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Made in Berlin. Viele Autos navigieren mit Algorithmen aus der Hauptstadt.

© Getty Images/iStockphoto

Mathe und Verkehr: Mobil mit Algorithmen

Nie wieder Stau! Davon träumen viele Autofahrer. Matheon-Forscher entwickeln Formeln, die den Traum endlich wahr werden lassen könnten.

Egal ob Auto, Flugzeug oder Bahn. Wer heute durch Deutschland und die Welt reist, bewegt sich dabei oft auf Strecken, die nach Berliner Formeln kalkuliert wurden. Denn vom Fahrplan bis zur Flugroute wird die Steuerung des Verkehrs berechnet. Am häufigsten bemerkt man das bei der Benutzung eines Navigationssystems im Auto. Und auch die technologischen Fortschritte sind dort am augenfälligsten: Längst werden Staus in Echtzeit angezeigt und alternative Routen vorgeschlagen. Das ist einerseits dadurch möglich, dass heutzutage viel mehr Daten über den tatsächlichen Verkehr zur Verfügung stehen. Doch diese Informationen allein nutzen erst einmal wenig. „Auch wenn man die Daten hat, braucht man Algorithmen, die damit etwas anfangen können“, sagt Leon Sering, Wissenschaftler an der Technischen Universität Berlin (TU). Er ist einer von denen, die solche Formeln entwerfen.

Viele dieser Algorithmen und auch wichtige mathematische Grundlagen dafür sind am Matheon-Forschungszentrum entstanden. „Wir haben das Standardmodell für Benutzergleichgewichte in Verkehrsflüssen entwickelt“, sagt Martin Skutella, Professor für Mathematik und Informatik an der TU Berlin. Dabei greifen die Wissenschaftler auf die Spieltheorie zurück: Sie nehmen an, dass jeder Fahrer egoistisch handelt und auf schnellstem Weg ans Ziel kommen will. Doch abhängig davon, wie sich jeder Einzelne entscheidet, verändert sich der Verkehr – was wiederum Auswirkungen auf die künftigen Entscheidungen hat. Viele der Matheon-Forscher arbeiten heute für den niederländischen Spezialisten TomTom, darunter auch Heikon Schilling, der dort inzwischen den Bereich Navigation leitet.

Nie wieder Stau, wissenschaftlich ist das längst gelöst

Gerade bei der Prognose von Verkehrsflüssen, Staus und der Frage, ab wann die Reaktionen der Fahrer wieder zu neuen Problemen führen, haben die Wissenschaftler noch viel zu tun. „Mathematisch steckt das noch in den Kinderschuhen“, sagt Sering, „wir stehen dabei noch sehr am Anfang.“ Ähnliches gilt für autonome Fahrzeuge, die genau solche Algorithmen benötigen. Denn dann würden nicht nur einzelne Fahrer egoistische Entscheidungen treffen, sondern in Flotten autonomer Fahrzeuge könnten diese auch untereinander kooperieren.

Dann dürfte auch das leidige Ärgernis der Staus aus dem Nichts enden. Wissenschaftlich ist das längst gelöst: „Sobald der Verkehr eine gewisse Dichte erreicht, tritt der Effekt von wandernden Stauwellen auf“, sagt Skutella. Einzelne Fahrer bremsen kurz, die Folgeeffekte verstärken sich dann. „Das ist auch ein Artefakt der menschlichen Unzulänglichkeit“, sagt Skutella. „Wir können uns also alle darauf freuen, wenn einmal keine Menschen mehr am Steuer sitzen.“

Deutsche Bahn und BVG nutzen bereits das Know-how

Doch die mathematische Verkehrsoptimierung made in Berlin spürt man längst nicht nur im Autoverkehr. Bei der Umlaufplanung nutzt die Deutsche Bahn seit 2013 die Software Rotor – entwickelt ebenfalls in Kooperation mit Matheon. „Im Vergleich zu Flugzeugen oder Bussen war das viel schwieriger zu modellieren“, sagt Ralf Borndörfer, Leiter des Fachbereichs Mathematische Optimierung am Zuse Institut Berlin (ZIB). Denn im Gegensatz zu den anderen Transportmitteln bestehen die Züge aus verschiedenen Teilen, die während der Strecken in unterschiedlichen Varianten gekoppelt werden.

Borndörfer und sein Team haben aber auch für viele Nahverkehrsunternehmen gearbeitet und beispielsweise 2010 eine neue Linienplanung für Potsdam entwickelt. Auch die BVG nutzt das Know-how des ZIB. „Bei uns wurden Methoden entwickelt, um die Umsteigezeiten zu optimieren, ohne die Takte der U-Bahn zu verändern“, sagt Borndörfer. Dadurch konnte die Aufenthaltszeit um bis zu 30 Prozent reduziert und ein Zug eingespart werden.

Auch Flugrouten lassen sich optimieren

Mit der Modellierung und Optimierung von Flugrouten beschäftigen sich die Wissenschaftler ebenfalls. Allerdings ist eine simple Übertragung der Modelle nicht so einfach möglich. „Viele Methoden funktionieren im Flugverkehr nicht“, sagt Borndörfer. Denn einerseits gibt es in der Luft viel weniger Hindernisse und daher direktere Verbindungen. Die Graphen und Flussdiagrammen kommen daher mit viel weniger Knotenpunkten aus. Dafür müssen andere Faktoren berücksichtigt werden, vor allem das Wetter, aber auch der Spritverbrauch und das von der getankten Kerosinmenge abhängige Gewicht.

In den vergangenen Jahren haben zudem der Luftverkehr und die Reglementierungen stark zugenommen. So wird inzwischen in einem Handbuch mit mehreren hundert Seiten festlegt, wie sich die Flugzeuge auf dem Liniennetz verhalten müssen. „Die älteren Algorithmen tun sich aber schwer damit, wir brauchen jetzt eine neue Generation “, sagt Borndörfer. Genau die haben die Experten inzwischen auch entwickelt. Nun müssen sie nur noch in die Software der Flugroutenplanung implementiert werden.

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