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Ungeahnte Schwierigkeiten behinderten den Bau des Suezkanals - unter anderem eine vom Sultan zunächst verweigerte Baugenehmigung, britische Interventionen und Infrastrukturprobleme. Letztere führten etwa zur Entwicklung neuer Baumaschinen.

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Lehre aus der Archäologie für den BER: Königliche Grabanlage als Innovationsmotor

Vielleicht hat die Berlin-Brandenburger Flughafenruine doch etwas Gutes: Schon immer haben sich Gesellschaften an komplexen Vorhaben verhoben – und dabei viel gelernt.

Eine Bronzeplatte, auf der mit Gold- und Silberintarsien die Umrisse zahlreicher Gebäude dargestellt sind. Das ist alles, was von der langen Bauphase der Grabanlage des Königs von Zhongshan in der chinesischen Provinz Hebei übrig ist. Die Platte, die als maßstabsgetreuer Bauplan gedient hatte, legte man dem Herrscher bei seinem Tod im 4. Jahrhundert vor Christus mit ins Grab. Aber nicht nur der Bauplan wurde so für die Nachwelt erhalten, sondern auch die eingravierten behördlichen Anordnungen. Kein Bauprojekt ohne Bürokratie – das galt offenbar auch schon vor über zweitausend Jahren.

Gesellschaftliche Folgen von Großprojekten

Es sind Artefakte und Quellen wie diese, mit deren Hilfe Historiker am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Dahlem die Planungsgeschichten von Großprojekten rekonstruieren und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen untersuchen. Seit einigen Monaten ist Dagmar Schäfer Direktorin der neuen Abteilung „Artefacts, Action, and Knowledge“, die explizit die Rolle von Managementprozessen und Organisationsstrukturen bei der historischen Entwicklung von Technologie und Wissen hinterfragt.

Gerade gigantische Bauprojekte zogen nicht nur einen Rattenschwanz an Problemen, sondern auch überraschende Innovationen nach sich. „Historisch gesehen ist Wissen oft dadurch entstanden, dass Menschen versucht haben, konkrete Probleme zu lösen“, sagt Schäfer. Lange sei man in der europäischen Wissenschaftsgeschichte davon ausgegangen, dass die Theorie stets vor der Praxis kam. Erforschen, durchstrukturieren, notieren – dann umsetzen. Von dieser Grundannahme sind die Wissenschaftshistoriker mittlerweile abgerückt. „Neues Wissen und neue Organisationsstrukturen haben sich meistens wechselwirksam begünstigt“, erklärt Schäfer. „Theorie und Praxis haben im Tandem gewirkt.“

Pyramiden, Kathedralen, Flughäfen - Anlässe zur Selbstreflexion

Große Bauprojekte erforderten damals wie heute den Einsatz aller verfügbaren Ressourcen, und das meist über einen langen Zeitraum. Eine Herausforderung für jede Gesellschaft, egal ob es um eine Pyramide, eine Kathedrale, einen Staudamm oder einen Flughafen geht. Stets war das Bauvorhaben auch ein Anlass, grundsätzlich über Normen und Prozesse, über Materialien, Finanzen und Fachkräfte nachzudenken. „Es brauchte immer konzeptionelle Reflexion“, sagt Schäfer. Und die wirkte sich indirekt auch auf die sozialen Strukturen aus.

Im China des 16. Jahrhunderts etwa wurden Handwerker gesetzlich verpflichtet, einen ihrer Söhne auszubilden. So konnte einerseits praktisches Wissen für die nächste Generation gesichert werden, andererseits wurde einem möglichen Fachkräftemangel früh entgegengewirkt. Wer keinen Sohn hatte, musste einen Lehrling adoptieren. Aus Bauplänen wurden Bildungspläne.

„Wer baut, muss eine umfassende Bestandsaufnahme machen“, erklärt Schäfer. „Er muss sich überlegen, was habe ich, wo will ich hin, was brauche ich?“ Dazu gehört auch die schriftliche Fixierung. Aber reicht es, das Wissen aus der Praxis in Fachbüchern niederzulegen? Oder braucht es doch noch andere Formen der Vermittlung? In China wurde Wissen oft in ritualisierten Abläufen weitergegeben, sagt Schäfer. Schon Dokumente aus dem 10. und 11. Jahrhundert zeigten, dass die Chinesen nicht glaubten, dass man handwerkliches Wissen adäquat niederschreiben könne. Anders in Europa, wo der Buchdruck und die damit verbundene Wissensexplosion die Gelehrten in ihrer Überzeugung nährte, es bräuchte nur ausreichend schriftliche Aufzeichnungen, dann klappt das schon mit der praktischen Umsetzung. „Diese Vorstellung ist bis heute immer noch stark in den Köpfen verankert.“

Fehlentscheidungen, wenn nur von oben nach unten regiert wurde

Es ist nicht das einzige Problem, an dem viele Planungen kranken. Die Geschichte zeigt, dass Organisationen auch dann zu gravierenden Fehlentscheidungen neigten, wenn von oben nach unten durchregiert wurde – ohne nähere Kenntnisse des verwendeten Materials. Einer von Schäfers Kollegen am Max-Planck-Institut forscht derzeit zur Baugeschichte schottischer Kathedralen. Im 19. Jahrhundert wollte man die Sandsteinbauten mithilfe von Zement restaurieren. Keine gute Idee, denn der Zement reagierte unter Regen und Nässe anders als das Lehm-Kalkgemisch, mit dem der Sandstein traditionell gemauert wurde. Die Planer hatten das weder bedacht, noch hatten sie bei erfahrenen Steinmetzen nachgefragt.

Die Chance im Scheitern

Manchmal liegt aber gerade im Scheitern eine immense Chance. Neues Wissen über Materialien kann gewonnen werden. Oder sogar völlig unerwartete Erkenntnisse über größere ökologische Zusammenhänge. „Man wollte vielleicht nur einen Deich bauen oder einen Fluss umleiten – und stellte plötzlich fest, dass vermeintlich kleine Eingriffe einen großen Effekt haben“, sagt Schäfer. Der konkrete Umsetzungsprozess mit all seinen Komplikationen schuf neues Wissen über Natur und Umwelt, sei es in Ägypten beim Bau des Suezkanals im 19. Jahrhundert oder beim Bau der Tempelanlage Angkor Wat im 12. Jahrhundert im heutigen Kambodscha. Historisch betrachtet haben viele Bauprojekte solch unbeabsichtigte Nebeneffekte gehabt.

Ob das die Zeitgenossen, die mit ihren Planungen teilweise scheiterten, getröstet hat? Misslungene Großprojekte bedeuten nicht nur den Verlust von Geld und Prestige, sie können sogar dazu führen, dass ein Gesellschaftssystem insgesamt ins Wanken gerät. Und trotzdem kann die Krise nachträglich einen Meilenstein der Technikgeschichte markieren. Letztlich sei entscheidend, wie die jeweiligen Bauherren mit den Komplikationen umgehen, erklärt Schäfer. „Halten sie an ihren Zielen fest oder entscheiden sie sich trotz hoher Investitionen zur Aufgabe?“

Bauen ist eine Frage gesellschaftlicher Ideale

Dass sich heute ausgerechnet technisch hoch entwickelte Länder wie Deutschland so schwer mit der Realisierung ihrer Großbauprojekte tun, führt Schäfer auch darauf zurück, dass viele Beteiligte die Komplexität der Vorgänge unterschätzen. „Bauen ist nicht nur eine Frage von Personen, Finanzen und Materialien, sondern auch eine Frage der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Organisationsstrukturen und wissenstheoretischen Ideale“, sagt sie. Diese Strukturen werden bei der architektonischen Planung oft schlicht vergessen. Bei Großprojektplanungen wird immer davon ausgegangen: „Hier ist das Material, da das Geld, dann zeichnet einer einen Plan, dann wird gebaut.“ Dabei übersehen die Planer, dass sie gesellschaftliche und politische Strukturen sowie Individualinteressen berücksichtigen müssten.

Mit der Komplexität der Planung veränderte sich immer auch die Sicht auf die Welt. „Individuen planten für sich selbst. Könige, die Paläste bauten und Staaten regierten, planten für die Ewigkeit“, sagt Schäfer. Einige meinten sich um alles kümmern zu müssen, andere interessierte nur das Ergebnis.

Vergleich man das mit einem Großprojekt wie einem Flughafenbau, so machen einige einen Plan, legten ihn vor und dächten, mit dem Beginn des Baus sei die Sache vorbei. Andere dagegen sähen, dass mit dem Bau der spannende Teil erst beginnt: laufende Veränderungen, neue Bedürfnisse, Einsprüche, Bedenken, Korrekturen und Reparaturen müssen bedacht werden. Neues Wissen wird benötigt und oft erst im laufenden Prozess generiert. „Das muss man in den Plan miteinbeziehen“, sagt Schäfer.

Die Kunst des Bauens habe historisch gesehen immer darin bestanden, mit Widerständen und Komplikationen konstruktiv umzugehen und die Planung entsprechend flexibel zu handhaben. Und vor allem dann, wenn es wirklich losgeht mit dem Bau, noch auf Jahrzehnte genügend Material, Geld und Fachleute zu haben.

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