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Bettina Stark-Watzinger macht bei einer Pressekonferenz mit beiden Händen eine zupackende Geste.

© Christophe Gateau/dpa

Kürzungen bei sozialwissenschaftlicher Forschung: BMBF streicht die Hälfte der Corona-Projekte

Jetzt ist es amtlich: 50 Prozent der BMBF-Projekte zu gesellschaftlichen Pandemie-Folgen entfallen. Besser sieht es für die Rechtsextremismus-Forschung aus.

Nach vielen offenen Briefen und Protestnoten in den sozialen Medien hat Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) jetzt bekanntgegeben, in welchem Umfang sozial- und geisteswissenschaftliche Projekte zu zentralen gesellschaftlichen Themen gekürzt werden.

„Die Förderrichtlinie zu den ,Gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie’ wird im Umfang von 50 Prozent finanziert, sodass die Förderung zum 1. Februar 2023 beginnen kann (rund zehn Millionen Euro)“, erklärte das BMBF am Dienstagnachmittag per Pressemitteilung.

Eine Zusage würden 18 von 32 beantragten Projekten „auf Grundlage der Ergebnisse der wissenschaftsgeleiteten Begutachtung“ erhalten. Die nun bewilligten Projekte erhalten laut BMBF je 90 Prozent der beantragten Fördersumme.

Bekannt ist aber, dass auch die jetzt nicht bewilligten Projekte bereits vor Monaten nach vorangegangener positiver Begutachtung Zusagen erhalten - bei den Coronaforschungen wurde aus rund 400 Anträgen ausgewählt - und daraufhin Neueinstellungen und Stellenverlängerungen in Aussicht gestellt hatten. Teilweise handelt es sich um laufende Forschungsvorhaben, die nach einer ersten Förderperiode zur Verlängerung anstanden.

„Die Hälfte der im Januar in Aussicht gestellten Förderungen zu gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie wird abgesagt“, konstatierte daraufhin Jule Specht, Psychologie-Professorin an der Humboldt-Universität, am Dienstag auf Twitter. „Bei den verbliebenen Projekten wird der Projektstart um sieben Monate verzögert.“ Das geht auch aus einer Mail hervor, die die Antragsteller in der Nacht zum Dienstag erreichte.

Reichsbürgerflaggen bei einer Demonstration 2021 vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
Die bewilligten Projekte zur Rechtsextremismusforschung werden zu 95 Prozent finanziert, wobei aber eine Nachwuchsgruppe gestrichen wurde.

© imago images/Future Image

Die offizielle Nachricht Stark-Watzingers klingt ganz anders: „Förderung der Projekte im sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich sichergestellt“, heißt es da. Das BMBF ermögliche die Finanzierung „trotz schwieriger Haushaltslage“. Die Ministerin erklärt, es müssten „keine laufenden Forschungsvorhaben abgebrochen werden“. Sie bedauert die Verzögerungen bei der offiziellen Bekanntgabe, betont aber auch, dass es zuvor „keine formalen Förderzusagen“ gegeben habe.

Von den tatsächlichen Kürzungen sind nun aber vor allem die Coronafolgen-Projekte betroffen, zumal sie nicht wie geplant im Juli starten konnten, sondern erst ab Februar kommenden Jahres finanziert werden.

Besser sieht es für die Vorhaben in den BMBF-Programmen „Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus“ und „Nachwuchsgruppen im Rahmen der Rechtsextremismus- und Rassismusforschung“ aus, bei denen wie berichtet ebenfalls großflächige Mittelkürzungen befürchtet wurden.

Sie können laut BMBF zum 1. Januar 2023 starten und erhalten mit rund 27 Millionen Euro 95 Prozent der beantragten Fördersumme. Eine Zusage erhielten demnach 19 Projekte sowie fünf von sechs Nachwuchsgruppen.

Weiter gefördert werden auch Projekte zur Erforschung der DDR, die der BMBF-Mitteilung zufolge bisher noch keine Verlängerung erhalten hatten. Bei „pandemiebedingten Verzögerungen im Projektablauf“ könnten sie Laufzeitverlängerungen und gegebenenfalls Aufstockungen von vier Monate erhalten, heißt es. Dafür würden 1,3 Millionen Euro bereitgestellt.

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Trotz der nun bestätigten Kürzungen sehen beteiligte Forschende in der Konkretisierung auch einen Erfolg der öffentlichen Proteste in den vergangenen Wochen. Paula-Irene Villa Braslavsky, Soziologin an der Universität München, sagte gegenüber dem Blog von Jan-Martin Wiarda: „Wir haben nicht zugelassen, dass unsere bereits positiv begutachteten Forschungsprojekte geräuschlos weggekürzt werden. Wir haben thematisiert, wie uns das BMBF im Regen stehen gelassen hat, und wir haben gezeigt, wie wichtig unsere Forschung ist.“

Es bleibe aber falsch, bei einem so zentralen und wenig beforschten Thema wie der gesellschaftlichen Dimension der Corona-Pandemie satte 50 Prozent der Fördermittel zu streichen. Das gilt zweifellos auch für das von Jule Specht beantragte Verbundprojekt, das "zur traurigen Hälfte gehört", wie die HU-Professorin dem Tagesspiegel auf Anfrage sagte.

Forschen wollte sie gemeinsam mit Swen Hutter vom Wissenschaftszentrum Berlin und Christian von Scheve (Freie Universität) zu "Solidarität und Polarisierung in der post-pandemischen Zivilgesellschaft". Dabei sollte es etwa um spontane Hilfsbereitschaft in Initiativen wie nebenan.de gehen sowie um die Proteste der "Querdenker".

Das Verbundprojekt frage, "wie stark und nachhaltig die Pandemie die Struktur der Zivilgesellschaft in Deutschland verändert hat, welche Vergemeinschaftungs- und Exklusionskräfte aus diesen veränderten Formen des Engagements erwachsen, und welche individuellen Merkmale für Engagierte in solchen informellen und polarisierten Kontexten kennzeichnend sind", heißt es im ursprünglich positiv begutachteten Antrag des Teams.

Jule Specht sieht indes auch einen Schaden für die Wissenschaftslandschaft: "Was das BMBF an Frustration und Vertrauensbruch in der Wissenschaft auslöst: Da ist der Schaden viel größer als der finanzielle Nutzen."

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