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In den USA ist S-Ketamin bereits für die Behandlung von Depressionen zugelassen.

© Oliver Berg/dpa

Medikamente gegen psychische Erkrankung: Wie wirkt Ketamin gegen Depressionen?

Seit März ist Ketamin in den USA zur Behandlung von Depressionen zugelassen. Die Hoffnungen sind groß. Nun zeigt eine Studie, wie die Substanz im Gehirn wirkt.

Anfang März gab es eine gute Nachricht für Depressionspatienten: Zum ersten Mal seit 30 Jahren ließ die US-Arzneimittelbehörde FDA einen neuartigen Wirkstoff zur Behandlung von schweren Formen der Erkrankung zu. Spätestens seitdem gilt der schon lange als Narkosemittel und illegale Partydroge eingesetzte Arzneistoff Ketamin als Hoffnungsträger in der Depressionstherapie. Das Nasenspray mit dem Wirkstoff Esketamin, einer Spiegelbildversion des Ketamin, darf bei Patienten eingesetzt werden, die zuvor erfolglos mit mindestens zwei herkömmlichen Antidepressiva behandelt wurden. Nun hat ein Forschungsteam an Mäusen erkundet, wie Ketamin im Gehirn wirkt. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht. Demnach sorgt Ketamin für die verstärkte Bildung bestimmter Vorwölbungen auf Nervenzellen, sogenannten Dornenfortsätzen oder dendritischen Dornen. Diese beeinflussen die Signalübertragung zwischen Nervenzellen. Frühere Arbeiten hatten eine Abnahme der Komplexität und Dichte der Fortsätze bei Depressiven gezeigt.

Ketamin beeinflusst die Dornenfortsätze von Nervenzellen

Die Forscher um Conor Liston und Rachel Moda-Sava vom Weill Cornell Medical College der Cornell University in New York hatten für ihre Studie Mäuse verwendet, die für Depressionen typische Symptome zeigen. Die Tiere wurden dafür unter andauernden Stress gesetzt oder bekamen über Wochen das Stresshormon Corticosteron verabreicht. Die depressiven Aspekte ihres Verhaltens gehen der Analyse zufolge auf das Verschwinden dendritischer Dornen im sogenannten präfrontalen Cortex an der Stirnseite des Gehirns zurück.

Bekamen die Tiere Ketamin verabreicht, spross zumindest ein Teil der Fortsätze wieder und die Depressions-Symptome schwanden. Wahrscheinlich werde mit den Dornen die ursprüngliche Kommunikation zwischen den Nervenzellen weitgehend wiederhergestellt, vermuten die Forscher. Allerdings blieben nur 45 Prozent der Fortsätze mindestens vier Tage erhalten, der Rest ging rasch wieder verloren. Das könne die beobachtete plötzliche Rückkehr depressiver Symptome eine Woche nach einer Behandlung mit Ketamin erklären, so die Forscher. Sie sehen es deshalb als vielversprechenden Weg gegen Depressionen an, den Verfall der Fortsätze mit speziellen Therapien langfristig zu unterbinden.

Ketamin wirkt schneller als alle anderen Antidepressiva

Der große Vorteil von Ketamin sei die mögliche schnelle Wirkung, sagt Malek Bajbouj, Leiter des Bereichs Affektive Neurowissenschaften der Berliner Charité. Mehr als 150 Patienten wurden an seiner Klinik im Rahmen von Studien und Heilversuchen bereits damit therapiert. Bei etwa einem Drittel habe sich binnen Stunden bis Tagen ein Effekt gezeigt – bei herkömmlichen Antidepressiva vergehen meist mehrere Wochen. Auch mit Depressionen einhergehende Suizidgedanken könnten bei einem Teil der Patienten schnell gebannt werden, sagt Bajbouj. Allerdings halte der antidepressive Effekt nicht selten nur für einige Tage an. Ketamingaben würden daher üblicherweise wiederholt. Bei Betroffenen mit einer langen, schweren Depression schlage Ketamin allerdings häufig nicht an, vor allem wenn diese zusätzlich Abhängigkeiten oder Angststörungen hätten.

Auch für die EU sei der Antrag auf die Zulassung von Esketamin bereits gestellt, sagt Bajbouj. Bis zu einer Zulassung könne es aber noch dauern. Patienten müssen nach der Verabreichung für einige Stunden im Blick behalten werden, weil die Substanz halluzinogen wirkt – nicht umsonst wird Ketamin unter dem Namen „Special-K“ weit verbreitet als Partydroge genutzt. Menschen erleben im Ketamin-Rausch oft Halluzinationen oder dissoziative Zustände, bei denen sich Körper und Geist zu trennen und wieder neu zusammenzusetzen scheinen. Dieser psychedelische Effekt könnte den Wunsch nach Wiederholung groß werden lassen, sagt Bajbouj.

Nebenwirkungen bislang überschaubar

Ob auch die Gefahr einer körperlichen Abhängigkeit besteht, müsse erst noch geklärt werden. „Das wird ein Hauptaugenmerk der Zulassungsbehörden sein“, ist Bajbouj überzeugt. Bei den 15- bis 20-Jährigen in Berlin gehöre Ketamin derzeit zu den Top-5 der Partydrogen. Mitunter ende der Missbrauch allerdings mit der Aufnahme in der Notaufnahme – unter anderem wegen beängstigender Horrortrips, K-Hole genannt. „Unsere große Sorge war, dass das auch bei der therapeutischen Anwendung ein Problem sein könnte“, erklärt der Psychiater. Bei den mehr als 150 Patienten in Berlin sei dies aber nur zwei Mal in sehr milder Form vorgekommen. Mögliche Gründe dafür seien die unterschiedliche Dosierung und Art der Einnahme. „Bei der Therapie wird Ketamin intravenös und sehr langsam verabreicht.“

Das langfristige Ziel sei, Rückfälle zu verhindern, sagt Bajbouj. Die in „Science“ präsentierte Studie liefere wichtige Grundlagen für Ansätze dafür. Demnach sind intakte Dornenfortsätze entscheidend für einen anhaltenden antidepressiven Effekt. Zu klären sei allerdings noch, ob sich die Dornenfortsätze nach der Gabe herkömmlicher Antidepressiva so rasch wie bei Ketamin-Gabe bilden, sagt Bajbouj. „Falls dem so ist, würde das bedeuten, dass andere Faktoren für die schnelle Wirkung von Ketamin entscheidend sind.“ In der vorliegenden Studie habe es eine solche Kontrollgruppe leider nicht gegeben. (fsch/dpa)

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