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Start in Baikonur am 11.10.2018: Zwei Minuten später musste der Flug abgebrochen werden.

© picture alliance/dpa

Nach Beinahe-Katastrophe: Lächelnd zurück in das Absturz-Raumschiff

Kürzlich waren sie notgelandet. Zwei Raumfahrer schaffen es nun im zweiten Versuch zur ISS. Auch deutsche Astronauten waren schon in ähnlichen Situationen.

Alexej Owtschinin scheint ein ziemlich gelassener Mensch zu sein. Am 11. Oktober vergangenen Jahres saß er gemeinsam mit seinem amerikanischen Kollegen Nick Hague in einer Sojus-MS-10-Kapsel, die gerade mit einer schweren russischen Trägerrakete gestartet worden war. Dann passierte es.

Die beiden hatten bereits mehr als 50 Kilometer Höhe erreicht, als 119 Sekunden nach dem Abheben in der Kapsel das Notfall-Licht anging und das Raumschiff automatisch von der Rakete abgesprengt und durch Extraraketen von ihr weg beschleunigt wurde. Die beiden hatten keine Ahnung was passierte, ihre einzige Information war das Licht der Notfalllampe, sie verloren bei der plötzlichen Beschleunigung wahrscheinlich kurzzeitig das Bewusstsein, und als sie es wiedererlangten, begann die Kapsel, der Schwerkraft folgend, sich wieder in Richtung Erdboden zu bewegen.

Owtschinin kommentierte, noch ohne exakt zu wissen, was geschehen war, die Sache per Funk mit den Worten "O, das wird ein kurzer Flug". Kurz darauf landeten die beiden mitsamt Kapsel per Fallschirm, blieben unverletzt, wurden per Hubschrauber abgeholt und wenig später sah man sie im russischen Fernsehen Nüsse essend auf einem Sofa.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag haben sie sie es erneut versucht. Diesmal klappte alles.

Fünf Monate nach jener, wenn man im in der Raumfahrtsprache gerne genutzten Technikjargon bleibt, "Fehlfunktion", lief für Owtschinin und Hague der Start zur Internationalen Raumstation ISS diesmal planmäßig. Mit an Bord der Sojus-Kapsel war auch die US-Amerikanerin Christina Koch. Die Rakete hob vom russischen Startgelände Baikonur in der Steppe von Kasachstan ab. Die drei Raumfahrer erreichten nach sechs Stunden Flugzeit die ISS. Alle drei hatten sich bei einer Pressekonferenz zuversichtlich gegeben und in die Kameras gelächelt.

Rettungsmannschaften neben der im Oktober notgelandeten russischen Sojus-Kapsel in der Steppe von Kasachstan.
Rettungsmannschaften neben der im Oktober notgelandeten russischen Sojus-Kapsel in der Steppe von Kasachstan.

© dpa-Bildfunk

Es war nicht das erste Mal in der Geschichte der Raumfahrt, dass Kosmo- oder Astronauten, die bereits gestartet waren und auf diese Weise zur Erde hatten zurückkehren müssen, einen weiteren Start wagten.

Fehlfunktion in 200 Kilometer Höhe

Was beim ersten Mal - am 5. April 1975 - genau passierte, ist nicht sicher öffentlich dokumentiert. Etwa, wo die Kapsel niederging. Die Nachrichtenagentur Tass meldete damals, es sei im russischen Altai-Gebirge geschehen. Wahrscheinlich ging sie aber in einer chinesischen Gebirgsregion nahe der mongolischen Grenze nieder und die Mannschaft wurde ohne das Wissen der chinesischen Behörden schnell und wahrhaft unbürokratisch per Hubschrauber gerettet. Dass der Lande-Ort derart weit vom kasachischen Baikonur entfernt war, lag daran, dass Wassili Nasarew und Oleg Makarow bereits mehr als vier Minuten unterwegs und in fast 200 Kilometern Höhe angekommen waren.

Das Rettungssystem wurde ihnen zudem fast zum Verhängnis, denn die Raketen, die die Kapsel von der dritten Raketenstufe wegschossen, beschleunigten sie massiv in Richtung Erdboden, so dass die Kosmonauten und ihre Kapsel extrem schnell fielen. Trotzdem öffnete sich der Fallschirm. Für Nasarew war es der zweite und letzte Flug. Makarow flog danach noch zwei weitere Male und starb 2003 80-jährig in Moskau.

Christina Koch, Astronautin aus den USA, Alexej Owtschinin, Kosmonaut aus Russland, und Nick Hague, Astronaut aus den USA (v.li.) während einer Pressekonferenz. Sie brechen voraussichtlich am 14. März zu einem mehrmonatigen Aufenthalt zur ISS auf.
Christina Koch, Astronautin aus den USA, Alexej Owtschinin, Kosmonaut aus Russland, und Nick Hague, Astronaut aus den USA (v.li.) während einer Pressekonferenz. Sie brechen voraussichtlich am 14. März zu einem mehrmonatigen Aufenthalt zur ISS auf.

© Dmitri Lovetsky/AP/dpa

Am 26.September 1983 musste das Rettungssystem erneut aktiviert werden. Allerdings noch auf der Startrampe. Doch die Situation war noch dramatischer. Die Rakete hatte Feuer gefangen, aber das Rettungssystem konnte zunächst nicht aktiviert werden. Erst nach 20 Sekunden gelang es der Bodenmannschaft über Funk. Zwei Sekunden später explodierte die Booster-Rakete und zerstörte damit jene Startrampe, von der einst der erste Sputnik und auch Juri Gagarin gestartet waren. Die Kapsel wurde nur in sehr geringe Höhe befördert, aber Fallschirm und Bremsraketen funktionierten. Beide Kosmonauten, Wladimir Titow und Gennadi Strekalow, flogen danach erneut ins Weltall.

Die Beinahe-Kataststrophe der deutschen Mission

In einer ähnlichen Situation - nur an Bord eines Space Shuttle und deshalb ohne entsprechendes Rettungssystem - waren auch einmal zwei deutsche Astronauten: Hans Schlegel und Ulrich Walter. Am 22. März 1993 sollte die sogenannten D2-Mission zum Weltraumlabor Spacelab starten. Das Flüssigstofftriebwerk war bereits gezündet. "Es begann schon zu ruckeln" erinnert sich Walter im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Sekunden bis zum Abheben, wenige Augenblicke, bis die Schubkraft die Crew gewaltvoll in die Sitze drückt. Doch nichts davon.

"Dann hörte es einfach auf. Kurz darauf hörte man eine Frauenstimme - und das Wort 'Startabbruch'", sagt Walter. Was konkret passiert war, habe die Crew erst etwa eine Viertelstunde später erfahren. "Da wussten wir, dass wir in Lebensgefahr gewesen waren". Ein Triebwerk hatte nicht richtig gezündet, der Computer hatte den Start abgebrochen. Unmengen unter hohem Druck bereits ausgetretenen flüssigen Wasserstoffs bedeuteten jene Lebensgefahr genauso wie die Feststoff-Booster-Raketen, die drei Sekunden später gezündet worden und nicht mehr abschaltbar gewesen wären. "Man denkt dann, oh, das war knapp", sagt Walter, der heute Professor für Raumfahrttechnik and der TU München ist.

Zwei Monate später saß er an Bord desselben Shuttles. Rational habe er sich sicherer als beim ersten Mal gewähnt, "weil das Problem - ein Ventil, das nicht sauber geschlossen hatte - erkannt war und dasselbe diesmal sicher nicht passieren würde", sagt Walter. Gedanken, sich nicht ein zweites Mal in die Fähre zu setzen, habe er nicht gehabt. Aber eine Rest-Unsicherheit habe er in den Sekunden vor dem Start doch verspürt. Sie hing auch damit zusammen, dass die Space Shuttles ohne Rettungssystem designt waren - eine Tatsache, die 1986 der Besatzung der Challenger bereits zum Verhängnis geworden war. Es sei ein "grundsätzliches Problem in der Architektur der Shuttles" gewesen, dass ein Rettungssystem bei diesem Design gar nicht möglich war und dass die Astronauten nicht an der Spitze der Rakete, sondern seitlich daneben und damit einer etwaigen Explosion voll ausgesetzt waren.

Die Hoffnung fliegt mit

Dafür, dass nach solchen Missgeschicken immer wieder jene, die gerade knapp dem Tode entronnen sind, erneut in dieselben Raumschiffe steigen und sich von 100ten Tonnen hochexplosiven Materials in die Umlaufbahn befördern lassen, gibt es aber auch ganz prosaische Gründe. Walters Kollege, Esa-Astronaut Reinhold Ewald, sagt, die schlichte Tatsache, dass die Kosmo- und Astronauten gerade das langwierige Raumfahrertraining absolviert und auf eine bestimmte Mission speziell vorbereitet worden seien, mache es auch schwer, schnell Ersatz zu finden.

Ewald, heute Astronautik-Professor an der Uni Stuttgart, sagt mit Blick auf die beiden, die heute starten, dass diese ja auch besser als alle anderen sehr konkret wüssten, dass sie sich auf das Rettungssystem verlassen könnten. Er findet in diesem Zusammenhang auch Lob für die russische Raumfahrtagentur Roskosmos: "Die haben diese Zusatzmasse des Rettungssystems - sicher ein paar 100 Kilo - immer mitgeschleppt, obwohl sie über 30 Jahre nicht gebraucht wurde, sowas müsste man mal von einem Autohersteller verlangen." Auch die neuen amerikanischen Kapseln, von denen die erste kürzlich ihren unbemannten Jungfernflug absolvierte, sind nun wieder mit Rettungssystem ausgestattet.

Beim Start in der Nacht vom 14. auf den 15. März war wieder das bewährte, etwa ein halbes Jahrhundert alte, dabei. Die Hoffnung, dass es nicht erneut gebraucht würde, sagt Ulrich Walter, sei bei Owtschinin und Hague aber sicher ganz besonders mitgeflogen.

Anmerkung der Redaktion: Leser kritisierten die ursprüngliche Überschrift dieses Textes, in der von der Rückkehr in die "Horror-Kapsel" die Rede war. Wir haben dies geändert. Was die beiden dort oben erlebten, würde die Umschreibung "Horror" allerdings durchaus rechtfertigen: inklusive einiger langer Augenblicke, in denen nur klar war, dass etwas massiv schiefging und in denen sie keine Informationen hatten, inklusive einer wahrscheinlich kurzzeitigen Bewusstlosigkeit, nach der man aufwacht und erst einmal desorientiert ist, inklusive des Bewusstwerdens danach, dass, wenn das Rettungssystem nicht tadellos funktioniert hätte, man nun tot wäre.

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