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Nachschub an Nieren. Forscher arbeiten daran, Nieren und andere Organe im Labor wachsen zu lassen.

© (c) VICTOR DE SCHWANBERG/SPL / A

Mangel an Spenderorganen: Forscher arbeiten an Organen aus dem Labor

Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen, weil es für sie kein Spenderorgan gibt. Forscher suchen nach Alternativen. Sie lassen Nieren wachsen, bauen Herzen und züchten Schweine.

Auf den neuseeländischen Auckland-Inseln lebt eine Schweinerasse, die äußerst begehrt ist. Nicht wegen ihres Fleischs, sondern wegen ihrer Organe. Das Unternehmen Living Cell Technologies entnimmt ihnen zum Beispiel Teile der Leber und Ärzte setzen das Gewebe dann Patienten ein, deren Leber nicht richtig arbeitet. Schweine eignen sich als Spender, weil ihre Organe anatomisch denen des Menschen ähneln. Das besondere an den Auckland-Schweinen: Sie haben sich 200 Jahre lang abgeschirmt von Säugetieren und vom Menschen entwickelt – und tragen nach bisherigem Wissen keine Keime in sich, die den Menschen krank machen könnten. „Das sind Diamanten auf vier Beinen“, sagt Bruno Reichart vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Reichart und andere Forscher hoffen, dass Xenotransplantationen, bei denen tierische Organe in den Menschen verpflanzt werden, eines Tages helfen werden, den dramatischen Mangel an Spenderorganen auszugleichen. Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen, weil es für sie kein Spenderorgan gibt. Der jüngste Skandal um Manipulationen der Warteliste an den Unikliniken Göttingen und Regensburg hat das Problem verschärft. Aber der Mangel an Ersatzorganen ist ein grundsätzliches Problem (siehe Grafik). Zum Einen erklären sich nur wenige Menschen zu Lebzeiten zu einer Spende bereit. Außerdem dürfen Organspender nicht zu alt sein, und ihre Organe müssen sofort nach ihrem Hirntod maschinell mit Blut versorgt werden.

Xenotransplantationen werden zurzeit etwa bei Diabetes-Patienten getestet. 22 Patienten mit Typ-1-Diabetes wurden bereits mit Bauchspeicheldrüsenzellen aus Auckland-Schweinen versorgt. Normalerweise stößt die Körperabwehr tierisches Gewebe sofort ab. Damit es dazu nicht kommt, versteckt das neuseeländische Unternehmen die Zellen in einer Hülle aus Alginat, einem Stoff aus Algen, der auch in Fertigsoßen steckt. Wasser und Blutzucker können durch kleine Poren passieren. Insulin gelangt ebenfalls nach außen und regelt den Blutzuckerspiegel im Körper. Etliche Hundert Tage tragen einige Transplantierte die kleinen Kapseln vom Schwein schon in sich. Die tierischen Zellen alleine produzieren bisher allerdings nicht genug Insulin, so dass alle Patienten weiterhin Insulin als Medikament einnehmen müssen.

„In wenigen Jahren werden Ärzte die Schweinezellen in den Behandlungskatalog für Zuckerkranke aufnehmen“, glaubt Reichart. Er möchte das Verfahren nun in Deutschland erproben. Ethische Bedenken, Tiere als Organspender zu nutzen, hat er nicht: Es gebe längst Schweine- und Rinderherzklappen. Und Leberzellen aus den Tieren helfen in experimentellen Studien, das geschwächte Organ so lange zu ersetzen, bis ein passender Spender gefunden ist.

Von einer routinemäßigen Organzucht auf dem Bauernhof sind die Forscher noch weit entfernt. „Das beste Herz aus einem Schwein hat etwas mehr als 230 Tage in einem Primaten geschlagen. Das reicht nicht für einen Therapieversuch beim Menschen“, sagt Reichart. Die enorm starke Abstoßung zerstört die transplantierten Organe letztlich immer noch zu rasch.

Forscher wie Eckhard Wolf von der Ludwig-Maximilians-Universität in München wollen das Immunsystem der Schweine deshalb so verändern, dass die Abstoßungsreaktion minimal ausfällt. Sie schalten dazu sukzessive Gene aus, die jene Strukturen auf den Zellen der Tiere bilden, die das menschliche Immunsystem als fremd erkennt. Drei Gene in den Sauen haben die Münchner bislang lahmgelegt. Es brauche aber mindestens fünf, damit der Mensch die tierischen Organe dauerhaft verträgt, glaubt Wolf.

Tierschutzvereine wie der Deutsche Tierschutzbund lehnen es ab, Tiere zu Organspendern zu machen. Und der renommierte Zellforscher Rob Langer vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge hält die Forschung an Spendertieren für eine Sackgasse, weil die Abstoßung zu komplex sei, als dass sie einfach umgangen werden könne. Langer glaubt vielmehr an Niere, Leber und Harnblase aus der Retorte. Schon heute züchten Gewebeingenieure Haut im Labor, die Verbrennungsopfern das Leben rettet. Patienten tragen künstliche Harnblasen und Augenhornhäute im Rahmen klinischer Studien. Im vergangenen Oktober meldeten italienische Forscher, Vorstufen einer funktionstauglichen Niere gezüchtet zu haben. Die kleinen Organballen setzten sie Ratten ein, denen sie zuvor die Nieren entfernt hatten. Das künstlich erzeugte Gewebe übernahm deren Funktion und schied wie das natürliche Organ Abfallstoffe aus dem Blut ab.

Die Idee der Organzucht aus Zellen ist bestechend einfach: Ein Gerüst in der dreidimensionalen Form des Organs wird mit patienteneigenen Zellen besiedelt. Das Ganze wächst in kurzer Zeit zum fertigen Organ heran. Der Patient verträgt es einwandfrei und braucht keine Tabletten zur Unterdrückung der Körperabwehr, weil der Ersatz aus der Retorte aus seinem eigenen Fleisch und Blut besteht. Für einfache Hohlraumorgane wie die Blase und die Luftröhre funktioniert dieses Prinzip im Ansatz bereits. Diese Woche meldeten Forscher im Fachblatt „Lancet“, dass die erste so erzeugte Luftröhre, die 2008 einer jungen Frau eingesetzt wurde, auch nach fünf Jahren noch ihre Arbeit tut. Das Immunsystem hat das Organ offenbar akzeptiert.

Leber, Nieren und Lunge sind komplexere Organe mit vielfältigen Funktionen. Sie zu züchten, ist bisher nicht gelungen. „Es gibt eine ganze Reihe von Problemen“, sagt Langer, „aber die Blutversorgung ist eine der zentralen Herausforderungen“. Es genügt nicht, ein paar Nieren- oder Herzzellen zum Wachsen zu bringen. Die Forscher müssen im Gewebe auch noch Gefäße züchten, die dieses später versorgen und am Leben erhalten. Das macht die Gewebezucht kompliziert. Forscher wie Langer setzen auf den haarkleinen Nachbau der Organe. Sie bedienen sich dafür Techniken der Mikrochipproduktion. 3-D-Drucker ordnen beispielsweise Zellen und Matrixmaterial mikrometergenau an. Langers Team versieht auf diese Weise biologisch abbaubare Kunststoffe mit Furchen und lässt darin Endothelzellen wachsen. Diese Zellen bilden die natürliche Auskleidung der Blutgefäße.

Mit dem Rückgriff auf Methoden der Chipfertigung wird die Herstellung der Organe allerdings aufwändig. Einige Forscher favorisieren deshalb einen anderen, simpleren Weg. Sie nutzen tierische Organe, aus denen sie sämtliche Zellen mit Ausnahme des Stützgewebes entfernen. Auf solchen ausgeräumten Gerüsten von Nagetieren konnte Doris Taylor vom Texas Heart Institute in Houston zum Beispiel menschliche Herzmuskel- und Endothelzellen ansiedeln. Sie wuchsen und bildeten für zehn Tage ein schlagendes Herz, das etwa zwei Prozent der Förderkapazität des menschlichen Herzens erreichte. Inzwischen erreichen die Kunstherzen bereits ein Viertel der Leistung des menschlichen Organs, berichtet Taylor von unveröffentlichten Ergebnissen. „Trotz der Fortschritte im Labor ist derzeit überhaupt nicht absehbar, wann komplette Organe aus Zellen gezüchtet werden können“, urteilt Langer. Für ihn ist es aber nur eine Frage der Zeit und der Forschung, bis Organe aus der Retorte kommen.

Die Medizintechnikindustrie setzt dagegen vorwiegend auf einen anderen Weg aus der Organknappheit. Sie verfeinert und verkleinert ihre Apparate wie die Lungenmaschine immer weiter, damit sie eines Tages Patienten als Organersatz implantiert werden können. Beim Herzen gelingt das schon.

Chirurgen setzen ein etwa daumengroßes sogenanntes Herzunterstützungssystem ein, das anstelle des natürlichen Organs das Blut durch den Körper pumpt. Meist entnehmen sie dafür nicht einmal das natürliche Herz. Solche Herzunterstützungssysteme dienen bislang zwar nur der Überbrückung der Wartezeit, bis ein echter Spender gefunden ist. Aber die Patienten tragen die Geräte immer länger – einige sogar bis zu fünf Jahre.

„Bei manchen erholt sich das Herz in dieser Zeit, und wir können das Gerät sogar wieder explantieren“, sagt Roland Hetzer, Direktor am Deutschen Herzzentrum in Berlin. Über 100 solcher Implantatentnahmen hat er bereits durchgeführt. Weshalb das geschwächte Organ wieder zu Kräften kommt, ist bislang unklar. Wenn die Regeneration erst verstanden ist, können etliche Transplantationsanwärter dank Regeneration mittels Kunstherz künftig wohl ganz auf ein fremdes Organ verzichten.

Das Herz ist ein „vergleichsweise simples Organ“, erklärt Reichart. Es pumpt sauerstoffarmes Blut in die Lunge und wirft sauerstoffreiches Blut aus. Das maschinelle Abbild ist ebenso einfach, eine schlichte Pumpe. Dagegen übernehmen Leber, Lunge und auch die Nieren komplexere Aufgaben. Die Leber etwa reinigt das Blut von Giftstoffen, produziert aber zugleich lebenswichtige Eiweißstoffe. Es ist bisher nicht möglich, ein gleichwertiges Kunstorgan zu konstruieren. Viele Forscher arbeiten aber daran.

Das Team um Jutta Arens vom Helmholtzinstitut für Biomedizinische Technik in Aachen entwickelt beispielsweise eine künstliche Lunge. Bei Operationen übernimmt schon heute eine Herz-Lungenmaschine die Arbeit des Atemwegsorgans sowie des Herzens. Allerdings nur für etliche Stunden, in denen die Patienten reglos im Bett liegen müssen. „Wir streben zunächst ein System an, das man mehrere Monate nutzen kann und das nicht schwerer als drei bis fünf Kilogramm samt Stromversorgung ist und zunächst wie ein Rucksack auf dem Rücken getragen wird“, erklärt Arens. „Das Ziel ist aber eine implantierbare künstliche Lunge.“

Medizintechniker halten Maschinen für den ultimativen Organersatz. Die Apparate sind verlässlich, und sie lassen sich beliebig oft identisch produzieren. Doch die Zellen im Blut erkennen auch die Bauteile aus Chirurgenstahl als fremd und aktivieren die Blutgerinnung, um den Fremdkörper auszuschließen. Damit sich keine gefährlichen Blutpfropfen bilden, müssen Kunstherzträger heute durchweg blutverdünnende Medikamente nehmen. Arens stellt klar, bei anderen maschinellen Ersatzorganen, ob Insulinpumpe oder Kunstleber, wird das nicht anders sein. Ein künstliches Organ, das dem natürlichen in nichts nachsteht, wird es wohl nie geben.

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