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Wissen: Leben auf Sparflamme

Was Menschen von Bären im Winterschlaf lernen können

Dies ist die Geschichte von fünf Problembären. Amerikanischen Schwarzbären in Alaska, um genau zu sein. Gefangen wurden die Tiere, weil sie sich auf der Suche nach Essbarem in Dörfern herumtrieben. Aber anstatt einfach in großer Entfernung von den Wildhütern ausgesetzt zu werden, wurden die Bären zum Lösen eines wissenschaftlichen Rätsels eingesetzt. Nämlich der Frage, ob die Tiere „echte“ Winterschläfer sind oder einfach nur eine Ruhepause einlegen.

Was Øivind Tøien von der Universität von Alaska in Fairbanks und seine Kollegen über die winterliche Auszeit der Petze herausfanden, war verblüffend. Die Tiere versinken über fünf bis sieben Monate in tiefen Schlaf und fahren ihren Stoffwechsel drastisch herunter, ohne die Temperatur entsprechend zu senken – ein kleines Wunder der Natur.

Die Forscher setzten den Bären kleine Messgeräte ein, die wichtige Eigenschaften des Körpers wie Herzschlag, Temperatur und Muskel-Aktivität übermittelten. Anschließend wurden die Tiere im Herbst in eine große Holzkiste im Wald gesetzt, die mit Stroh bärentauglich ausgerüstet war. Infrarotkameras und Bewegungsmelder registrierten das Verhalten der Tiere genau.

Zu beobachten gab es allerdings gar nicht so viel, weil die Bären in dieser Jahreszeit nicht mehr sonderlich aktiv sind. Weder fressen oder trinken sie, noch lassen sie Urin oder haben Stuhlgang. Die Messgeräte aber funkten Erstaunliches: Statt wie in sommerlichen Ruhephasen in jeder Minute 55 Mal zu schlagen, ließ der nächste Herzschlag jetzt manchmal 20 Sekunden auf sich warten.

Gleichzeitig atmen die Bären nur selten und verbrauchen wenig Sauerstoff. Daraus wiederum berechneten die Forscher, dass der Organismus der Tiere nur ein Viertel der Energie umsetzt, die er während sommerlicher Ruhepausen verfeuert. Die Bären halten also einen echten Winterschlaf, um Energie zu sparen, wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“ (Band 331, Seite 906) berichten.

Die Körpertemperatur bleibt trotzdem relativ hoch: Während die viel kleineren Murmeltiere zum Beispiel bis auf sieben Grad abkühlen, maßen die Forscher bei den Bären allenfalls 30 Grad. Dann zitterten die Tiermuskeln so lange, bis wieder 36 Grad im Körperinneren herrschten. „So vermeidet der Organismus wohl Kälteschäden in den Zellen“, vermutet Walter Arnold von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Nachdem die Tiere erwacht sind, dauert es noch Wochen, bis ihr Stoffwechsel wieder voll auf der Höhe ist.

„Dieser Artikel markiert einen Paradigmenwechsel“, meint Arnold. Die klassische Lehrmeinung ging nämlich bisher davon aus, dass Murmeltiere, Igel und andere Winterschläfer ihre Körpertemperatur senken, um Energie zu sparen. „Es gibt aber deutliche Indizien, dass es sich genau umgekehrt verhält“, erklärt der Forscher. Steht in einer Notsituation wie im Winter in höheren Breitengraden oder in Trockenzeiten in wärmeren Regionen kaum Nahrung zur Verfügung, drosseln Säugetiere zunächst den Energieverbrauch in ihrem Körper dramatisch, um schlechte Zeiten möglichst lange überbrücken zu können. Damit drehen sie aber auch ihre innere Heizung herunter und der Körper beginnt auszukühlen. Das ist offenbar das Prinzip, das sich auch der Schwarzbär zunutze macht.

Das Prinzip Winterschlaf sollte sich auch der Mensch zunutze machen, findet Øivind Tøien. Wenn es gelinge, den Stoffwechsel und Sauerstoffbedarf von menschlichem Gewebe zu verringern, „könne man vermutlich Menschenleben retten“, sagt er. „Wir müssten einfach lernen, verschiedene Stadien des Winterschlafs an- oder abzustellen“.

Erstaunlich, dass die Bären trotz mehrmonatigem Schlaf weder an Knochen- noch an Muskelmasse verlieren. Wenn man die genetische Basis für diesen Gewebeschutz entdecke, werde man Osteoporose, Muskelschwund und Verletzungen besser behandeln können, hofft Tøiens Kollege Brian Barnes. Und bei künftigen Flügen zu fremden Planeten könnten Astronauten schonend nach Bärenart überwintern.

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