zum Hauptinhalt
„Jürgen ist Alleinerbe“. Für Bundesbehörden sind Internet-Auftritte in Leichter Sprache inzwischen Pflicht.

© picture alliance / dpa

Leichte Sprache: Sag’s einfach!

„Leichte Sprache“ soll der Inklusion dienen, Behördentexte und Wortungetüme verständlich machen. Übersetzer vom Deutschen ins Deutsche stehen vor Herausforderungen.

„Viel Wichtiges steht geschrieben. Schwarz auf Weiß.“ Der Klassiker von Langer, Schulz von Thun und Tausch aus dem Jahr 1974 beginnt prägnant. Dieser Einstieg ist Programm: Schließlich haben die drei Hamburger Psychologen ihre (empirische) Forschung der Frage gewidmet, wie „Verständlichkeit“ zu erreichen ist. Einfachheit in Wortwahl und Satzbau ist eine der vier Dimensionen, auf die es nach ihren Erkenntnissen ankommt, dazu kommen Ordnung, Prägnanz.

Den Psychologen ging es seinerzeit um alle Leser und Leserinnen im Land: „Jeder Bürger muss viel lesen und verstehen, um sachgerecht zu handeln und um seine Umwelt verantwortlich mitgestalten zu können.“ Ihre Beispiele: Wahlprogramme, Lohnsteuerjahresausgleich, Rentenantragsformulare.

7,5 Millionen Deutsche sind funktionelle Analphabeten

Allein diese Wortungetüme schließen allerdings eine große Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern von vornherein aus: Wie die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Level-One-Studie (kurz: Leo) im Jahr 2011 zeigte, sind 7,5 Millionen Menschen in Deutschland „funktionelle Analphabeten“. Aus recht unterschiedlichen Gründen haben sie Schwierigkeiten, zusammenhängende Texte zu verstehen. Wegen einer schweren Lese-Rechtschreib-Schwäche, aufgrund einer geistigen Behinderung oder einer beginnenden Demenz, weil sie als Gehörlose unzureichend mit der Laut- und Schriftsprache vertraut sind. Oder auch, weil sie als Zuwanderer noch mit den Tücken der deutschen Sprache kämpfen.

Ihnen allen können Texte in „Leichter Sprache“ helfen, wie sie Bundesbehörden inzwischen bei ihren Online-Auftritten verpflichtend anbieten müssen. Der Begriff wird hier bewusst großgeschrieben: Es ist inzwischen ein Fachbegriff. Zwar hat Leichte Sprache naturgemäß vieles mit den Vorschlägen zur „Verständlichkeit“ gemein, die die Hamburger Psychologen in ihrem gleichnamigen Buch schon in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts machten.

Für Leichte Sprache gibt es Gütesiegel

Doch sie ist nicht einfach nur einfach. Sie folgt strengen Regeln, für deren Einhaltung es inzwischen mehrere Gütesiegel gibt. So hat der Verein „Netzwerk Leichte Sprache“ Regeln aufgestellt, und auf europäischer Ebene existiert ein Gütesiegel von „Inclusion Europe“ für Texte in Leichter Sprache. Mit ihren kurzen, allenfalls eine knappe Zeile umfassenden Sätzen ohne Nebensätze und Kommas, der ständigen Wiederholung von eingeführten Begriffen und Personennamen, dem größeren Zeilenabstand und den eingerückten Worterklärungen gleichen sie eher Listen als Fließtexten.

„Leichte-Sprache-Übersetzung ist keine leichte Sache. Schwierige Sachverhalte mit extrem reduzierten sprachlichen Mitteln zu vertexten, ist eine große Herausforderung für die Übersetzerinnen und Übersetzer“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Christiane Maaß, Gründerin und Leiterin der Forschungsstelle für Leichte Sprache am Institut für Übersetzungswissenschaften und Fachkommunikation der Uni Hildesheim. Die Forschungsstelle vergibt das Gütesiegel „Leichte Sprache wissenschaftlich geprüft“. Mit ihrem Buch „Leichte Sprache. Theoretische Grundlagen. Orientierung für die Praxis“ (Dudenverlag 2016) lieferte Maaß zusammen mit der Germanistin Ursula Bredel die akademische Basis für die Professionalisierung der Übersetzungen.

Übersetzungen vom Deutschen ins Deutsche

Die Aufgabe gleicht teilweise der Quadratur des Kreises: Zahlreiche Begriffe müssen bei diesen Übersetzungen vom Deutschen ins Deutsche erklärt werden, andererseits sollten gerade Texte in Leichter Sprache nicht zu lang sein. Die Schreibung sollte vom Gewohnten nicht abweichen, schließlich ist die Leichte Sprache nur eine „Varietät“ der deutschen Standardsprache, deren bessere Beherrschung viele Nutzer der Leichten Sprache anstreben.

Mit Wortungetümen sind sie überfordert, doch nicht immer kann man sie restlos zerlegen. Das Hildesheimer Forscherteam hat sich deshalb Tricks wie den „Mediopunkt“ ausgedacht. Er soll in einem zusammengeschriebenen Wort die Grenzen zwischen einzelnen Lexemen markieren und konkurriert nicht mit herkömmlichen Satzzeichen (die nach diesem Vorschlag „Satz•zeichen“ geschrieben würden).

Die Nachfrage nach den – nicht rechtsverbindlichen – Übersetzungen der Hildesheimer ist groß: Die Erbrechtsbroschüre des niedersächsischen Justizministeriums in Leichter Sprache war innerhalb weniger Monate vergriffen, obwohl mehrere zehntausend Stück gedruckt worden waren. „Jürgen ist Alleinerbe“ heißt es dort klipp und klar, während die Normalfassung der Broschüre mit Konjunktiv und Negation arbeitet: „Hätte zwischen der Erblasserin und ihrem Mann keine Ehe bestanden, sondern eine nichteheliche Lebensgemeinschaft, so hätte der Mann nichts geerbt.“

Wie kompliziert ist die Amstssprache?

Ist die Amtssprache in den letzten Jahrzehnten komplizierter geworden? Nicht unbedingt, meint Linguistin Maaß. Doch die Bedeutung von Fachsprachen habe zugenommen. „Wir beobachten eine fachsprachliche Ausdifferenzierung unserer Welt, die vor allem immer mehr von der Rechtssprache durchdrungen wird. Und wir haben uns auf der anderen Seite spätestens seit Annahme der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 die Inklusion auf die Fahnen geschrieben.“ Mit einer Zunahme der Bedeutung von Fachsprachen kollidiert also ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass alle Anspruch auf Teilhabe an Informationen haben. Dass sich die Sprache der Administration ein gutes Stück auf die Bürger zubewegen kann, zeigt nach Ansicht von Maaß schon länger das Vorbild Schweden.

Bewusst keine Übersetzung in Leichte Sprache, sondern schlicht „einfache“ Texte bietet seit 2009 die Online-Wochenzeitung Klar & Deutlich aus dem „Spaß am Lernen“-Verlag. Dort werden auch literarische Bücher in einfacher Sprache verlegt, etwa eine Version von Wolfgang Herrndorfs Bestseller „Tschick“. Sicher gehen dem Roman dadurch kostbare Feinheiten verloren – Menschen mit Leseproblemen aber gewinnen dafür die Möglichkeit, ihn sich zu erobern. „Und wer Zugriff auf die schönen Originale hat, wird auch in Zukunft sicher nicht darauf verzichten“, beruhigt Maaß.

Ein Beispiel: Märchen

Doch eignet sich auch die noch elementarere Leichte Sprache mit ihren kurzen Sätzen und sachlichen Erläuterungen für Literarisches? Schließlich schlägt Verständlichkeit hier bewusst die Ästhetik. Maaß und ihre Forschungsgruppe möchten in Zukunft trotzdem verschiedene Textgattungen in den Blick nehmen. „Wir fragen uns, was man tun kann, damit die Texte nicht auseinanderbrechen.“

Zum Beispiel Märchen. „Ein textübergreifender Wiedererkennungseffekt ist hier wichtig, dieser Rahmen stützt das Verständnis“, sagt Maaß. Nach dem Vorschlag der Forschungsgruppe beginnen die bekannten Märchen der Gebrüder Grimm deshalb auch in Leichter Sprache alle gleich: „Es war einmal: So fangen Märchen an. Ein Märchen ist eine sehr alte Geschichte.“

Zur Startseite