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Im Austausch. Als Schülerin kam Savoy erstmals nach Berlin, unter dem Eindruck von Wim Wenders „Himmel über Berlin“. Heute ist sie von der Freiheit begeistert, als Professorin den Lehrstoff und die Ziele von Exkursionen selbst wählen zu können.

© Ulrich Dahl/TUB

Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy: Auf der Insel der Glückseligkeit

Die Französin Bénédicte Savoy erforscht Napoleons Kunstraub – und lobt die deutsche Universität. Am liebsten forscht und publiziert sie gemeinsam mit ihren Studierenden.

Büsten, Statuen und Vasen stehen wüst durcheinander, auf Konsolen oder auf dem Fußboden. Schränke sind geöffnet, Schubladen aufgezogen, ein groß gewachsener Herr betrachtet prüfend ein Relief: Vivant Denon, genannt „das Auge Napoleons“, in der Kunstkammer des königlichen Schlosses zu Berlin. Es ist das Jahr 1807, Preußen ist von Frankreich vernichtend geschlagen. Nun machen sich die Sieger daran, das Kulturerbe zu „befreien“, um es ins „Heimatland der Volkssouveränität“ zu verbringen, nach Paris, die künftige Welthauptstadt von Kultur und Wissenschaft.

Es handelte sich um Kunstraub, „den ersten modernen Kunstraub“, wie Bénédicte Savoy schreibt. Sie hat Napoleons Beschlagnahmungen insbesondere in Deutschland ein gewichtiges Buch gewidmet. Sieben Jahre nach der französischen Erstfassung liegt es endlich in deutscher Sprache vor, unter dem knappen Titel „Kunstraub“, während das Original noch „Annektiertes Kulturerbe“ überschrieben war.

Es gibt in der Tat Nuancen zwischen der deutschen und der französischen Wahrnehmung der Geschichte. Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin, kennt sich aus in den feinen Unterschieden. Soeben hat sie die große Ausstellung „Napoleon – Traum und Trauma“ in der Bundeskunsthalle Bonn kuratiert, fernab jeder Heldenverehrung auf die Vielschichtigkeit des historischen Ereignisses zielend, die hinter dem Namen Napoleons verborgen liegt (Tagesspiegel vom 27. Dezember 2010).

Eine solch kritische – und gleichwohl sympathetische – Ausstellung zu Napoleon hätte in Frankreich kaum entstehen können. Doch die Bonner Schau wird 2012 in Paris zu sehen sein. Denn Savoy meistert die Herausforderung ebenso, wie sie mit ihren Forschungen zur Napoleonischen Kunstbeute den Doppelcharakter von Beraubung und Befreiung herausgearbeitet hat. Dazu kann sie eine historische Quelle zitieren: „Ferdinand jubelte mit feuchten Augen, seine mühsam zerdrückten Tränen galten dem Raub an Deutschland, der Jubel dem Anblick des alten Meisterwerks“, heißt es in den Aufzeichnungen von Helmina von Chézy, einer Augenzeugin der Vorgänge in Paris 1807, als Kunstschätze aus Frankfurt am Main eintreffen, der Heimat des erwähnten Ferdinand Olivier. Bénédicte Savoy hat diese Aufzeichnungen zu „Leben und Kunst in Paris seit Napoleon I.“, erschienen 1807 in Weimar, in einer eigenen Publikation neu herausgegeben.

Ist schon Savoys Arbeit zum Kunstraub materialreich genug, so sind die gleichsam nebenbei gewachsenen Früchte ihrer Forschungstätigkeit nicht minder eindrucksvoll. Dazu zählen die französische Ausgabe von Friedrich Schlegels Beschreibungen der Gemälde im Louvre aus dem Jahr 1803, einer erstrangigen Quelle zur Museumsgeschichte wie zur Philosophie der Kunst, oder die Erstausgabe des Reisejournals des preußischen, einer Hugenottenfamilie entstammenden Kunstkommissars Jean Henry aus dem Jahr 1814.

Savoy, gebürtig in Paris 1972, lebt und arbeitet seit zwölf Jahren in Berlin. Die Stadt kennt sie bereits von einem Schüleraustauschjahr 1988, gleich nachdem sie in ihrer Heimatstadt Wim Wenders’ „Himmel über Berlin“ beeindruckt hatte. Nach dem Studium der Germanistik in Paris war sie dann seit 1998 am Centre Marc Bloch tätig, dem deutsch-französischen Forschungszentrum für Sozialwissenschaften in Berlin. Da sie aus Frankreich bereits Lehrerfahrung mitbrachte, erfüllte sie genau die erwünschte Qualifikation für die 2003 eingeführte Juniorprofessur. Diese Stelle an der TU ist 2009 in eine Voll-Professur umgewandelt worden, im Zuge des Ende 2007 aufgelegten „Schavan-Programms“ zur Förderung von Spitzenwissenschaftlerinnen.

Ihre Studierenden bindet Savoy früh in die Forschungsarbeit ein. So ist die kürzlich erschienene Anthologie von Quellentexten aus zwei Jahrhunderten zur Museumsgeschichte das Ergebnis eines Projektseminars an der TU. Der Band sei ein „Plädoyer für die Erhaltung des engen Zusammenhangs von Forschung und Lehre an deutschen Universitäten“, sagt Savoy. Und das sei auch mit den oft sehr jungen Bachelorstudierenden möglich. „Die jungen Leute sind wahnsinnig neugierig, man muss sie nur abholen!“

„Wahnsinnig neugierig“, das gilt zuallererst für die 38-Jährige selbst, die mit ansteckender Begeisterung von ihrer Tätigkeit erzählt. Bei der Beschäftigung mit jenem ganz Europa aufwühlenden Zeitabschnitt von 1789 bis 1815, dem Doppelereignis von Französischer Revolution und der Herrschaft Napoleons, hat sich ihr Blick durch den Kunsttransfer hindurch auf eine andere Geschichte gerichtet: auf die Entstehung des Museums. Schon der Louvre als Universalmuseum ist eine Schöpfung der Französischen Revolution.

Aber auch die Geschichte der Museen in Deutschland ist eng mit dem napoleonischen Schockerlebnis verknüpft, es war ein wichtiger Impuls. Das stürmische Erwachen von Nationalbewusstsein in den deutschen Landen richtet sich vor allem auf das kulturelle Erbe, das es aus Paris „heimzuholen“ gilt, wie es denn 1815 auch geschieht. Danach kann es in Berlin, der Hauptstadt des durch Waterloo und Wiener Kongress rehabilitierten Preußen, der Öffentlichkeit unzugängliche „königliche Kunstkammern“ nicht mehr geben: Die Nation verlangt ihr Recht an Besitz und Genuss der Kunst.

In ihrem Sammelband „Tempel der Kunst“ von 2006 rollt Savoy die Entstehung des öffentlichen Museums in Deutschland von 1701bis 1815 minutiös auf. Auch dieser Band ging aus einem TU-Projektseminar hervor, dessen Rahmen das Publikationsvorhaben jedoch bald überstieg – und viele Förderer bis hin zur Ernst-von-Siemens-Kunststiftung fand, die auch Übersetzung und Druck der deutschen „Kunstraub“-Ausgabe ermöglichte.

Im Einwerben von Drittmitteln ist Savoy mittlerweile geübt und überaus erfolgreich. Derzeit betreut sie ein deutsch- französisches Projekt zur „Ausbildung deutscher Maler in Paris im 19. Jahrhundert“, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und ihrem französischen Pendant, der Agence nationale de la recherche. Dass sie mit ihren Forschungen zur Museumsgeschichte auch am „Exzellenzcluster Topoi“ von FU und HU zu Raum und Wissen in der Antike beteiligt ist, versteht sich beinahe von selbst.

„Ich bin wahnsinnig gerne hier an der Uni“, sagt Bénédicte Savoy. „Für mich ist es eine Insel der Glückseligkeit. Dass man selber den Stoff bestimmen kann, die Exkursionen!“ Das deutsche Hochschulwesen schätzt sie auch im Vergleich zu Frankreich mit dem doppelten System von Eliteausbildung und „Uni für alle“. Das traditionelle deutsche Universitätsmodell bildete sich übrigens vor genau 200 Jahren aus, vorangetrieben durch Wilhelm von Humboldt in der von ihm konzipierten Universität im von Napoleon besetzten Berlin.

Bénédicte Savoy: Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen. Aus dem Französischen von Tom Heithoff. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2010. 500 S., 64 Tafeln und CD, 49 Euro; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Napoleon und Europa. Traum und Trauma. Kuratiert von Bénédicte Savoy unter Mitarbeit von Yann Potin. Prestel, München 2010. 384 S., 39,95 Euro

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