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Auf ins Labor. Mit einem Schülerportal, auf dem sich auch Studierende mit Migrationshintergrund als Ansprechpartner vorstellen, will die TU Berlin neue Schichten ansprechen. Im Bild Studentinnen am Institut für Verfahrenstechnik.

© Promo/TU Berlin; Böck

Migranten: Mit Starthilfe an die Uni

Mentoren, Stipendien und Schulbesuche: Was Berliner Hochschulen tun, um mehr Migranten anzuziehen.

Long Nguyen Huu und sein Bruder Minh könnten als Musterbeispiele für eine gelungene Integration gelten. Die 21-jährigen Zwillinge leben seit ihrem zweiten Lebensjahr in Deutschland und studieren an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) „Business Administration“. Ihr Deutsch ist akzentfrei, eine von drei Sprachen, die sie beherrschen. Seit einem knappen Jahr nehmen Long und Minh Nguyen Huu an einem speziellen Förderprogramm ihrer Hochschule teil, das sich explizit an Studierende mit Migrationshintergrund richtet. Im Mentoring-Programm der HWR treffen sie sich regelmäßig mit einem Mathematikprofessor, der ihnen unter anderem Tipps für die Erasmusbewerbung und für das Pflichtpraktikum gegeben hat. Auch bei der Karriereplanung sollen er und die anderen Mentoren die Studierenden unterstützen und dabei ihre persönlichen Netzwerke in Wirtschaft und Wissenschaft einsetzen.

Viele deutsche Hochschulen haben in den vergangenen Jahren Programme aufgelegt, die Studenten mit Migrationshintergrund Starthilfen geben sollen. In Berlin gilt das Mentoring an der HWR als Vorreiter. Andere Hochschulen ziehen nach. Die Alice Salomon Hochschule etwa hat im Programm „ASH bildet Potenziale“ kürzlich eine Werbekampagne an Gymnasien gestartet, bei der Studierende der Sozialen Arbeit ihren Studiengang vorstellen. Bereits seit 2007 vergibt die ASH in ihrem Zulassungsverfahren Bonuspunkte für interkulturelle Kompetenzen und Fremdsprachenkenntnisse.

Der aktuelle Anteil von nur sechs Prozent Migranten an der ASH solle so erhöht werden, heißt es. Denn viele Berliner Kinder- und Jugendeinrichtungen suchen Sozialarbeiter und Erzieherinnen mit ausländischen Wurzeln, doch noch werden nicht genug ausgebildet. Hintergrund für das Interesse der Hochschulen an Migranten ist auch der sich abzeichnende Fachkräftemangel in Deutschland. Es gilt, die „demografische Reserve“ zu mobilisieren.

Die Berliner Universitäten haben bislang keine Programme eigens für Bildungsinländer (Studierende mit Migrationshintergrund und deutschem Abitur) aufgelegt, wohl aber einzelne Initiativen. Die Technische Universität, die den höchsten Migrantenanteil hat, etwa lädt insbesondere Schüler aus Kreuzberg in ihre Kinderuni ein, sagt Sprecherin Stefanie Terp. „Diese Zielgruppe hat einen hohen Stellenwert für die TU.“ Die neue Schulenbeauftragte der Uni arbeitet an Projekten, mit der die TU verstärkt um Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund werben will. Im Aufbau ist ein Schulportal, auf dem sich auch TU-Studierende mit ausländischen Wurzeln als Ansprechpartner vorstellen sollen. Der türkische Studierenden- und Akademikerverein BTBTM bietet bereits auf dem TU-Campus Mathe- und Deutschnachhilfe für türkische Gymnasiasten an – und ebnet ihnen so den Weg ins Studium.

Ginge es nach den politisch aktiven Studierenden an der Humboldt-Universität, hätte die Uni heute ein deutschlandweit einmaliges Förderprogramm. Auf Antrag der studentischen Vertreter beschloss der Akademische Senat im Januar dieses Jahres, „Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils von Studierenden mit Migrationshintergrund“. Die Uni wolle mit Schulen zusammenarbeiten, spezielle Tutoren und Mentoren beschäftigen – und Studienbewerber mit Migrationshintergrund bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugen, ist im Protokoll der Sitzung nachzulesen. Der Beschluss könne so nicht umgesetzt werden, sagte allerdings der Leiter der Studienabteilung der HU, Steffan Baron, dem Tagesspiegel auf Anfrage. Eine Bevorzugung könne es aus rechtlichen Gründen gar nicht geben: Nach dem Berliner Hochschulzulassungsrecht seien Abiturienten mit Migrationshintergrund den Deutschen beim Hochschulzugang gleichgestellt.

Gemeinsam mit der Freien Universität und der Wissenschaftsverwaltung werde die HU demnächst aber das Projekt „Migramentor“ beim Europäischen Sozialfonds beantragen, sagt Baron. Mit dem Geld sollen unter anderem Projekte von Wissenschaftlern und Studierenden in Schulen mit einem hohen Migrantenanteil gefördert und Mentoren für Studierende finanziert werden. Aktiv ist an der HU bereits der Club Lise, eine 2005 gegründete Physik-Arbeitsgemeinschaft für Schülerinnen der 10. bis 13. Klasse. Angesprochen sind vor allem Mädchen mit Migrationshintergrund. Und Altphilologen der HU unterstützen seit 2008 die Latein-Schüler der Neuköllner Ernst-Abbe-Oberschule.

Aber brauchen Abiturienten mit Migrationshintergrund wirklich „Nachhilfe“, um an die Uni zu kommen? Das ist unter Experten nicht unumstritten. Ulrich Heublein, Studierendenforscher beim Hochschul-Informations-System (HIS), betont, dass die jungen Migranten die höchste Hürde schon mit dem Gang aufs Gymnasium überwunden haben. „84 Prozent aller Jugendlichen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft und deutschem Abitur wollen ein Studium aufnehmen.“ Den größeren Handlungsbedarf sieht Heublein bei Kindergärten und Grundschulen.

„Wir betreiben Elitenförderung“, sagt auch Britta Sösemann, eine der ersten Mentorinnen im HWR-Programm und langjährige Präsidentin des Frauenfördervereins Zonta Club Berlin. Die durchweg ehrgeizigen und fleißigen Studierenden mit Migrationshintergrund hätten den Absprung in Richtung einer erfolgreichen Karriere im Grunde schon geschafft. Studierende Töchter würden in der Regel von ihren Eltern nicht mehr gebremst. „Die meisten kämen auch ohne Unterstützung von außen zurecht“, sagt Sösemann.

Ein Programm an der Freien Universität verknüpft die Werbung um Studierende mit Migrationshintergrund mit der Förderung von Schülern. Die FU ist seit 2008 Partnerin des Projekts „Horizonte“ der Hertie-Stiftung, in dem Stipendien von 650 Euro monatlich an Lehramtsstudenten mit Migrationshintergrund vergeben werden. Man wolle begabte und engagierte junge Migranten für den Lehrerberuf gewinnen, heißt es. Ihre Potenziale als erfolgreiche Bildungsaufsteiger sollen sie an die Schüler weitergeben.

Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Bundesweit hat ein Drittel der Schüler Migrationshintergrund, nach der aktuellen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 2009 stagniert der Migrantenanteil an den Hochschulen allerdings bei acht Prozent. Rechnet man Studierende mit nur einem ausländischen Elternteil mit, sind es immerhin elf Prozent. Sie kommen deutlich häufiger aus niedrigen sozialen Schichten und nichtakademischen Haushalten und sind stärker auf Bafög und den eigenen Verdienst angewiesen als ihre Kommilitonen mit deutschen Eltern. Es gibt also noch einiges nachzuholen bei der Chancengleichheit.

Benachteiligt fühlt sich HWR-Student Minh Nguyen Huu nicht, er sei auch nie wegen seiner Herkunft diskriminiert worden. Aber er habe Statistiken gelesen, nach denen Studierende mit Migrationshintergrund Schwierigkeiten bei der Stellensuche haben und auch später im Berufsleben vor Aufstiegsbarrieren stehen, sagt Minh. Zu hören sei auch, dass Personalchefs Bewerbungen mit ausländischen Namen gleich beiseitelegen. „Deshalb wollte ich vorsorglich schon im Studium etwas dagegen tun.“

Auch Heublein und Sösemann plädieren bei aller Skepsis für Förderprogramme. Eltern, die nicht selbst studiert haben, könnten bei Problemen an der Hochschule oder beim Berufseinstieg kaum helfen, sagt Heublein. Diese Lücke füllen die Mentoren. Sie stehe ihren Mentees auch mit kleinen Hilfen zur Seite, sagt Britta Sösemann. „Wie führe ich Smalltalk, wie kleide ich mich angemessen, wie formuliere ich eine Bewerbung?“

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