zum Hauptinhalt
Klimaengagierte Wissenschaftler: "Scientists for Future" auf einer Demo im Jahr 2019 . +++ dpa-Bildfunk +++

© picture alliance/dpa

Mehr Klimaneutralität an Hochschulen!: Es ist Zeit für den Campus for Future

Hochschulen müssen der Ort sein, wo Lösungen für eine klimaneutrale Gesellschaft umgesetzt werden. Dazu braucht es auch ein Bundesprogramm. Ein Gastbeitrag.

Kai Gehring ist Bundestagsabgeordneter aus Essen und Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Schneidewind (ebenfalls Grüne) ist Oberbürgermeister von Wuppertal und Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit. Bis 2020 war er Präsident des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Schon bei der Ankunft in einer neuen Stadt ist es häufig unübersehbar: Universitätsstadt, Hochschulstadt, Wissenschaftsstadt. Solche Prädikate werden stolz auf die gelben Ortseingangsschilder oder die blauen Willkommensschilder am Bahnhof geschrieben - und das ganz zu Recht.

Denn die Hochschule ist ein zentraler Knotenpunkt der Stadtgesellschaft vor Ort. Sie lockt wissensdurstige Studierende aus aller Welt ebenso an wie arrivierte Professor*innen. In Seminaren und Laboren werden neue Ideen ausgetüftelt, die dann – jenseits des Campus – Wirtschaft und Zivilgesellschaft vor Ort inspirieren. Und eine große Arbeitgeberin mit ihren Mensen, Bibliotheken und Kliniken ist sie sowieso.

Das ganze Potential der Hochschulen ist damit aber noch lange nicht gehoben. Die Bewältigung der Klimakrise ist die große Aufgabe unserer Zeit und wir meinen: Der Campus ist dabei nicht nur der Ort, um neue Lösungen für die klimaneutrale Gesellschaft zu erdenken und zu entwickeln, sondern auch ganz konkret der Raum, um sie praktisch umzusetzen.

Hochschulen sind das ideale Reallabor

In Hochschulen steckt alles, was wir brauchen, um den Weg zur Klimaneutralität als Pionierinnen zu beschreiten. Hier wird nicht nur gelehrt und geforscht, sondern auch gelebt, gebaut, gegessen, gereist und vieles, vieles mehr. Ein solcher Kosmos ist darum das ideale Reallabor, neue Ideen praktisch zu erproben und so eine Strahlkraft weit über die Grenzen des Campus hinaus zu entfalten.

Erste, erfolgreiche Beispiele gibt es längst: Studentische Nachhaltigkeitsbüros, kluge Energiesparsysteme, Solarpanels auf den Dächern. Das sind die Erfolge ökologischer Graswurzel-Initiativen auf dem Campus, die jetzt mit Students und Scientists for Future einen neuen Schub bekommen haben. Dieses Engagement – das vielerorts schon Hand in Hand mit progressiven Uni-Leitungen und Verwaltungen geht – müssen wir stärken und unterstützen.

Es braucht ein Bundesprogramm für klimaneutrale Wissenschaft

Die künftigen Wissenschaftspakte des Bundes müssen die Klima- und Nachhaltigkeitskomponente ganz anders verankern, auch ein Sonderprogramm für klimaneutrale Wissenschaft ist nötig. Genau das sind die Notwendigkeiten der Stunde, wenn wir das Transformationspotential der Wissenschaft nicht im Labor verstauben lassen wollen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Pandemiekrise hat auch die Hochschulen auf den Kopf gestellt. Studium, Lehre und Forschung waren oft nur mit viel Kreativität und Anstrengung möglich. Ausgerechnet jetzt wollen wir sie auch noch mit Klimaschutzerwartungen fordern, womöglich sogar überfordern?

Ganz im Gegenteil. Denn mit einem Programm für die klimaneutrale Wissenschaft werden ja gerade neue Möglichkeitsräume eröffnet, die auch bei der Lösung altbekannter Probleme helfen. Die Infrastrukturen des Wissens sind vielerorts marode, es zieht in den Hörsälen und tropft in den Bibliotheken. Die IT-Infrastruktur ist längst nicht überall auf der Höhe der Zeit, auch das hat spätestens die Pandemie bewiesen.

Überfällig, nachhaltige Modernisierung voranzutreiben

Hier die klimagerechte, nachhaltige Modernisierung voranzutreiben, ist sowieso längst überfällig. Jetzt darf es keine Flickschusterei auf Sparflamme geben, sondern ökologische Referenzbauten und Green-IT. Die Wirkung ginge dabei weit über den Campus hinaus. Einerseits wird die Hochschule zum Wegweiser für andere Sektoren, indem sie vormacht wie es geht. Kultureinrichtungen, Verwaltung oder Unternehmen werden folgen.

Andererseits durch ihre vielfältige Vernetzung in die Gesamtgesellschaft. Nachhaltige Verkehrskonzepte können zusammen mit dem ÖPNV entwickelt werden. Nachhaltige Beschaffung für Mensen, Büros und Labore schafft zusätzliche Innovationsanreize für die regionale Wirtschaft. Mit digitalem, ortsunabhängigerem Arbeiten und Lernen gibt es ganz neue Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft, Wirtschaft und öffentlichen Einrichtungen.

Die Third Mission der Wissenschaft, also der Transfer von Wissen und Technologien in die Breite der Gesellschaft, kann damit endlich ihr ganzes transformatives Potential entfalten und ökologische, soziale und technologische Innovationen entfachen. Dann wird es sicher nicht mehr lange dauern, bis zum ersten Mal „Klimaneutrale Hochschulstadt“ am Ortseingang zu lesen ist.

Kai Gehring, Uwe Schneidewind

Zur Startseite