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Die Studie zur Hausarztzentrierten Versorgung zeigt: Wer erst zum Hausarzt geht, dessen Gesundheit profitiert.

© imago/blickwinkel

Medizinische Versorgung: Wer erst zum Hausarzt geht, ist gesünder

Die Hausarztzentrierte Versorgung gibt es seit zehn Jahren. Eine Evaluation belegt jetzt eindrücklich den Nutzen des Konzepts.

"Man muss sich wundern, warum dieses Beispiel nicht schon bundesweit Schule gemacht hat", sagt Joachim Szecsenyi. Der Ärztliche Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin am Uniklinikum Heidelberg meint die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV). "Würde es sich um ein Medikament handeln, dann wäre das ein Blockbuster." Ein wirksamer und lebensverlängernder noch dazu, zeigt jetzt eine Studie.

Seit zehn Jahren können sich Versicherte der AOK in Baden-Württemberg in das HZV-Programm einschreiben, sich also für mindestens zwölf Monate verpflichten, zu einem von ihnen gewählten Hausarzt zu gehen. Er dient als Lotse: Bestimmte Fachärzte können die Teilnehmer nur auf seine Überweisung hin zu Rate ziehen. Ausnahmen sind Gynäkologen, Augenärzte und natürlich Mediziner, die im Notfall gebraucht werden.

Abendsprechstunde, kürzere Wartezeiten: Das Programm bietet Vorteile

Grundlage des Systems ist eine Vereinbarung der AOK mit dem Hausärzteverband und dem Medi Verbund Baden-Württemberg, einem Zusammenschluss von Ärztenetzen. Für Mediziner ist dieser Selektivvertrag unter anderem wegen der Vergütung auf der Basis von Pauschalen attraktiv. Den Patienten bringt er ganz praktische Vorteile – etwa das Angebot einer Abendsprechstunde für Berufstätige, Begrenzung der Wartezeit und Unterstützung bei der kurzfristigen Terminvereinbarung bei Fachärzten oder Psychotherapeuten. 1,6 Millionen AOK-Versicherte machen derzeit in Baden-Württemberg von diesem Angebot Gebrauch, rund 4000 Haus-, Kinder- und Jugendärzte machen mit, vor allem ältere, mehrfach kranke Patienten. 60 Prozent von ihnen sind chronisch krank.

Von Anfang an wurde das Projekt durch Studien der Allgemeinmediziner der Unikliniken in Heidelberg und Frankfurt am Main begleitet. Zum Zehnjährigen warten die Forscher nun mit einer neuen Evaluation auf, deren Ergebnisse am Dienstag in Berlin vorgestellt wurden. "Wir erkennen nun, dass die eingeschriebenen Patienten von Jahr zu Jahr mehr von der HZV profitieren, und dass es sich nicht um ein anfängliches Strohfeuer handelt", sagte Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Uni Frankfurt am Main. Das sei umso bemerkenswerter, als vergleichbare Veränderungen in der Struktur der Patientenversorgung in Großbritannien mit der Zeit einen Rückgang an Effektivität gezeigt hätten.

Die Teilnehmer waren gesünder und fehlten weniger auf Arbeit

Wer sich in das Programm einschreibt und damit für einen festen hausärztlichen Ansprechpartner entscheidet, lässt sich zum Beispiel eher gegen die Grippe impfen als gleich alte Versicherte mit ähnlichem Gesundheitszustand: 20.000 Influenza-Impfungen mehr gab es im Jahr 2016 bei den HZV-Teilnehmern über 60 Jahre. Dafür bekamen sie deutlich weniger Medikamente verschrieben, vor allem solche, die als "potenziell inadäquat" einzustufen sind. Sie mussten seltener ins Krankenhaus und konnten schneller wieder entlassen werden.

Im Einklang mit den fachlichen Leitlinien wurden bei Teilnehmern mit unspezifischen Rückenschmerzen seltener bildgebende Verfahren eingesetzt, sie fehlten seltener bei der Arbeit, ihre Schmerzen wurden nicht so häufig chronisch. Die Forscher fanden zudem heraus, dass es unter den teilnehmenden Diabetikern seltener zu Amputationen und Erblindungen kam – Spätschäden, die die Folge mangelnder Aufmerksamkeit und unzureichender Medikation sein können. Gerlach sieht einen besonderen Vorzug des HZV-Programms darin, dass die teilnehmenden Mediziner sich regelmäßig fortbilden und an Sitzungen von Qualitätszirkeln teilnehmen müssen.

Bessere Chancen auf ein längeres Leben

Bei aller Vorsicht kann man der aktuellen Evaluation noch eine weiter gehende gute Nachricht entnehmen: "Die Teilnehmer haben bessere Chancen auf ein längeres gesundes Leben", sagte Szecsenyi. Über einen Untersuchungszeitraum von fünf Jahren gab es unter ihnen 1700 Todesfälle weniger als bei gleich alten Versicherten der Regelversorgung mit anfangs vergleichbarem Gesundheitszustand.

Beim Konzept der HZV, das 2004 erstmals im Sozialgesetzbuch V verankert wurde, handelt es sich um ein "Primärarztsystem", das aber auf freiwilliger Basis funktioniert. Den Pionieren in Baden-Württemberg folgten im Lauf der Jahre im ganzen Land andere nach, sodass im Jahr 2018 insgesamt 4,8 Millionen Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen an vergleichbaren Programmen teilnehmen. Eine Besonderheit des AOK-Angebots ist allerdings das ergänzende Facharztprogramm, in dessen Rahmen fast 2000 Ärzte und Psychotherapeuten über 600.000 Versicherte betreuen.

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