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Stammt die Kupfertechnologie aus Asien oder vom Balkan? Bei der Antwort hilft Mathematik. Im Bild die Darstellung eines Kupferschmieds auf dem Relief des Minucius Optatus, 1. Jahrhundert, römisch.

© bpk / DeA Picture Library / A. D

Mathematik und Archäologie: Wie das Neue in die Welt kam

Archäologen erheben enorm viele Daten. Formeln und Modelle helfen, sie noch genauer auszuwerten - Ein Projekt des Exzellenzclusters Math+

Archäologie und Mathematik – auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Doch die Archäologie verfügt in großem Maße über das, was Mathematiker lieben: Daten. Je mehr, desto besser. Hier kommen beide Wissenschaften zusammen. Im Projektbereich „Emerging Fields 5“ des Exzellenzclusters Math+ wird die Anwendbarkeit mathematischer Prozesse auf die Archäologie untersucht.

Moderne rechnergestützte Methoden können helfen, die immensen Datenmengen auszuwerten, die Archäologen während ihrer Grabungen und Surveys gewinnen. „In den Altertumswissenschaften wird der gesellschaftliche Wandel gezeigt und verfolgt. Wir wollen die dem Wandel zugrunde liegenden Prozesse durch Abgleich von Theorien und Daten verstehen lernen“, sagt Rupert Klein, Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin und einer der Koordinatoren von „Emerging Fields 5“. „Die Mathematik stellt ausgefeilte Methoden für einen solchen Abgleich bereit.“

Die Idee geht auf Vorarbeiten von Kleins Arbeitsgruppe aus Zeiten zurück, als er noch am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung arbeitete. Dort betreute er einen Doktoranden, der über die mathematische Formalisierung des Begriffes „Verletzlichkeit“ (englisch: Vulnerability) promovierte. Ausgehend vom Eintrag zu diesem Begriff im „Oxford English Dictionary“ habe dieser recherchiert, wie verschiedene Wissenschaftsdisziplinen den Begriff verwendeten. Am Ende fand er 36 Varianten allein im Bereich der Klimawirkungsforschung, die er dann im Rahmen seiner Doktorarbeit in ein einheitliches mathematisches Modell goss. Dieses half im Anschluss, Klarheit in die ansonsten von vielen Missverständnissen geprägten Diskussionen um den Verletzlichkeitsbegriff zu bringen.

Wie hat sich das Wollschaf ausgebreitet?

Diese Erfolgsgeschichte brachte die Mathematiker im Exzellenzcluster Math+ auf die Idee, ähnliche Strukturanalysen auch in der Altertumswissenschaft zum Einsatz zu bringen und sie mit modernen Analysetechniken zur Auswertung der großen archäologischen Datenmengen zu kombinieren. „Ein ähnlich vielschichtiger Begriff ist zum Beispiel ,Diffusion‘. Er kommt ursprünglich aus der Physik, wird aber auch in der Altertumswissenschaft verwendet. Sind dies nur Analogien an der Oberfläche oder liegen in beiden Wissenschaftsbereichen tatsächlich in ihren Grundstrukturen gleichgeartete Prozesse vor?“, fragt Klein.

Um komplexe Strukturen verstehen zu können, die mittels mathematischer, computergestützer Analysetechniken aus großen Datensammlungen extrahiert werden, müssen sie mit den wissenschaftlichen Konzepten der Archäologie in Verbindung gebracht werden. In diesem Spannungsfeld soll die Mathematik eine entscheidende Brückenfunktion einnehmen: Können wir archäologische Theorien in mathematische Modelle gießen, und was können wir aus diesen im Abgleich mit den Datenarchiven lernen?

Ein erstes Projekt in diese Richtung hat Natasa Djurdjevac-Conrad vom Zuse Institute Berlin (ZIB) zusammen mit Altertumsforschern aus dem Exzellenzcluster Topoi durchgeführt. Sie wollte anhand der Verbreitung des Wollschafs aus dem Vorderen Orient nach Europa im Zeitraum von 6000 bis 4000 vor Christus zeigen, wie sich Innovationen ausbreiten und durchsetzen. Denn das Wollschaf stand am Anfang der menschlichen Textilproduktion, ein komplexer Veränderungsprozess, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielten. Gab es genug Wasser und Futter? War der Fundort des Schafes auch der Herkunftsort oder wurde es von Händlern dorthin getrieben? Wie waren die klimatischen Bedingungen, die eine Zucht ermöglichten? Handelte es sich um ein Woll- oder ein Haarschaf? Wurden Spinnwirtel und Spindel gefunden?

Ausgrabungen im direkten Umfeld der Kupfervorkommen von Mes Aynak ca. 30 km südlich von Kabul legten weite Bereiche einer Siedlung und buddhistischer Klosteranlagen der Kuschan und Shahi-Zeit (2.-9. Jahrhundert n. Chr.).
Ausgrabungen im direkten Umfeld der Kupfervorkommen von Mes Aynak ca. 30 km südlich von Kabul legten weite Bereiche einer Siedlung und buddhistischer Klosteranlagen der Kuschan und Shahi-Zeit (2.-9. Jahrhundert n. Chr.).

© J. Thomalsky, DAI

Angesichts der behandelten Zeitspanne sind die Daten nur fragmentiert verfügbar. „Wir bauen also ein mathematisches Modell, um den Prozess der Ausbreitung zu verstehen“, sagt Djurdjevac- Conrad. „Was könnten die wahrscheinlichsten Faktoren sein, die die Ausbreitung des Schafes beeinflussten, und wie haben diese sich ausgewirkt?“

Dabei wurden auch Ansätze aus der Physik und der Chemie einbezogen. Djurdjevac-Conrad entwickelte ein theoretisches Modell, das Konzepte aus der Moleküldynamik auf die Prozesse in der Altertumswissenschaft überträgt. „Letztendlich geht es darum, wie sich eine Idee verbreiten kann. Manches beeinflusst sich, kann sich verstärken oder auch in Konflikt miteinander geraten. Letztendlich versuchen wir, Begriffe zu formalisieren“, sagt sie. Dabei ist die Wissenschaftlerin auf die Daten der Archäologen angewiesen. „Ohne sie könnten wir gar nichts machen. Archäologie und Mathematik treten in einen Dialog, und wir müssen eine neue, gemeinsame Sprache entwickeln. Für uns steht am Ende eine Formel – die Archäologen haben ihre Objekte und ihre Bücher.“

Das Deutsche Archäologische Institut ist Partner

Innerhalb von Math+ ist das Deutsche Archäologische Institut (DAI) der wesentliche archäologische Projektpartner. „Wir verfügen über gigantische Datenmengen. Die Zusammenarbeit im Projektbereich ,Emerging Fields 5‘ zielt darauf ab, diese zu erschließen“, sagt Benjamin Ducke vom DAI. „Mathematiker entwickeln Konstrukte, wir sehen, was der Transformationsprozess gebracht hat. Wir gehen aus von der archäologischen Evidenz, arbeiten datengetrieben und induktiv und schauen am Ende, welche Modelle die Verbreitung des innovativen Produkts so gut erklären, dass diese Erklärung mit den Funden übereinstimmt.“

Auch in die Mauern von Mes Aynak südlich von Kabul wurde der grüne Stein verbaut (
Auch in die Mauern von Mes Aynak südlich von Kabul wurde der grüne Stein verbaut (

© Foto: J. Thomalsky, DAI)

Dann könne man aus den Modellen lernen und zum Umkehrschluss übergehen. Auch Archäologen schauten schon immer nach Ordnungen und Strukturen. Ansätze zur Mathematisierung der Archäologie habe es schon in den 60er und 70er Jahren gegeben, allerdings seien diese durch die reine Digitalisierung verdrängt worden. Jetzt gehe die angewandte Mathematik neue Wege und damit erlebe das quantitative Denken eine Renaissance.

Eine Unsicherheit in all diesen mathematischen Modellen sei allerdings der Faktor Mensch, gibt Djurdjevac-Conrad zu bedenken. „Wir müssen auch stochastische Elemente berücksichtigen. Das Ziel ist am Ende ein Modell, in dem die Top Ten der Faktoren genannt werden können, die zu dieser bestimmten Entwicklung geführt haben.“ Dabei gehe es auch darum, Faktoren des „Entwicklungsstaus“ zu erkennen, sagt Djurdjevac-Conrad. Beim Schaf waren das etwa Berge, die die Verbreitung behinderten.

Ein neues Projekt untersucht nun die Verbreitung der Kupfertechnologie, die nach bisheriger Lehrmeinung aus Asien stammen sollte. Doch neuere Funde legten nahe, dass diese auch auf dem Balkan entwickelt wurde. Ein anderes Vorhaben, ebenfalls in Partnerschaft mit dem DAI, untersucht datengestützt die Romanisierung Nordafrikas.

Letztendlich seien diese Modelle auch auf die Gegenwart anwendbar. „Wie breiten sich ,Fake News‘ und soziale Medien aus? Die Frage nach der Verbreitung einer Innovation ist immer interessant“, sagt Djurdjevac-Conrad. Und so könnte am Ende die mathematische Formalisierung archäologischer Entwicklungen auch dabei helfen, das Heute besser zu verstehen.

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