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Stefan Löfven ist seit Oktober 2014 schwedischer Ministerpräsident.

© imago images/Bildbyran/Maxim Thore

Update

Kurswechsel beim Coronavirus?: Premier Löfven bereitet Schweden auf Tausende Tote vor

Dramatische Folgen auch für Schweden: Davon geht Premier Löfven nun aus. In Stockholm könnten offenbar in Kürze alle Intensivbetten belegt sein.

Schweden steht in der Coronavirus-Krise seit geraumer Zeit im Fokus, weil das Land im Kampf gegen die Ausbreitung des Erregers aus Sicht vieler einen Sonderweg geht. Im Vergleich zu allen anderen europäischen Ländern und vielen Staaten weltweit sind die Einschränkungen des Alltags für die gut zehn Millionen Bürger vergleichsweise moderat. So sind beispielsweise Kindertagesstätten, Grundschulen sowie Cafes und Restaurants weiter geöffnet.

Die rot-grüne Minderheitsregierung belässt es nach wie vor weitgehend bei Appellen an die Verantwortung jedes Einzelnen. Nun aber bereitet Ministerpräsident Stefan Löfven seine Landsleute auf die Folgen vor, die das Coronavirus seiner Meinung nach für Schweden haben wird. Zudem deutet sich ein Kurswechsel des Landes an. Auch Maßnahmen wie Ausgangsperren scheinen jetzt denkbar.

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In einem Interview mit der Zeitung „Dagens Nyheter“ (DN) sagt der Sozialdemokrat, dass die Pandemie in Schweden langsamer verlaufe als in anderen Ländern heiße nicht, dass es weniger Schwerkranke und Tote geben werde. Schweden verfolge die Strategie, den Anstieg der Infektionsfälle zu verzögern, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, sagte Löfven. „Aber das beinhaltet zugleich, dass wir weitere Schwerkranke haben werden, die Intensivpflege benötigen, wir werden bedeutend mehr Tote haben. Wir werden mit Tausenden Toten rechnen müssen. Darauf sollten wir uns einstellen.“

Weiter sagte der Sozialdemokrat: „Man muss ehrlich sein und die Lage beschreiben wie sie ist.“ Er könne nicht exakt sagen, wie viele schwerkrank werden würden oder wie viele auf Intensivstationen liegen würden. „Aber dies sei, „womit wir planen und worauf wir uns vorbereiten“.

In Schweden sind bisher rund 6440 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden, 373 Patienten sind an den Folgen von Covid-19 verstorben. Allein die Großraumregion Stockholm meldet 204 Todesopfer, hier gibt es rund 2660 bestätige Infektionen.

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Löfven sagte weiter, es sei wichtig, jetzt nicht nachzulassen. „Wir müssen mit Monaten rechnen, nicht Wochen. Wir müssen uns auf diesen Zeitraum einstellen.“ Nun gelte es Disziplin zu haben.“ Die Bürger sollten sich an die Regeln und Empfehlungen der Regierung halten und sich regelmäßig die Hände waschen sowie beispielsweise ältere Verwandte nicht besuchen. Löfven ist seit 2012 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens und seit dem Oktober 2014 schwedischer Ministerpräsident.

Auf die Frage, wie er dazu stehe, dass viele andere Länder eine andere Strategie gewählt hätten, sagte der 62-Jährige: „Ich finde, man sollte dieses Bild nicht dramatisieren.“ Alle Länder überlegten, wie man mit dem Social distancing verfahre und wie die Gesundheitssysteme gestärkten werden könnten. „Wir machen das auf etwas andere Weise. Manchmal liegt es auch daran, dass wir in verschiedenen Phasen sind.“

Der Staatsepidemiologe Anders Tegnell, der die Regierung berät, sagte nach Angaben von DN zur Nachrichtenagentur TT, er wisse nicht worauf Löfvens Prognose basiere. „Aber so wie es in anderen Ländern aussieht, ist es wohl nicht völlig unmöglich.“ Seine Behörde fokussiere sich nicht darauf, Prognosen über Opferzahlen zu erstellen. Wichtiger sei, den Behandlungszentren Daten zur Verfügung zu stellen, wie viele Intensivbetten beispielsweise benötigt werden.

Eine Militärangehörige richtet ein Bett im Feldlazarett her.
Eine Militärangehörige richtet ein Bett im Feldlazarett her.

© Jonathan Nackstrand/AFP

Und die die Zahl der Intensivbetten könnte neben fehlender Schutzausrüstung für medizinisches Personal ein großes Problem werden. Tegnell hatte am Donnerstag in seiner täglichen Pressekonferenz gesagt, der Druck auf die Intensivstationen steige. „Aber die Lage ist noch zu handhaben.“

Wegen des Coronavirus-Krise in Stockholm bald alle Intensivbetten belegt

Offiziellen Angaben zufolge verfügt Schweden mit 4,89 Betten für Erwachsene auf Intensivstationen pro 100.000 Einwohner über in Europa vergleichsweise sehr wenig Kapazitäten. Im Land gibt es rund 520 Intensivbetten, von denen 470 belegt sind. Zwar wird fieberhaft daran gearbeitet, die Zahl zu erhöhen. Allerdings lassen sich neue Intensivstationen nicht auf die Schnelle aufbauen, wie auch Behördenvertreter zugeben. Zudem müsse dann auch qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen.

Wie die die Boulevardzeitung „Aftonbladet“ nun am Samstag unter Berufung auf interne Dokumente berichtet, ist die Lage auf den Intensivstationen in der Region Stockholm inzwischen dramatisch. Dort lagen am Samstag 380 Patienten auf Intensivstationen. Dort könnten an diesem Wochenende alle Betten belegt sein, heißt es in einem Brief der Universitätsklinik Karolinska, aus dem das Blatt zitiert.

Wegen Coronavirus eröffnet Feldlazarett auf Messe in Stockholm

Er werde dann priorisiert werden müssen, welche Patienten am meisten intensivmedizinischer Behandlung bedürften. „Unsere wichtigste Aufgabe ist nun, alle gemeinsam so viele Leben zu retten, wie wir können“, zitiert das Blatt den Schluss des Alarmbriefs.

Auch ansonsten wird daran gearbeitet, mehr Klinikbetten zu schaffen. Am Wochenende soll auf dem Messegelände in Stockholm ein Feldlazarett für zunächst 140 Coronavirus-Patienten eröffnen, dies könnte auf mehr als 600 Bettenaufgestockt werden, so die Behörden.

Hintergründe zum Coronavirus:

Schweden verfolgt sogar im Vergleich zu  seinen skandinavischen Nachbarn Dänemark und Norwegen eine liberalere Strategie. Kindergärten und Grundschulen bis zur neunten Klasse sind anders als Gymnasien und Unis weiter offen, dort gibt es digitalen Unterricht. Fitness-Studios oder Schwimmbäder sind geöffnet, ebenso Restaurants, Kneipen und Cafés, die ihre Gäste allerdings inzwischen nur noch am Tisch bedienen dürfen.

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Die Staatsgrenzen sind für Nicht-Europäer dicht, nicht aber für Bürger der EU und der Europäischen Freihandelszone. Die Behörden fordern alle auf, Abstand zu halten, nach Möglichkeit im Home Office zu arbeiten und auf keinen Fall zur Arbeit zu gehen, wenn man auch nur die geringsten Krankheitssymptome spürt. Es gibt den immer wiederkehrenden Appell, soziale Kontakte zu minimieren und nicht zwingende Veranstaltungen und Reisen zu verschieben.

[Aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Die Entwicklungen speziell in Berlin an dieser Stelle.]

Wirklich untersagt sind seit dem 27. März Versammlungen mit mehr als 50 Teilnehmern – bis dahin lag die Grenze bei 500 Teilnehmern. Das hatte unter anderem dazu geführt, dass in Skigebieten wie Åre bis vor kurzem noch bis zu 499 Menschen pro Veranstaltung kräftig Après-Ski feierten, obwohl schon lange bekannt war, dass das Skigebiet Ischgl in Tirol ein Epizentrum des Virus in Europa war. Die Bars in den beliebten schwedischen Wintersportorten schlossen, doch Skifahren war weiter möglich. Jetzt schließen zum 6. April große Skigebiete vor den Osterferien.

Restaurants und Cafes wie hier in Stockholm sind noch geöffnet.
Restaurants und Cafes wie hier in Stockholm sind noch geöffnet.

© Janerik Henriksson/TT/Reuters

Seit Dienstag wird auch die Ausgabe von Medikamenten rationiert. Zudem verschärfte die Regierung am Donnerstag ihre Empfehlungen und forderte Arbeitgeber und zum Beispiel die Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs auf, Vorsorge zu treffen, dass Abstandsregeln eingehalten würden.

Seit Mittwoch sind auch Besuche in Alten- und Pflegeheimen verboten. Am Donnerstag hatten schwedische Medien wie der Sender SVT oder Sveriges Radio berichtet, dass sich das Coronavirus bereits in mehreren Altersheimen in der Hauptstadt Stockholm ausgebreitet habe.

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Ein Pflegedienst sagte dem SVT, dass es in den von ihm betreuten Heimen in der Region Stockholm mittlerweile 250 Ältere mit einer Coronavirus-Infektion gebe, darunter viele mit Vorerkrankungen. Davon seien bisher 50 gestorben, sagte der Leiter des Dienstes „Familjeläkarna“, Stefan Amér. Auch Tegnell hatte am Donnerstag von „mehr Fällen in Altersheimen in Stockholm und anderen Teilen“ berichtet.

Auf die Frage, ob er für sein Land durch die Coronavirus-Krise einen wirtschaftlichen Kollaps befürchte, sagte Löfven: „Dies hängt davon ab, wie lange der Verlauf ist.“ Die Prognose des Finanzministers laute, wenn es sich nicht zulange hinziehe, werde es wieder bergauf gehen. „Es ist aber trotzdem klar, dass die Wirtschaft für eine lange Zeit betroffen sein wird.“

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Im Hintergrund wird aber auch in Schweden nun offenbar ein Kurswechsel vorbereitet. Um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen, will die rot-grüne Minderheitsregierung deutlich mehr Kompetenzen und Sonderbefugnisse bekommen, berichtet Sveriges Radio unter Berufung auf das Boulevardblatt „Expressen“.

Demnach habe sich die Regierung Löfvens mit einem Gesetzentwurf an die Opposition gewandt, um sich deren Unterstützung für mögliche Sofortmaßnahmen wie zum Beispiel Ausgangssperren zu sichern. Die Regierung wolle das Gesetz so schnell wie möglich einführen, es solle für drei Monate gelten. Es solle schnelle Schritte der Regierung im Kampf gegen die Pandemie ermöglichen, ohne sich erst an den Reichstag wenden zu müssen.

„Es könne sich unter anderem um eine Begrenzung von Versammlungen, Schließung von Einkaufzentren, Bars, Diskotheken, Fitness-Studios, Cafes oder Sportanlagen gehen“, berichtet der Sender online. Weiter solle das Gesetz erlauben, dass Transporte eingeschränkt werden und die Regierung Zugriff auf Infrastruktureinrichtungen wie Häfen, Flugplätze sowie Bus- und Eisenbahnstationen erhalte. Das Sozialministerium bestätige der schwedischen Nachrichtenagentur TT, dass Vorbereitungen für einen entsprechenden Gesetzentwurf laufen.

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