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Wahlplakate stehen vor Beginn einer Wahlkampfveranstaltung der AfD in Sachsen-Anhalt neben der Bühne.

© Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

Update

Männlich, mittleren Alters, aus der Mittelschicht: Ein Politikforscher erklärt, wer die AfD-Wähler in Sachsen-Anhalt sind

Die AfD in Sachsen-Anhalt zog nur wenige Protestwähler an, sagt der Potsdamer Politikwissenschaftler Gideon Botsch. Er sieht das Risiko, dass die AfD im Osten einmal stärksten Kraft werden kann.

Gideon Botsch ist Politikwissenschaftler und Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam.

Herr Botsch, bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt ist die AfD erneut zweitstärkste Kraft geworden. Haben wir es im Osten mit Protestwählern zu tun, die zuvor lange die Linkspartei gewählt hatten?
Nach unseren Ergebnissen kann man das so nicht sagen. Vielmehr gibt es eine generationelle Dynamik in Ostdeutschland. Zum Beispiel verliert die Linke auch Wähler:innen, die versterben, während die heutigen Wähler:innen im mittleren Alter seit längerem überproportional rechts wählen. Eine nennenswerte Gruppe dürfte noch nie eine demokratische oder gar linke Partei gewählt haben.

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Aus welchem Umfeld stammen die AfD-Wähler? Handelt es sich um Personen, die schon lange auf rechte Demos gingen bzw. sich in dieser Szene betätigt haben?
Nicht unbedingt. Auffallend ist, dass es sich oft um Menschen mittleren Einkommens, Unternehmer:innen im gewerblichen oder handwerklichen Mittelstand, Arbeiter:innen und Angestellte handelt. In diesem Segment ist unter männlichen Wählern die AfD heute oft die stärkste Kraft.

In Sachsen Anhalt hat die AfD nun in der Altersgruppe der unter 30-Jährigen im Vergleich zu den anderen Parteien die meisten Stimmen erhalten.

Wenn man alle AfD-Wähler nach ihrem Alter anschaut, ist nach den bis jetzt vorliegenden Zahlen wiederum die Gruppe der 30-44-Jährigen viel stärker geneigt, AfD zu wählen, als der Rest des Elektorats, auch bei den 45-59-Jährigen schneidet sie besser ab. Die größte Überrepräsentanz hat die AfD-Wählerschaft also erneut bei den mittleren Altersgruppen.

Also stimmt es nicht, dass die AfD bei den jüngeren Wähler:innen besonders stark ist?

Hier liegt die AfD sogar leicht unter dem Wert, den sie insgesamt erzielen konnte. Innerhalb dieser quantitativ kleinen Wähler:innen-Gruppe ist sie die stärkste Kraft, denn ungefähr 60 Prozent der Jungwähler:innen splitteten ihre Stimmen zwischen verschiedenen demokratischen Alternativen: Grüne und FDP liegen prozentual jeweils doppelt so hoch, wie ihr Gesamtergebnis ausfällt, die Union ist nur halb so stark. Die jungen Wähler:innen waren, anders ausgedrückt, weniger bereit, ihre Präferenzen zu Gunsten der CDU zurückzustellen, um die AfD als stärkste Kraft zu verhindern. Und es ist schließlich das Vorrecht der Jugend, weniger kompromissbereit zu sein, als die Alten. Sie sind wohl nicht überdurchschnittlich anfällig, die AfD zu wählen, allerdings auch nicht weniger anfällig.

Sind viele ostdeutsche Wähler nach 30 Jahren „immer noch nicht“ in der Demokratie angekommen?
Das würde ich so nicht sagen. In den 1990er Jahren wurden rechte Parteien in Westdeutschland gewählt und blieben im Osten erfolglos. Das änderte sich erst ab 1998/99. Seitdem gewöhnte man sich in Ostdeutschland an Rechtsaußenparteien. Die Wähler:innen haben sich jedenfalls nicht erst unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise seit 2015 von den demokratischen Parteien abgewendet.

[Mehr zum Thema: Er selbst das Zugpferd, die Grünen als Schreckgespenst - so ist Haseloff die Überraschung gelungen (T+)]

Sondern?
Es handelt sich um einen Prozess, der sich über 15 Jahre hingezogen hat. Dabei gab es unterschiedliche Angebote. Die DVU war 1998 in Sachsen-Anhalt erfolgreich, vier Jahre später erhoffte sich hier die Schill-Partei den Durchbruch. In Brandenburg zog die DVU zwei Mal in den Landtag ein, erhielt allerdings 2004 Konkurrenz durch die rechtspopulistische Partei 50plus. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern machte jeweils zwei Mal die NPD das Rennen.

Ein Porträtbild von Gideon Botsch im Gespräch.
Gideon Botsch, Leiter der Emil-Julius-Gumbel-Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam.

© Odd Andersen/AFP/POOL/dpa

[Soeben erschienen: Gideon Botsch (Hg.), Christoph Schulze (Hg.). „Rechtsparteien in Brandenburg“ Zwischen Wahlalternative und Neonazismus, 1990-2020; be:bra Wissenschaft, April 2021. 352 Seiten, 24 Euro.]

Was bedeutet das für die Zukunft?
Sowohl SPD und CDU als auch Die Linke werden überproportional von älteren Jahrgängen gewählt. Wobei die Linke in der jüngsten Kohorte teilweise wieder mehr Zustimmung findet. Der Altersaufbau der Grünen-Wähler:innen ist umgekehrt: Je jünger, desto größer die grüne Wahlneigung – aber diese Jahrgänge sind sehr schwach, vor allem in Ostdeutschland.

Die AfD-Wähler:innen dagegen sind in ihren mittleren Jahren. In den Regionen, in denen kein Ausgleich durch Zuzug erfolgt, werden sie Wählergruppen für einige Wahlen prozentual immer wichtiger werden.

Mit welchen Folgen?
Wenn sie nicht für demokratischen Politikangebote gewonnen oder zurückgewonnen werden können, ist das Risiko, dass die AfD doch einmal stärkste Partei wird, weiterhin sehr ernst zu nehmen.

Sie sehen die AfD nicht mehr als demokratische Partei?
In den ostdeutschen Landesverbänden wird die Partei durchweg von antidemokratischen, rechtsextremen Kräften beherrscht, wenn auch nicht überall so eindeutig, wie dies in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg der Fall ist. Aber auch bundesweit dominieren Rechtsextreme die Partei und zwingen ihr ihre antidemokratischen Strategien auf, wie man zuletzt auf dem Bundesparteitag oder auch am Berliner Landesverband sehen konnte.

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Ihr erstes Fazit zur Wahl in Sachsen-Anhalt? 

Das ist nun die vierte Landtagswahl, die beweist: Die AfD bleibt auf hohem Niveau stabil in ihrem Milieu, in dem sie indes mit ihrem rechtsextremen Kurs derzeit politisch weithin isoliert ist. Die gefürchteten volatilen ostdeutschen Wechselwähler:innen lehnen sie mit großer Mehrheit ab. Sie wählen klug und mit Berechnung, stellen anderweitige Präferenzen zurück und setzen ihre Stimme gezielt dafür ein, dass die AfD nicht stärkste Kraft wird. Daher statten sie den jeweiligen Regierungschef und aussichtsreichsten Kandidaten einer demokratischen Partei - in Sachsen und Sachsen-Anhalt der CDU, in Brandenburg der SPD, in Thüringen der Linken - mit einem Regierungsbildungsauftrag aus.

Was zeigt das Beispiel Haseloffs?

Dass man mit Abgrenzung von der AfD im Osten Wahlen gewinnt, mit einem unklaren Kurs an die AfD verliert. In Sachsen-Anhalt besonders erfreulich ist, dass es mehrere rechnerisch mögliche Koalitionen ohne die AfD gibt, denen immer eine demokratische Opposition gegenüberstehen wird. Aber das Abschmelzen der besonders resistenten älteren Wähler:innen - ein Argument gegen das Klischee vom alten weißen Mann, übrigens - verdeutlicht auch das Risiko für künftige Wahlgänge. Mittelfristig bleibt das ostdeutsche Wahlverhalten in Abgrenzung zur AfD, so ermutigend es sein mag, auch aus anderen Gründen problematisch.

Inwiefern?

Das Brandenburger Beispiel zeigt, dass es 2019 nach fast 30 Jahren SPD-geführter Regierungen durchaus eine verbreitete Sehnsucht nach einem Wechsel gab - aber am Ende hatte für viele Wähler:innen Priorität, die AfD einzudämmen. Diese "negative" Funktion der AfD verringert den Spielraum für demokratische Politik in Regierung und Opposition erheblich

Sie haben festgestellt, dass die AfD in Brandenburg eine bislang kaum beachtete Vorgeschichte hatte.
Dabei handelt es sich um bürgerlich-rechte bis rechtsextremen Klein- und Kleinstparteien, die in Brandenburg schon vor der Gründung des AfD-Landesverbandes 2013 in Erscheinung traten. Von den Republikanern über den Bund freier Bürger, die Schill-Partei/Partei Rechtsstaatliche Offensive bis zu 50Plus und Die Freiheit zieht sich ein Prozess des Experimentierens, eine Art Trial-and-Error-Geschichte populistischer Wahlangebote bei bürgerlichem Auftreten.

Auch die Parolen waren schon vorgegeben: Das „Bündnis mit den Bürgerbewegungen“, der Slogan "Mut zur Wahrheit" und die maßlosen Angriffe auf die repräsentative parlamentarische Demokratie und die „Altparteien“.

Wie ging es dann weiter zur AfD?
Was damals noch allenfalls kommunalpolitisch als Erfolgsrezept taugte, wurde später von der AfD in größeres politisches Potenzial umgemünzt. Das in der Summe nicht unbedeutende Wähler:innenpotenzial dieser Kleinparteien und teilweise ganz direkt ihr Personal wurden von der AfD angezogen und integriert.

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