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Endergebnis eines DNA-Sequenzierungsprozesses. Jede Farbe repräsentiert eine der vier Basen, aus denen DNA besteht (Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin).

© Gerald Barber, Virginia Tech University (mit Genehmigung der National Science Foundation)

Exklusiv

Medizinische Erbgutforschung: Deutschland tritt EU-Genomprojekt bei

Eine Million Komplett-Datensätze menschlicher Gene: Deutschland wird nach Informationen von "Tagesspiegel Background" heute dem Genomprojekt der EU beitreten.

Die Bundesrepublik wird heute ihren Beitritt zum „One Million Genome Project“ der EU erklären.

Damit wir auch von deutscher Seite der europaweite Austausch von genomischen und anderen Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken ermöglicht. Das erfuhr "Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health" vorab vom Bundesforschungsministerium (BMBF).

Ministerin Anja Karliczek wird demnach heute zusammen mit Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) die „Declaration of Cooperation – Towards Access to at least 1 Million Sequenced Genomes in the European Union by 2022” unterzeichnen.

Eine Million Datensätze bis 2022

„Die Unterzeichnerstaaten der Deklaration vereinbaren eine Zusammenarbeit, um eine Nutzung von genomischen und weiteren Gesundheitsdaten über die Grenzen der Europäischen Union hinweg zu ermöglichen.“ Bis sind 20 EU-Staaten dem Abkommen beigetreten. Ins Leben gerufen wurde die Initiative 2018. Ziel ist es, bis 2022 mindestens eine Million Genomdatensätze gesammelt zu haben. Diese sind, kombiniert mit neuen molekulargenetischen Techniken, inzwischen unverzichtbarer Bestandteil medizinischer Forschung.

Experten befürchten, dass Europa und insbesondere Deutschland hier den Anschluss an etwa die USA und China verlieren wird, wo umfassende Genomdatensätze vorliegen.

„Genomische Daten sind besonders relevant bei der Suche nach neuen Erkenntnissen über Erkrankungen und deren Heilung und ermöglichen wichtige Fortschritte in der Gesundheitsforschung und in der Patientenversorgung, insbesondere zum Beispiel bei Krebserkrankungen“, erklärte das BMBF auf Anfrage. Zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte es im vergangenen Jahr die „Dekade gegen Krebs“ ausgerufen.

Bei der Suche nach neuen Krebstherapien wird der genetischen Forschung eine - wenn nicht die - zentrale, Rolle zugeschrieben. Bislang ist Deutschland hier von Daten aus dem Ausland abhängig. Zudem gelten durch das Gendiagnostikgesetz viel stärkere Restriktionen als in anderen Ländern, wenn es um die Sequenzierung von Genomen zur Analyse medizinisch relevanter Erbanlagen geht. Privat ist dies hierzulande, anders als etwa in den USA, nicht zulässig.

Lange Vorbereitungsphase

Das BMBF betont, dass es sich bei genomischen Daten um „besonders sensible Gesundheitsdaten“ handle. „Deutschland wird sich daher besonders für ein hohes Niveau in den Bereichen Datensicherheit und Datenschutz einsetzen.“ Schon im Vorfeld seien von beiden Ministerien Beobachter in die zehn Arbeitsgruppen der Genominitiative entsandt worden, die mit dem Beitritt nun auch ein Mitspracherecht bekommen.

Die Arbeitsgruppen befassen sich unter anderem mit ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen, mit gemeinsamen Datenstandards, einer „guten Sequenzierungspraxis“, mit Fragen der Gesundheitsökonomie und -forschung und der Beteiligung des privaten Sektors. Außerdem analysieren jeweils eigene Arbeitsgruppen Anwendungsfälle für seltene Krankheiten, Krebs und häufige komplexe Erkrankungen.

"Daten-Spenden" vorerst noch nicht möglich

Bis Bürger Genomdaten spenden können, wird es allerdings noch dauern. So würden, heißt es vom BMBF, in allen Unterzeichnerländern erst einmal „nationale Spiegelgruppen“ etabliert, „um die Aktivitäten mit nationalen und regionalen Programmen zu verschränken“. Bis Mitte 2021 soll dann „die detaillierte Arbeitsplanung und Erarbeitung der Anforderungen abgeschlossen sein“. Erst dann könnten „Strategien für eine grenzüberschreitende Nutzung von genomischen und phänotypischen Daten erarbeitet werden“.

Bis Ende dieses Jahres soll es dafür „eine erste Auswahl von Teststandorten“ geben, an denen der sichere Austausch von Genomdaten erprobt werden soll. Genomspenden seien dann etwa „im Rahmen von klinischen Behandlungen“ möglich, heißt es beim BMBF. Die Berücksichtigung von Datenschutzanforderungen und -sicherheitsverfahren habe auch hier aber Priorität.

Die Datenspende ist ein Konzept, das auch von Gesundheitsminister Spahn favorisiert wird. Perspektivisch dürfte es dabei darum gehen, genomische und andere Gesundheitsdaten freiwillig über die elektronische Patientenakte zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen. Einher ginge dies mit der Frage, wie diese Daten innerhalb der EU vereinheitlicht und ausgetauscht werden können. Es ist ein Thema, das im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in diesem Jahr auf die Tagesordnung gesetzt werden dürfte.

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