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Glühende Gefahr. Gesteinsbrocken aus dem All heizen sich in der Atmosphäre auf und beginnen zu leuchten. Diese Erscheinung wird Meteor genannt.

© ROGER HARRIS/SCIENCE PHOTO LIBRA

Meteoriten: Angriff aus dem All

Anfang des Jahres explodiert über Russland ein Gesteinsbrocken. 1500 Menschen werden verletzt. Nun warnen Forscher: Solche Kollisionen sind wahrscheinlicher als bisher gedacht.

Der 15. Februar verspricht ein schöner Tag zu werden. Der Himmel über Tscheljabinsk am Ural ist klar, kaum eine Wolke hängt darin. Plötzlich erscheint eine zweite Sonne über dem Horizont und jagt von Ost nach West. Dann explodiert sie. Eine Druckwelle fegt durch die Region, reißt Passanten von den Beinen, lässt Fensterscheiben bersten und fetzt das Dach von einer Zinkfabrik. 1500 Menschen werden verletzt, wie durch ein Wunder kommt niemand ums Leben.

Ein Gesteinsbrocken aus dem Weltraum, größer als ein Doppeldeckerbus, ist auf die Erde getroffen und mit der Wucht von 500 000 Tonnen TNT nahe der Millionenstadt explodiert. Ohne Vorwarnung, denn das Objekt kam ungefähr aus der Richtung der Sonne geflogen und war deshalb für Teleskope nicht auszumachen. Wäre der Brocken näher am Boden explodiert, dann wäre es zur Katastrophe gekommen.

Auch für viele Forscher ist das Ereignis ein Glücksfall. Der letzte kosmische Beschuss dieser Größenordnung geschah 1908 nahe der Tunguska in Sibirien. Dieses Mal gibt es zahlreiche Augenzeugen, Videokameras laufen mit, Seismometer und Wettersatelliten verfolgen das Geschehen. Aus diesen umfangreichen Daten haben internationale Forscherteams die Geschehnisse im Detail rekonstruiert. In den Fachjournalen „Nature“ und „Science“ veröffentlichten sie diese Woche gewissermaßen ein forensisches Gutachten dieses Angriffs aus dem All – mit beunruhigenden Ergebnissen.

Der Meteorit ist ein Allerweltsbrocken aus dem Asteroidengürtel

Die Geschichte beginnt im Asteroidengürtel zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter. Dort kreisen seit Anbeginn des Sonnensystems vor rund 4,5 Milliarden Jahren unzählige Brocken, die nicht von der Gravitation der benachbarten Planeten eingefangen wurden. Von dort stammt auch der Tscheljabinsk-Meteorit. Es handelt sich um einen Allerweltsklumpen aus der Familie der „Chondrite“. In ihrer Zusammensetzung ähneln sie dem solaren Urnebel, aus dem auch unsere Erde hervorging.

Immer wieder verlassen einzelne Asteroiden den Gürtel, etwa durch den Schwerkrafteinfluss anderer Himmelskörper und können auf eine erdnahe Bahn gelenkt werden. Damit werden sie zu „Neos“ (near earth objects) – und für Forscher plötzlich interessant. Eines dieser Objekte ist der Asteroid 86039, zwei Kilometer groß, entdeckt 1999 und mutmaßliche Mutter des Objekts von Tscheljabinsk. Das behaupten zumindest Jiri Borovicka und Kollegen in „Nature“ und verweisen auf die große Ähnlichkeit der beiden Flugbahnen. Vermutlich wurde das Objekt bei einer Kollision herausgeschleudert.

19 Meter groß und um die 12 000 Tonnen schwer taumelt das Bruchstück des Asteroiden durchs All und trifft dann am 15. Februar auf die Erdatmosphäre. Wissenschaftler sprechen nun von einem Meteoroiden. (Nur was am Ende die Erde erreicht heißt Meterorit.)

In 100 Kilometern Höhe beginnt der Meteoroid zu leuchten. Das geht zum Teil auf die heiße Oberfläche des Gesteinsbrockens zurück. Durch die Hitze werden die Luft und das verdampfende Material außerdem ionisiert, also einzelne Elektronen aus der Atomhülle herausgeschlagen. Indem sie zurückspringen – Physiker sagen „rekombinieren“ – senden sie Licht aus.

In 90 Kilometern Höhe ist die Luft dicht genug, dass das eindringende Objekt zudem eine Schockwelle erzeugt, die später vom globalen Messnetz zur Überwachung des Kernwaffenteststoppabkommens aufgezeichnet wurde.

Meteoritenhagel: Nicht alle 100 Jahre, sondern häufiger

Gefilmt. Der Meteor über Russland wurde von zahlreichen Kameras aufgezeichnet, unter anderem weil viele Russen in ihren Autos Videokameras installiert haben.
Gefilmt. Der Meteor über Russland wurde von zahlreichen Kameras aufgezeichnet, unter anderem weil viele Russen in ihren Autos Videokameras installiert haben.

© dpa

Mit rund 70 000 Kilometern pro Stunde rast der Meteoroid durch die Atmosphäre. In gut 80 Kilometern Höhe beginnt er, infolge der Reibung massenhaft Staub zu verlieren und heller zu strahlen – bis zu 30 Mal heller als die Sonne. Augenzeugen berichten später von einem Wärme- oder gar Hitzegefühl. Einige erlitten sogar einen Sonnenbrand.

30 Kilometer über der Erde explodiert der himmlische Eindringling schließlich. Das kommt bei Objekten dieser Größe häufiger vor. Die Reibung heizt das Geschoss ungleichmäßig auf, die innere Spannung nimmt zu. Zugleich wird es durch das Abbremsen extrem belastet. Es ist als schlüge ständig jemand von vorn mit einem großen Hammer auf das heiße und fragile Objekt, bis es zerreißt.

Die Explosion ist 30 Mal so heftig wie die der Hiroshima-Bombe

Diese Explosion, nicht die wenigen Steine, die am Ende übrig bleiben und hier und da in die Landschaft schlagen, ist die größte Gefahr. Ihre Druckwelle breitet sich großflächig aus, ähnlich der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki, bei denen die Sprengkörper aber in geringer Höhe gezündet wurden. Auch wenn die Explosionswucht des Meteoroiden etwa 30 Mal so groß war wie die der Hiroshima-Bombe, so waren die Auswirkungen am Boden geringer, da er in großer Höhe zerbarst und die Energie von der Luft teilweise „geschluckt“ beziehungsweise über eine große Fläche verteilt wurde.

Die verbleibende Druckwelle war dennoch stark genug, um in 7000 Gebäuden Fensterscheiben zu zerstören, deren Splitter wie Geschosse durch die Luft jagten. Nicht alle hatten so viel Glück wie die Schüler einer Grundschulklasse, deren Lehrerin während der Leuchterscheinung am Himmel die 44 Kinder instinktiv aufforderte, unter den Tischen Schutz zu suchen. Die Schüler blieben unverletzt, die Lehrerin wurde von einer Scherbe am Arm getroffen. Mitunter flogen auch vollständige Fensterrahmen aus dem Mauerwerk, so zum Beispiel in der Bibliothek von Jemanschelinsk, wo dadurch eine Puschkin-Statue beschädigt wurde.

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Vom Meteoroiden bleibt am Ende wenig übrig. Dreiviertel seiner Masse sind verdampft, der Rest wurde überwiegend zu Staub. Nur vier bis sechs Tonnen dürften als fassbare Stücke auf dem Boden angekommen sein, zeigen Simulationen. Das größte Fragment wurde erst im Oktober aus dem Tschebarkul-See geborgen. Trübes Wasser und tiefer Schlamm erschwerten die Arbeiten. Als der Koloss endlich an Land war, ging auch noch die herbeigeschaffte Waage kaputt. Mit 650 Kilogramm war er einfach zu schwer.

Geschosse in der Tscheljabinsk-Klasse könnten häufiger einschlagen

Auch wenn die Region am 15. Februar einer Katastrophe entgangen ist, womöglich ist die Gefahr größer als bisher berechnet. Darauf weisen Peter Brown und Kollegen in „Nature“ hin. Sie haben verglichen, wie häufig Objekte einer bestimmten Größe die Erde erreichten. Normalerweise rechnet man mit einer regelmäßigen Verteilung, bei der kleine Objekte sehr häufig und große sehr selten sind. Browns Daten zeigen jedoch eine unerwartete Häufung bei den 15 bis 30 Meter großen Meteoroiden, also genau in der Tscheljabinsk-Kategorie. Das heißt: Nicht alle 100 Jahre, wie bisher gedacht, geschieht so ein Ereignis, sondern häufiger. Noch warnen die Autoren vor diesem Schluss, denn solche Einschläge seien selten, die Datenbasis dünn. „Andererseits wäre es gut möglich, dass vor allem in der Vergangenheit manches Ereignis dieser Größe einfach nicht bemerkt wurde, weil es in einer abgelegenen Gegend stattfand“, sagt Detlef Koschny, der bei der Esa für das Neo-Programm zuständig ist.

„Gerade über die Meteoroiden der Tscheljabinsk-Klasse wissen wir vergleichsweise wenig“, sagt der Forscher. Von den großen erdnahen Asteroiden, einen Kilometer und größer, haben er und seine Kollegen schätzungsweise 95 Prozent aufgespürt und verfolgen deren Bahnen mit Teleskopen aufmerksam. Je kleiner die Objekte, umso schwieriger wird es. Ihre Anzahl wird größer und zugleich ist jedes einzelne schwerer auszumachen, weil es relativ wenig Sonnenlicht zur Erde wirft. In der 10- bis 20-Meter Klasse zum Beispiel wurden bisher gerade 500 Neos entdeckt, von schätzungsweise 20 Millionen.

Um das zu ändern, plant die Esa ein Teleskopnetz, das weltweit jede Nacht den kompletten Nachthimmel nach Neos abscannt. „Die Technik soll so ausgelegt werden, dass ein 40-Meter-Objekt spätestens drei Wochen vor einem Einschlag entdeckt wird“, sagt Koschny. Wenn alles glatt geht, könnte der Verbund 2020 einsatzbereit sein, hofft der Esa-Manager. Aber selbst dann müsse die Menschheit auf Überraschungen gefasst sein. „Objekte mit einer ungünstigen Flugbahn, wie der Meteoroid von Tscheljabinsk, werden die Teleskope nicht rechtzeitig aufspüren.“ Plötzlich sind sie da.

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