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Migrationsforscher streiten, wie Integration gelingen kann.

© imago/Ralph Peters

Migrationsforscher streiten über Integration: Assimilation oder Multikulti?

Wie Integration gelingen kann: Migrationsforscher streiten über den Umgang mit Einwanderern. Assimilationisten stehen gegen Befürworter einer postmigrantischen Gesellschaft.

In der Szene der Migrationsforscher rumort es. Schon seit Längerem stehen sich jene, die auf Assimilation setzen, und jene, die im Multikulturalismus oder der postmigrantischen Gesellschaft die Zukunft sehen, gegenüber. Mit den neuen Migrationsbewegungen verschärft sich dieser Konflikt der Perspektiven: Während die Assimilationisten verstärkt darauf drängen, dass Integration nur gelingen kann, wenn man sich an die Aufnahmegesellschaft hinsichtlich Sprache, Werteinstellungen oder Freundschaftsnetzwerken anpasst, verweist das andere Lager auf die vielen Diskriminierungserfahrungen, die Migranten machen müssen.

Zudem beobachtet es einen gesellschaftlichen Metawandel. Wo hinein man sich integrieren solle, so die Argumentation, sei heute so unklar wie nie. Das Modell der abgeschlossenen und homogenen Nationalgesellschaft sei obsolet, eine deutsche Leitkultur weder erkenn- noch wünschbar. Ganz im Gegenteil: Anerkennung von Differenz, Gruppenrechte und die Pluralität von Identitäten werden als einzig angemessene Leitformeln propagiert. Neue Migration sei transnational, die Erwartung der Integration als Loslassen von der Herkunftskultur und des Einpassens in eine Zielgesellschaft ganz und gar unangemessen.

Zwischen diesen Fronten finden nun vermehrt Scharmützel statt und erzeugen ihre eigenen Schäden. Da ist einmal der Vorwurf der Verdrängung realer Integrationsprobleme durch folkloristische Multikulti-Ideologie. Da ist zum anderen der Vorwurf des Erzwingens von Integration unter Preisgabe von Identität und Herkunftskultur und des Übersehens der strukturellen Barrieren, an denen Integration heute oftmals scheitert. Schnell wird es dann persönlich.

Wirkt das Bekenntnis zum Islam als Integrationshemmnis?

So muss sich ein ausgewiesener Forscher wie Ruud Koopmans von der meinungsstarken Fachschaft des Instituts für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität in einer öffentlichen Stellungnahme vorhalten lassen, er mache Stimmung gegen Personen muslimischen Glaubens und seine Studien  seien wissenschaftlich höchst fragwürdig. Koopmans ist nicht irgendwer. Er leitet die Abteilung „Migration, Integration, Transnationalisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und ist Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ohne Übertreibung kann man ihn als den renommiertesten Migrationsforscher Deutschlands bezeichnen.

Jüngst hat er in den Medien – durchaus zugespitzt und kontrovers – wiederholt zu Fragen von Migration und Integration Stellung genommen. Eine Kernbotschaft lautet: Das Bekenntnis von Migrantengruppen zum islamischen Glauben ist als Integrationsbremse wirksam. Wer stark religiös ist, tut sich beispielsweise schwerer mit interethnischen Kontakten und der Akzeptanz von Werten der Gleichberechtigung, also der kulturellen Assimilation, was wiederum Integration erschwert.

Auch das, was Koopmans zum islamischen Fundamentalismus zu sagen hat, passt nicht ins Bild derer, die überall nur Diskriminierung sehen. Koopmans hält insbesondere bei Migranten aus islamischen Ländern traditionell-konservative Einstellungen für weit verbreitet, die mit Elementen der westlichen Werteordnung in Konflikt stehen. Er schätzt die Größe dieser Gruppe in Deutschland auf 30 Prozent. Solche Aussagen provozieren und ziehen den Unmut linker Kreise auf sich. Indem Koopmans auf religiöse Werte oder stark traditionell geprägte Einstellungen zu Gleichberechtigung, zu Homosexualität oder zum Judentum als Problem verweist, läuft er direkt in die Vorwurfsfalle. Er nähre „anti-islamischen Rassismus“, heißt es, in einigen Medien ist von „diskriminierender Forschung“ die Rede. Das Paradoxe daran: Das, was in etlichen islamischen Ländern von linken Menschenrechtsaktivisten vertreten wird, landet hierzulande mitunter in der rechten Ecke.

Moralische Selbstüberhöhung erschwert die Debatte

Das Vermengen von methodischer Kritik, persönlicher Diffamierung und politischer Positionierung trägt eigene Risiken. Solche Vorwürfe entziehen sich der wissenschaftlichen Kontroverse und leiten die Richtigkeit ihrer Position aus moralischen Grundüberzeugungen ab. Das verdeckt den Kern der Auseinandersetzung, den offenen Streit um Paradigmen, Methoden und Interpretationen, der die Wissenschaft ausmacht.

Indem sie die Rolle von Kultur und Religion von vornherein negieren oder mindestens beargwöhnen, schwächen die Kritiker selbst die Stärke ihrer eigenen Argumente. Denn an vielen Orten gibt es ja soziale und institutionelle Barrieren, die Integration schwer machen können. Wer jemals auf dem deutschen Wohnungsmarkt mit fremdländisch klingendem Namen unterwegs war, der weiß ein Lied davon zu singen: Dass Familie Richter eher als Familie Öztürk im freien Wettbewerb eine Wohnung angeboten wird, hat eben auch etwas mit Alltagsdiskriminierung zu tun.

Eine Katharina wird einer Ayse auf dem Arbeitsmarkt vorgezogen

Im Bildungssystem und bei Bewerbungen auf dem Arbeitsmarkt ist es ebenso: Eine Katharina oder ein Konstantin werden oftmals einer Ayse oder einem Ahmet vorgezogen. Im Alltag sind solche Diskriminierungserfahrungen nicht selten ein Anlass, sich vermehrt auf die eigene Gemeinschaft und Kultur zurückzuziehen. Es gibt eine systematische Verschränkung von manchmal offensichtlichen, manchmal subtilen Zurückweisungserfahrungen und dem Rückbezug auf die eigene Herkunftsgruppe. Fremd- und Selbstexklusion greifen ineinander.

Gesellschaften tun sich schwer mit Zuwanderung und wachsender Diversität. Nicht selten gehen diese Prozesse mit verstärktem „ethnischen Wettbewerb“ zwischen Gruppen und „Überfremdungsängsten“ aufseiten der einheimischen Bevölkerung einher. Ablehnung und Misstrauen gegenüber Neuankömmlingen sind weitverbreitet. Nach einer neuen Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Pew haben immerhin 29 Prozent der Deutschen eine negative Sicht auf Muslime. Der empfundene „Diversitätsstress“ ist allerdings oftmals dort besonders hoch, wo die wenigsten Migranten wohnen.

Es gibt auch Akkomodation – das heißt: gesellschaftliche Gewöhnung - an größere soziale Heterogenität. Dennoch ist der Weg dorthin oft konfliktreich und Scheitern ist nicht ausgeschlossen. Ursachen können Ressentiments der Alteingesessenen, strukturelle Diskriminierung oder die anhaltende kulturelle Distanz von Zuwanderergruppen sein, die eher unter sich bleiben, als sich in die Gesellschaft hineinzubewegen.

Problematisch am Ansatz der Assimilationisten ist auch die Essentialisierung von Kultur und Religion. Werte erscheinen als fixiert und unbeweglich, die Vielfalt sozialer Praxen gerät ins Hintertreffen. Mit dem einen Auge der Assimilationstheorie übersieht man leicht die Zweiseitigkeit eines jeden Integrationsprozesses. Allein auf die Anpassungsbereitschaft der Migranten zu setzen, ist verfehlt. Eine solche Perspektive steht in der Gefahr, von den Migranten alles zu verlangen und von der Gesellschaft nichts. Niemand kann sich von seiner Herkunftskultur so einfach lösen – das käme einer Entwurzelung gleich. Deshalb muss man auch auf die Veränderungsbereitschaft der Gesellschaft setzen.

Integration nur als Assimilation? Das ist unrealistisch

Integration also nur als Assimilationsauflage zu propagieren, ist ebenso unrealistisch wie die Erwartung, dass die gesamte Gesellschaft auf Willkommensmodus schalten müsse und man den Migranten nichts zumuten dürfe. Erst wenn beide sich bewegen, wird ein Schuh daraus. Dass dabei religiös geprägte Wertesysteme Integration leichter oder schwerer machen können, liegt eigentlich auf der Hand. Allerdings kann und muss man über die Bewertung und Gewichtung dieses Befundes streiten.

Es ist der Kern der Wissenschaft, dass konkurrierende Geltungsansprüche miteinander ringen. Von daher sind diese Kontroversen Teil des normalen Geschäfts. So weit, so gut. Es ist aber auch die Aufgabe guter Wissenschaftskommunikation, den Unterschied zwischen empirischem Befund und politischer Meinung kenntlich zu machen. Zugleich sollte die Vorläufigkeit und Bedingtheit von wissenschaftlichen Ergebnissen, so schwer dies im Einzelnen sein mag, immer mit vermittelt werden. Wir brauchen nicht nur Vereinfachung und Zuspitzung, sondern immer auch den Verweis auf die Grenzen des Wissens und die Pluralität der Ansätze. Die Debatte in der Migrationsforschung ist noch lange nicht zu Ende, man wünschte sich aber ein Mehr an Kontroverse statt Beschweigen und Tabuisierung. Der Streit muss geführt und nicht unterbunden werden.

- Der Autor ist Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Steffen Mau

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