zum Hauptinhalt
Drei kleine braune Pilze, die aus dem Boden Wachsen.

© Arp/Wikimedia Commons

Magic Mushrooms auf Rezept?: Halluzinogene Droge soll langfristig Depressionen lindern

Erstmals seit 50 Jahren wird jetzt Psilocybin, ein Stoff aus Rauschpilzen, als neues Mittel gegen Depressionen getestet.

Ein grauer Schleier scheint über allem zu liegen, bleiern schwer der Körper, erschöpft und antriebslos und zermürbt durch schlaflose Nächte. Die Gedanken kreisen in endlosen Abwärtsspiralen. Leer, sinnlos und verloren erscheint das Leben. So beschreiben Patienten ihre Depression.

Weltweit leiden mehr als 322 Millionen Menschen an dieser tückischen, mitunter tödlich verlaufenden psychischen Erkrankung, allein in Deutschland sind es über fünf Millionen. Bei etwa der Hälfte schlagen herkömmliche Therapien nicht oder nicht mehr an – sie leiden an einer sogenannten behandlungsresistenten Depression.

Daher suchen Forscher schon seit langem nach neuen Ansätzen, um diese stetig größer werdende Gruppe von Patienten behandeln zu können. Eine Option könnte Psilocybin sein, ein Wirkstoff aus psychoaktiven Pilzen, bekannt auch als „Magic Mushrooms“, die unter anderem Halluzinationen und Euphorie auslösen können. Die Idee dahinter, den bislang nur als Droge bekannten Stoff nun als Therapie einzusetzen, ist: Der Wirkstoff soll zu einer Art „Reset“ im Gehirn führen und könnte somit das Bewusstsein von Menschen mit schweren Depressionen langfristig positiv verändern.

Hinweise, dass das funktionieren kann, gibt es inzwischen einige. So konnte eine Behandlung mit Psilocybin und begleitender Psychotherapie die Todesangst und Depressionen bei krebskranken Patienten erheblich lindern, ergab 2016 eine Studie an der Johns Hopkins University (JHU) in Baltimore. Auch in London konnten Ärzte am Imperial College zwölf Patienten mit therapieresistenter Depression mit nur zweimaliger Gabe von Psilocybin im Abstand weniger Tage helfen. Bei allen Patienten gingen die Symptome für mindestens drei Wochen nach der Behandlung zurück. Bei fünf von ihnen hielt der Effekt sogar bis zu drei Monate lang an.

„Das Ausmaß der Wirkung, das wir sahen, war etwa viermal größer als das, was klinische Studien für traditionelle Antidepressiva auf dem Markt gezeigt haben”, sagte Alan Davis von der JHU kürzlich anlässlich einer Follow-Up-Studie.

Psilocybin wird als "Breakthrough Therapy" anerkannt

Dass die Wirkung des altbekannten Psilocybins erst jetzt erkannt wird, hat Gründe. Jahrelang lag das Forschungsfeld rund um Psychedelika brach, denn Psilocybin und andere halluzinogene Wirkstoffe, darunter auch LSD, fallen seit den 60er Jahren unter die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (früher noch als „Opiumgesetz“ bekannt). Dies hatte kaum eine Auswirkung auf den Freizeitkonsum, die Forschung und die therapeutische Nutzung hingegen behinderte dies erheblich.

Vor zwei Jahren wendete sich dann das Blatt. Psilocybin wurde von der US-amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA als „Breakthrough Therapy“ für schwere Depressionen anerkannt, um die Entwicklung und regulatorische Überprüfung des Wirkstoffs zu beschleunigen – auch in Deutschland.

„In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, von einzelnen deutschen Forschern, kleinere Studien, mit kleinen Probandenkollektiven, auf den Weg zu bringen“, sagt Gerhard Gründer, vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Das sei aber immer am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gescheitert. „Deutschland, die deutsche Behörde und die wissenschaftliche Community war – und ist es gewissermaßen immer noch, was Psychedelika angeht – einfach sehr konservativ”, sagt der Forscher.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Das ändert sich jetzt. Gründer bereitet in Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe der Charité Berlin und der MIND-Stiftung eine Studie vor, um die Auswirkungen einer Psilocybin-unterstützten Behandlung von Patienten mit therapieresistenten Depressionen zu untersuchen. Letzte Woche erhielten er und sein Team dafür die endgültige Zustimmung vom BfArM.

Planmäßig soll es nächsten März losgehen. Es handelt sich um eine Phase II Studie mit insgesamt 144 Patienten: die weltweit zweitgrößte Psilocybin Studie, nur noch übertroffen von der britischen Firma Compass Pathways, die zurzeit an knapp über 200 Patienten forscht. „Ein solches Projekt hat es in Deutschland noch nie gegeben“, sagt Gründer. „Wir hoffen mit diesem Großprojekt endlich zu den Spitzenforschern auf dem Gebiet der Psychedelika in der Schweiz, den USA und Großbritannien aufzuschließen.“

Die Studie wird 3,8 Millionen Euro kosten, 2,2 Millionen Euro übernimmt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Unter ärztlicher Aufsicht sollen drei verschiedene Dosierungen Psilocybin – hoch, niedrig und Placebo – gegeneinander geprüft werden. „Aufgrund der bisher verfügbaren Daten, gehe ich davon aus, dass wir in der Gruppe, die eine hohe Dosis von 25 Milligramm bekommt, einen starken antidepressiven Effekt beobachten werden“, sagt Michael Koslowski, Psychiater und Mitglied der Forschungsgruppe an der Charité in Berlin.

Bei der niedrigen Dosis von fünf Milligramm vermute man hingegen nur schwache psychedelische Effekte. Nach sechs Wochen soll der Vorgang wiederholt werden, sodass die Patienten, die in der ersten Runde nur eine niedrige Dosis oder ein Placebo erhalten haben, auch die Chance bekommen, einen „potenziell bewusstseinsverändernden Trip“ zu erleben und infolgedessen ihre Depression überwinden zu können.

Der Trip selbst hat einen therapeutischen Wert

Gründer glaubt nämlich nicht, dass Psilocybin nur über eine Veränderung der Nerven im Gehirn wirkt, sondern der „Trip“ an sich wichtig für die Therapie ist. „Es gibt gute Gründe zu denken, dass die psychedelische Erfahrung für den anti-depressiven Effekt eine wesentliche Rolle spielt“, sagt er. „Ich glaube nicht, dass Substanzen, die neurobiologisch ähnlich wirken aber keinen psychedelischen Effekt haben, gleich effektiv sein können, aber das wird sich noch zeigen“.

Depression ist keine vorübergehende Stimmungsschwankung oder ein kurzes "seelisches Tief", sondern eine ernstzunehmende, behandlungsbedürftige Erkrankung. Hier gibt's Hilfe.
Depression ist keine vorübergehende Stimmungsschwankung oder ein kurzes "seelisches Tief", sondern eine ernstzunehmende, behandlungsbedürftige Erkrankung. Hier gibt's Hilfe.

© Sina Schuldt/dpa

Meist beginnt ein Psilocybin-Trip mit einem Kribbeln in den Armen und Beinen, viele müssen dann unvermittelt lachen, ein Wärmegefühl stellt sich ein. Je nach Dosis kann Psilocybin aber auch intensive Wahrnehmungsveränderungen auslösen – wie Halluzinationen oder Synästhesie-Erfahrungen, bei denen man etwa den Geschmack eines Geräusches wahrzunehmen meint. Oft wird auch vom Verlust des Zeitgefühls sowie Veränderungen von Emotionen und Gedanken oder traumartigem Erleben der Wirklichkeit berichtet. Auch ein Gefühl starker Verbundenheit mit anderen Menschen und der Natur gegenüber soll Psilocybin auslösen.

Psilocybin gilt zwar nicht als süchtig machend und langfristige körperliche Schaden sind auch keine bekannt, dennoch sind mit dessen Konsum gewisse Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Zu den unangenehmen körperlichen Effekten zählen mitunter Atembeschwerden, Herzrasen, Schweißausbrüche, Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit. Gerade hohe Dosierungen können auch Angst, Schreckensvisionen und sogar Wahnvorstellungen auslösen.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple-Geräte herunterladen können und hier für Android-Geräte]

Gründer aber sieht solche „Horrortrips“ zumindest im therapeutischen Setting „gar nicht so kritisch“. Es klinge vielleicht widersprüchlich, ausgerechnet depressive Menschen solch eine angstbesetzte Erfahrung durchleben zu lassen, doch „damit kann anschließend im psychotherapeutischen Prozess gut gearbeitet werden“.

Bei Menschen mit Fällen von Schizophrenie oder manischen Depressionen in der Familie sei die Gefahr allerdings erheblich größer, eine ernsthaft negative Reaktion auf die Droge zu haben – im schlimmsten Fall könne eine psychotische Episode mit völligem Verlust des Realitätssinnes entstehen. Daher würden „Patienten mit Psychose in der Vorgeschichte oder bei einem erstgradigen Angehörigen aus Psilocybin Studien stets ausgeschlossen“, sagt Gründer.

Es wirkt wie ein "Reset" im Gehirn

Aber ist es denn zu verantworten, psychisch kranken, vulnerablen Menschen potenziell schädliche Substanzen zu verabreichen? „Die Therapie mit Medikamenten ist immer eine Nutzen-Risikoabwägung“, sagt Gründer. Er sei davon überzeugt, dass der potenzielle Nutzen von Psilocybin die Risiken weit überwiegt. „Es ist eine echte Chance, uns in der Psychiatrie weiterzuentwickeln und großen Patientengruppen eine neue Therapieoption eröffnen zu können.“

Noch steht die Forschung allerdings am Anfang. Wie genau und warum Psilocybin langfristig wirksam gegen Depressionen zu sein scheint, ist unklar, sagt Michael Koslowski. Erste Erklärungsansätze gibt es aber schon. Psilocybin scheint zunächst die Amygdala, das Angstzentrum im Hirn, das bei Depressiven oft hyperaktiv ist, zu dimmen. Das beobachteten Forscher vom Imperial College London, als sie 2017 Patienten mit Depressionen den Wirkstoff gaben und dabei ihre Gehirnaktivität im Magnetresonanztomographen verfolgten.

Darüber hinaus scheint es einen positiven Einfluss auf die Verknüpfung der Nervenzellen im Gehirn zu haben. „Auf die psychologische Ebene übersetzt bedeutet das, dass alte, verhärtete Denkweisen und Verhaltensstrukturen sich auflösen und so Raum für neue Verbindungen geschaffen wird“, sagt Michael Koslowski. „Sehr vereinfacht spricht man von einem ‚Reset‘ Mechanismus“, einer Art Neustart wie beim Computer.

[Sie, ein Angehöriger oder Freund haben Symptome einer Depression oder gar Selbstmord-Gedanken? Hilfe finden Sie bei der kostenlosen Telefonseelsorge unter 0800 1110111, dem Berliner Krisendienst unter 39063-10, -20 usw. bis -90, oder hier.]

Das könnte auch der Grund sein, warum Psilocybin sich bei anderen psychischen Störungen, wie Suchtverhalten, Angstzuständen und Essstörungen, als wirksam erwiesen hat. Was diese Krankheiten miteinander verbindet, ist eine sowohl subjektive als auch neurologische Verfestigung bestimmter Denkmuster. „Diese Substanzen, und die psychedelische Erfahrung, die sie mit sich bringen, schaffen eine gewisse Flexibilität, die psychotherapeutisch genutzt werden kann“, sagt Koslowski.

Noch dieses Jahrzehnt die Zulassung als Medikament

Im Hinblick auf die bisher überwiegend positiven Studienergebnisse, warnt Koslowski vor dem tückischen „Erwartungseffekt“ von klinischen Studien und neuen Therapien. Das heiß, anfangs sei die Euphorie oft groß ob der großen Behandlungsmöglichkeiten eines neuen Wirkstoffs. Das könne aber dazu führen, dass voreilig Fehlinformationen und Therapien verbreitet werden, die sich später als doch nicht so optimal herausstellen. Effektgrößen können zudem durch kleine Probandengruppen künstlich aufgeblasen werden, was dazu führt, dass die Wirksamkeit einer Behandlung überschätzt wird.

Koslowski betont, dass die Beweislage bei Psilocybin noch „relativ dünn“ sei. Bislang fehlen in vielen der Studien auch Kontrolldaten, da es besonders schwer ist ein Placebo zu finden, das die halluzinogene Wirkung von Psilocybin überzeugend nachahmt. Das bedeutet, Patient und Arzt wissen, ob das Placebo oder der Wirkstoff verabreicht wurde – „verblindete“ Studien sind daher nicht möglich. Dennoch hofft Gründer, noch in diesem Jahrzehnt eine Zulassung für Psilocybin zu bekommen. Für ein dringend benötigtes neues Medikament gegen Depression.

Clara Meyer-Horn

Zur Startseite