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Dicke Luft im dicken B: Die Berliner Bismarckstraße ist im morgendlichen Berufsverkehr hoch ausgelastet.

© Florian Gaertner/photothek.net/imago

Millionen vorzeitiger Todesfälle: WHO empfiehlt strengere Begrenzungen für Luftverschmutzung

Die Weltgesundheitsorganisation rät, stärker gegen Luftschadstoffe vorzugehen. Auch in Deutschland werden neue Grenzwerte regelmäßig überschritten.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO senkt ihre empfohlenen Grenzwerte für Luftschadstoffe wie Feinstaub und Stickstoffdioxid. Die Organisation verweist auf negative gesundheitliche Auswirkungen, die bereits bei geringerer Luftverschmutzung eintreten als bisher angenommen.

In Deutschland geltende Regelungen der Europäischen Union müssten demnach deutlich verschärft werden. Die in den am Mittwoch veröffentlichten WHO-Leitlinien empfohlenen Maximalbelastungen liegen teils weit unter den noch zulässigen Werten. Das Europäische Parlament hatte im März beschlossen, die Luftqualitätsnormen nach den neuen WHO-Leitlinien auszurichten, sobald diese veröffentlicht sind.

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Großer Handlungsbedarf bei kleinen Partikeln

„Die neuen WHO-Leitlinien sind ein großer Schritt nach vorne, da sie Richtwerte vorgeben, die durch viele neue und große Studien belegt sind“, sagt Annette Peters, Epidemiologin vom Helmholtz Zentrum München. Diese Werte seien in der Lage, die Gesundheit vieler Menschen wirkungsvoll zu schützen.

Die WHO gibt Empfehlungen und schlägt Zwischenziele für die Reduzierungen von sechs Luftschadstoffen vor. Die Zwischenziele illustrieren, welche Folgen die schrittweise Verringerung bis hin zu den Richtwerten hätte. Die behandelten Luftschadstoffe sind Feinstaub mit Partikelgrößen bis 2,5 (PM2.5) und bis zehn Mikrometer (PM10), Stickstoffdioxid, Ozon, Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid.

Zuletzt war die Leitlinie zur Luftqualität im Jahr 2005 aktualisiert worden. Nun werden aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu gesundheitlichen Folgen strengere Grenzwerte empfohlen. Die Empfehlung für die maximale Langzeitbelastung mit Feinstaub PM2.5 liegt bei fünf statt bisher zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, die für Feinstaub PM10 wurde von 50 auf 45 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gesenkt.

Der EU-Grenzwert für PM2.5 liegt deutlich höher, schon als die alte Empfehlung: bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Eine Umsetzung der WHO-Empfehlungen hätte zur Folge, dass auch in Deutschland wieder deutlich mehr Stationen, die Luftqualität messen, Überschreitungen anzeigen würden. In Ballungsgebieten stammt der größte Teil der Feinstaubverschmutzung aus dem Straßenverkehr. Weitere Quellen sind Emissionen aus Kraftwerken, Öfen und Heizungen aber auch Bodenerosion.

Die WHO-Empfehlungen sind rechtlich allerdings nicht bindend. Für Deutschland gelten EU-Grenzwerte. „Aus meiner Sicht gibt es insbesondere beim Feinstaub, der kleiner als 2,5 Mikrometer ist, Handlungsbedarf“, sagt Peters. Die derzeitigen Grenzwerte der EU seien viel zu hoch angesetzt und schützten die Gesundheit nicht. „Das betonen wir Wissenschaftler:innen seit Jahren“, so die Expertin.

Ungesunde Luft aus dem Straßenverkehr

Noch drastischer hat die WHO den empfohlenen Grenzwert für Stickstoffdioxid gesenkt. Der Wert für die maximale Belastung wurde von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, was dem EU-Grenzwert entspricht, auf zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gesenkt. Stickstoffoxide stammen aus Verbrennungsprozessen, in Ballungsräumen auch vor allem aus dem Straßenverkehr. Den größten Anteil an Verkehrsemissionen haben Dieselmotoren von Pkw, Nutzfahrzeugen und Bussen.

„Die Verkehrsflotte hat sich in den vergangenen Jahrzenten stark verändert“, sagt Tamara Schikowski vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung an der Universität Düsseldorf. Die Zunahme von Autos mit Dieselmotor hat seit dem Jahr 2009 auch die Stickstoffdioxid-Emissionen ansteigen lassen. „Mittlerweile wissen wir, dass auch Stickstoffdioxid zu großen gesundheitlichen Problemen führen kann“, sagt Schikowski. Luftschadstoffe könnten alle Organe des Körpers schädigen.

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„Bisher konnten keine sicheren Schwellenwerte identifiziert werden, unter denen Luftverschmutzung harmlos wäre“, sagt die Wissenschaftlerin. Für sie ist die neue, niedrige Empfehlung der WHO überraschend: „Die neuen Richtwerte der WHO-Leitlinien sind viel niedriger als erwartet und sehr ambitioniert.“ Es sei fraglich, inwieweit viele Schwellenländer wie Indien oder China, aber auch Länder in Europa wie zum Beispiel Polen diese Werte erreichen könnten. Im Falle von Stickstoffdioxid werde es auch für Deutschland schwer sein, die Empfehlung einzuhalten.

Für die WHO ist jedoch Gesundheit das alleinige Kriterium und Luftverschmutzung global eine der größten Gefahren für die menschliche Gesundheit. Jedes Jahr sterben 4,2 Millionen Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung außerhalb von Gebäuden. Über 90 Prozent der Weltbevölkerung lebten in Gebieten, in denen die Grenzwerte überschritten werden.

Die Europäische Umweltagentur geht von etwa 417.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr in 41 europäischen Staaten aus. Etwa acht Prozent der städtischen Bevölkerung in der EU sind Belastungen mit Feinstaub PM2.5 ausgesetzt, die die gesetzlichen Grenzwerte überschreiten. Nach den bisherigen WHO-Richtwerten sind es sogar 77 Prozent. Wenn ihre Richtwerte für Feinstaub PM2.5 eingehalten werden würden, könnten etwa 80 Prozent der auf diesen Schadstoff zurückzuführenden vorzeitigen Todesfälle vermieden werden. (mit SMC)

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