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Prall gefüllte Stoff- und Papiersäcke liegen in einem Kellerraum in Metallregalen.

© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Mit Demokratiebildung gegen die AfD: Warum Institute ihr Erbe aus der DDR-Diktatur aufarbeiten müssen

Erfolge der AfD in Ostdeutschland wurzeln in einer Prägung durch das autoritäre DDR-Regime, meint unser Gastautor, der unter anderem in Frankfurt (Oder) forscht.

Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass die AfD noch immer eine hohe Zustimmung in den ostdeutschen Bundesländern erringen kann. Bei der Frage nach den Ursachen wird häufig die mangelnde Aufarbeitung der NS-Vergangenheit genannt.

Tatsächlich fehlt in der politischen Kulturgeschichte der DDR der gesellschaftliche Urknall des Jahres 1968, in dessen Folge die BRD-Elterngeneration mit Fragen nach ihrer Rolle im Dritten Reich konfrontiert und eine nachhaltige Beschäftigung mit der diktatorischen Vorgeschichte eingeleitet wurde.

Ein anderer Grund für die hohen AfD-Wahlanteile scheint in eingebauten Mängeln und Tabuisierungen des Wiedervereinigungsprozesses zu liegen. Zwar verfolgt die AfD einen populistischen Ansatz, aber vorherrschend in der Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler ist ihr Ruf nach Recht und Ordnung, also ihre Rolle als Law-and-order Partei.

Eine Studie unter Federführung des Erziehungswissenschaftlers Benno Hafeneger (Universität Marburg) zur AfD-Jugendpolitik, kam 2020 zu dem Schluss, dass die Gesamtstrategie der Partei „auf eine autoritär verfasste Gesellschaft und ein autoritäres Staatsverständnis zielt“. Hier schließt sich der Kreis zur Vorgeschichte Ostdeutschlands, wo bis vor gut 30 Jahren die SED in autoritär-repressiver Manier herrschte.

Die Bundesrepublik hat in den neuen Bundesländern nach 1989 zu wenig die Bürgerrechte des Grundgesetzes – oder allgemein: die freiheitlich-demokratische Grundordnung – im Bewusstsein der neuen Bundesbürger verankert. Institutionen wie Polizei und Verwaltungen, aber auch Forschungsinstitute, die aus der vormaligen Akademie der Wissenschaften der DDR in die Bundesrepublik Deutschland überführt wurden, waren mit Personal besetzt, das seinen Führungsstil in der DDR erlernt hatte.

Ehemalige SED-Kader drückten Institutionen ihren Stempel auf

Die marxistisch begründete Parole der Diktatur des Proletariats bildete sich in den Jahren vor 1989 in der Alltäglichkeit der Institutionen ab. Der Klassenkampf war in der Auseinandersetzung um die begrenzten Ressourcen täglich präsent. Wenn auch die Neueinstellungen inzwischen Ost-West-gemischt und alte Konflikte vielfach beigelegt sind, haben die ehemaligen SED-Führungskader manch einer Institution doch ihren Stempel aufgedrückt: Indem die nachfolgende Generation in einem autoritären Geist und nicht immer im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgebildet wurde.

Ein Porträtbild von Mario Birkholz, der vor einem Institutsgebäude steht.
Unser Gastautor Mario Birkholz, Professor am Institut für Biotechnologie der TU Berlin und forscht am gemeinsamen Labor für Bioelektronik von TU und IHP – Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik in Frankfurt (Oder).

© IHP

Hier wäre es erforderlich gewesen, Weiterbildungen zum Rechtssystem der Bundesrepublik durchzuführen. Das hätte getan werden können ohne die Leistungen der neuen Mitbürger zu schmälern, die in ihren Institutionen – unter den Bedingungen der Mangelwirtschaft – vielfach Großes geleistet haben.

In der BRD waren sie nicht nur mit deren Segnungen, sondern auch mit Problemen wie Arbeitslosigkeit oder wenig auskömmlicher Sozialhilfe konfrontiert. Die versäumte Demokratiebildung hatte ihren Preis, den wir heute mit vergleichsweise hohen AfD-Stimmenanteilen zu entrichten haben.

Es fehlt der Schlüssel, um das Unrecht sichtbar zu machen

Der Blick zurück auf das Unrecht der Vergangenheit wird zumeist tabuisiert, und zwar von Tätern und Opfern gleichermaßen. Denn die Täter wollen im nun gewendeten Licht nicht als Täter erscheinen, schließlich hätten sie „nur Befehle befolgt“. Die Opfer schweigen aus Scham und um sich nicht um die neu erlangte Selbstermächtigung zu bringen.

Vielerorts war die Stasi bei der Vertuschung ihrer Verbrechen auch erfolgreicher als in der Hauptstadt. So wurden in Frankfurt (Oder) zahlreiche Akten geschreddert, bevor sie von der Bürgerrechtsbewegung gesichert werden konnten. Die das Unrecht enthüllenden Dokumente sind zwar noch vorhanden, aber nur in einer Form, für deren Entschlüsselung bisher keine technische Lösung gefunden wurde.

Die Tabuisierung der Vergangenheit wurde zudem politisch gedeckt. Anfangs von der Bundesregierung, gegen die die Bürgerrechtsbewegung die Stasi-Unterlagenbehörde erst durchsetzen musste; später von der in der DDR ausgebildeten Bundeskanzlerin. Sie machte deutlich, dass eine Thematisierung ihrer politischen Herkunft nicht erwünscht ist. Eine sehr große Koalition also, die das Thema nicht auf die politische Agenda setzen wollte.

Vorbilder sind Historikerkommissionen zur NS-Verstrickung

Mehr als 30 Jahre nach der friedlichen Revolution scheint die Zeit reif, dass sich ehemalige DDR-Institutionen ihrer Vergangenheit stellen und die Diktatur im Alltag untersuchen lassen. So bekennt sich etwa Brandenburg „zu einem offenen Geschichtsverständnis, dessen Entwicklung im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs unabdingbar für die Herausbildung einer demokratischen und pluralistischen Erinnerungskultur ist“.

Vorbild für die Vergangenheitsbewältigung könnten die Historikerkommissionen sein wie sie von Firmen und Institutionen zur Untersuchung ihrer Verstrickung in die NS-Vergangenheit eingesetzt wurden – vom Auswärtigen Amt bis zum Bundespräsidialamt. Auch ein Forschungsinstitut wie das Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin hat sich dank einer Gruppe von engagierten Mitarbeitern intensiv mit seiner Verstrickung in Chemiewaffenforschung und Nazidiktatur befasst, statt den Mantel des Schweigens darüber zu decken.

Bei der Verleihung des Großen Verdienstkreuzes an den Bürgerrechtler und Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, unterstrich Bundespräsident Steinmeier, dass es in einer Zeit, „in der auch unsere Demokratie stärker angefochten wird, in der das Autoritäre neue Verführungskraft entfaltet“ umso wichtiger sei, „Lehren aus den beiden deutschen Diktaturen zu ziehen“. Das sei aber nur möglich, „wenn wir wissen, was geschehen ist und warum es geschehen ist“.

Man möchte ergänzen: Ohne die Konfrontation mit der diktatorischen Alltags-Vergangenheit wird der Zulauf zu autoritären Heilsversprechern nicht zu stoppen sein.

Mario Birkholz

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