegt werden mussten. Nun öffnen die Berliner Hochschulen langsam wieder, doch wie steht es um die Auslandsaufenthalte?

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Sarah Knorr bleibt in Berlin. Die Studentin hat ihren Auslandsaufenthalt im kommenden Wintersemester aufgrund der Pandemie abgesagt. Dabei hatte sie ihre Zusage für Washington schon erhalten.

„Die Entscheidung habe ich im April gefällt, als wir noch im Lockdown waren und nicht absehbar war, wie sich das mit der Impfquote entwickelt“, erklärt die 24-jährige Studentin der Internationalen Beziehungen, einem gemeinsamen Studiengang der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität Berlin und der Universität Potsdam.

Verschobene Auslandsaufenthalte

Sie ist erst im Oktober nach Berlin gezogen. Aufgrund der Pandemie konnte Sarah lange Zeit nur wenig Eindrücke vom Leben in der Hauptstadt sammeln, was sich im Sommer nun geändert hat. „Ich würde mich sehr freuen, wenn ich die ein oder andere Veranstaltung wenigstens ab und zu in Präsenz haben könnte“, sagt sie.

Nach Absprache mit den Universitäten kann sie ihren geplanten Aufenthalt um ein Semester verschieben. Sie habe das „relativ unbürokratisch klären können“: „Ich gehe sehr stark davon aus, dass ich auch im Januar hingehen kann.“ Zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung war ihr die Corona-Situation noch zu unsicher – gerade in den USA.

Fragt man bei den Unis nach, geht der Trend in die andere Richtung. Immer mehr Studierende gehen wieder ins Ausland, die Zahlen bewegen sich nahezu auf Vor-Corona-Niveau. Wie eine Sprecherin der FU auf Anfrage berichtet, gingen im Jahr vor Corona 918 Studierende ins Ausland. Im akademischen Jahr 2020/21, als die Pandemie im vollen Gange war, waren es nur 490 – virtuelle Austausche inklusive. Nun treten mindestens 1030 Studierende ab August, September oder Oktober ein Auslandssemester an. Der Bewerbungsprozess für das kommende Sommersemester ist noch nicht abgeschlossen.

Die Zahlen sind schon wieder auf Vor-Corona-Niveau

An der TU kehren die alten Zahlen langsamer zurück, wie eine Sprecherin sagt. Vor Corona, im akademischen Jahr 2019/20, gingen 700 Studierende ins Ausland, davon 340 mit Erasmus-Förderung. Während Corona 275, davon 239 mit der Förderung. Und zum kommenden Jahr mindestens 360, davon 220 mit Erasmus.

Pia Dahmen studiert Jura an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist im sechsten Semester, die meisten Pflichtkurse sind geschafft. Zur Examensvorbereitung – und um einige Kurse außerhalb ihres Schwerpunkts zu belegen – ist die 21-jährige Studentin nach Schottland aufgebrochen. Für sie stand fest, ihren geplanten Auslandsaufenthalt anzunehmen, solange er nicht vonseiten der Universität abgesagt wird. „Corona war immer eher eine Unsicherheit im Hintergrund. Man wusste nie, wie sich alles entwickelt und ob alles funktionieren wird“, sagt sie.

Persönlich hat Pia sich ansonsten eher weniger Gedanken um die Pandemie gemacht. „Viele sind bereits geimpft, ich eben auch. Außerdem kann man auch im Ausland selber kontrollieren, auf welche Veranstaltungen man geht oder eben nicht.“ Sie selbst beschreibt sich als Zweckoptimistin. Dennoch sind die letzten Online-Semester auch an ihr nicht spurlos vorbeigegangen. Sich nach der Uni mit Kommiliton:innen zu treffen, gemeinsam in die Mensa zu gehen oder in der Bibliothek zu lernen: All das hat Pia sehr gefehlt.

Auch internationale Studierende kommen wieder nach Berlin

Insgesamt sind an der HU im kommenden akademischen Jahr bereits 892 Auslandsaufenthalte geplant. Im Jahr zuvor waren es lediglich 641 – und zusätzlich 163, die virtuell „im Ausland“ waren oder abgebrochen haben. Im akademischen Jahr 2019/20, als die Pandemie im Frühjahr ihren Lauf nahm, waren es 737 und 94, die abbrechen mussten oder ins Virtuelle wechselten. „Die Bewerberzahlen sind an der HU im laufenden Jahr und auch für die nächste Mobilitätsrunde eher gestiegen, das Interesse an Auslandsaufenthalten ist also auch unter den Pandemie-Bedingungen gegeben“, resümiert HU-Sprecher Hans-Christoph Keller.

Der Trend bei den Berliner Hochschulen ist klar: Während die Unis wieder öffnen und langsam in den Präsenzunterricht wechseln, nehmen auch die Auslandsaufenthalte der Berliner Studierenden wieder zu. Gleichzeitig kommen wieder mehr internationale Studierende nach Berlin. Die Humboldt-Uni beispielsweise erwartet zum Wintersemester 489 Programmstudierende aus 45 Ländern. An der Freien Universität werden im Wintersemester mehr als 800 Studierende erwartet.

Nicht nur an den Universitäten wird wieder viel gereist. An der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) sind es allein im Wintersemester 226 Gaststudierende, die nach Berlin kommen. Dem gegenüber stehen 299 HWR-Studierende, die ins Ausland gehen werden – im Vergleich zu 119 im vergangenen Jahr und 372 im Wintersemester 2019/20.

Virtuelle Willkommen-Events

Doch während in Norwegen die Einführungsveranstaltungen ohne Abstand und Masken stattfinden, planen die Berliner Hochschulen anders. Willkommens-Events für internationale Studierende sollen grundsätzlich virtuell stattfinden, ist an HU und FU zu hören. An der HWR werden solche Events online stattfinden - in Verbindung mit Campus-Touren, Museumsbesuchen und einer Boots-Tour, wie eine Sprecherin sagt.

Vorlesungen – mit reduzierter Teilnehmer:innenzahl – wollen die Hochschulen „in größtmöglicher Präsenz anbieten“, teilweise aber auch von vornherein in hybriden Formaten oder ganz digital für Großveranstaltungen. Alle Unis betonen: Präsenzangebote wird es geben, wenn es die Umstände erlauben, auf jeden Fall nach der 3-G-Regel für Geimpfte, Genesene und Getestete.

Julia Schudak möchte trotz ihrer Bedenken in Oslo bleiben, selbst wenn sich die Situation verschlechtern sollte. „Jetzt bin ich hier“, sagt sie.

Sie konnte schon erste Kontakte zu Mitstudierenden knüpfen. Sollten die Vorlesungen also wieder nur vor dem Bildschirm stattfinden können, ist sie gewappnet. Julia will ihr ersehntes Auslandssemester – in welcher Form auch immer – durchziehen.

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