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Ein Bild Oskar Schlemmers, die "Zwölf Figuren im Raum".

© Abbildung: picture alliance / Artcolor

Künstler im Nationalsozialismus: Viele wollten dazugehören

Nicht nur Emil Nolde machte sich anfangs Hoffnungen auf einen guten Platz im nationalsozialistischen Kunstbetrieb. Eine neue Sicht auch auf Karl Hofer und Oskar Schlemmer vermittelt eine neue Berliner Publikation.

Über die Situation der Künste unter dem NS-Regime, ihre Zurichtung und ihre Indienstnahme, sind mittlerweile ganze Bibliotheken vollgeschrieben worden. Die epochale Dokumentation des Auschwitz-Überlebenden Joseph Wulf, fünf Bände über die verschiedenen „Künste im Drittem Reich“, erschien 1963/64 und fand zunächst nur zögerlich Eingang in die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft. Und gut vierzig Jahre ist es her, dass der damalige Leiter des Frankfurter Kunstvereins, Georg Bussmann, mit der Ausstellung „Kunst im 3. Reich. Dokumente der Unterwerfung“ ein erschrockenes Publikum erstmals mit der bis dahin unter Verschluss gehaltenen offiziellen Kunst des Regimes bekannt machte.

Doch immer noch ist Detailarbeit in der Erforschung der Nazi-Zeit zu leisten. Wolfgang Ruppert, Professor für Kultur- und Politikgeschichte an der Universität der Künste Berlin, hat dies nun mit dem Sammelband „Künstler im Nationalsozialismus. Die ,deutsche Kunst’, die Kunstpolitik und die Berliner Kunsthochschule“ unternommen. Die Fokussierung auf Berlin erlaubt es, einzelne Schicksale und Karrieren in den Blick zu nehmen, immer unter der erkenntnisleitenden Fragestellung, wie es um Handlungsspielräume unter der zunehmend erstarkenden Diktatur bestellt war. Dahinter steht die generelle, von der Fassungslosigkeit der Nachgeborenen bestimmte Frage, „wie es in einem Land, das eine so hoch entwickelte Kultur hatte, geschehen konnte, dass sich der Nationalsozialismus durchsetzen und halten konnte“, wie Ruppert kürzlich bei der Vorstellung des Buches im Rahmen des UdK-„Rundgangs“ zum Semesterabschluss formulierte.

Die geläufige Dichotomie von „entarteter Kunst“ und „Nazi-Kunst“, kurz: von Gut und Böse, wird in dem Sammelband, der auf einer Tagung von 2013 beruht, anhand der Detailstudien widerlegt. Es gab Entlassungen, es gab braune Karrieren, es gab Duldungen, Widerstand, Anpassung und ebenso Kontinuität.

Fritz Cremer, später ein Staatskünstler der DDR, machte im NS Karriere

„Beispielsweise bestand die angesehene Bildhauerschule von Wilhelm Gerstel völlig unbeeinträchtigt fort“, schreibt Ruppert in seiner umfangreichen Einführung. Zu Gerstels Schülern zählten bedeutende Bildhauer nach 1945 wie Gustav Seitz und vor allem Fritz Cremer, der in der DDR zum Staatskünstler aufstieg. Cremer habe sich zuvor, im Verlauf der 1930er und frühen 1940er Jahre, durchaus einen Platz im nationalsozialistisch beherrschten Kunstbetrieb erarbeitet. Einen Platz, den auch die aus ihren Lehrämtern gejagten Karl Hofer oder Oskar Schlemmer zu finden hofften, wie entsprechende Beiträge des Buches belegen.

Eine seit Langem diskutierte Frage ist die nach der Genese einer spezifisch nationalsozialistischen Kunst. Dies war 1933 noch nicht entschieden; es gab zahlreiche Stimmen vor allem unter jungen NS-Anhängern, die den Expressionismus als „deutsche“ Kunst propagierten. In der noch nicht vollends „gleichgeschalteten“ Presse äußerten sich dazu Lehrer der „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“, wie die Berliner Hochschule seit der Weimarer Zeit hieß, wie eben Schlemmer und Hofer. Dieser, wie mehrere Kollegen noch in der Kaiserzeit ausgebildet, „sah die Gefahr, dass mit dem akademischen Traditionalismus ,das Mittelmaß, das Epigonentum, eine falsche Biedermeierei, das Schmückedeinheimbild, der Öldruck sich breitmache’“.

Nolde hoffte 1933, Direktor der Berliner Hochschule zu werden

Genau das trat ein, nachdem die Traditionalisten um den NS-Chefideologen Alfred Rosenberg die Gunst Hitlers errungen hatten. Dem hinlänglich durchleuchteten Sonderfall Emil Nolde – einerseits frühzeitig NSDAP-Mitglied, andererseits später als „entartet“ mit Ausstellungsverbot belegt – fügt Ruppert die Facette hinzu, dass der Maler sich 1933 berechtigte Hoffnungen glaubte machen zu können, zum neuen Direktor der Vereinigten Staatsschulen berufen zu werden.

Den Kontext der Debatte um die „deutsche Kunst“ liefert Eckart Gillen, einer der besten Kenner der deutschen Kunst unter den einander folgenden Diktaturen von NSDAP und SED, in seinem Beitrag über den Expressionismus. Die Pointe ist, dass der Expressionismus 1933 längst von gestern war; für erledigt erklärt bereits ab 1920. Gillen nennt den seit Hildegard Brenners Forschungsbericht von 1963 bekannten, aber wohl noch nie so detailliert geschilderten Streit, in dem der NS-Studentenführer Otto Andreas Schreiber vehement für Nolde und Barlach eintrat, ein „Nachhutgefecht“. Immerhin hatte der spätere (kommissarische) Direktor der Vereinigten Staatsschulen, Otto von Kursell, bereits 1923 im NS-Blatt „Völkischer Beobachter“ geschrieben: „Schönheit der deutschen Kunst ist innerlich ringende Sehnsucht, nicht äußerlich maßvolle Vollendung“, und damit einen in der Kunstliteratur seit den 1910er Jahren gängigen Topos für die NS-Ideologie reklamiert.

Eine Art stillschweigender Kontinuität

Die Vereinigten Staatsschulen selbst wurden durchaus nicht so „radikal“ vereinnahmt, wie es bislang gängige Deutung ist. Stefanie Johnen, die sich wohl durch wahre Aktenberge gearbeitet hat, kann minutiös darlegen, wie allmählich und beinahe unmerklich die Anpassung an die Direktiven der im Übrigen heftig um Einfluss rangelnden NS-Dienststellen geschah. So wurden erst 1937, im Jahr der Ausstellung „Entartete Kunst“, die derart verleumdeten Professoren wie der Bildhauer Ludwig Gies entlassen – oder aber halbwegs legalistisch frühpensioniert. Auf die erhalten bleibenden Stellen aller relegierten Professoren – auch der als „jüdisch versippt“ denunzierten – folgten indes zumeist Schüler ihrer bisherigen Klassen in einer Art stillschweigender Kontinuität. So „sicherte“ der Alt-Nazi Max Kutschmann als Direktor der 1930er Jahre „diejenigen Klassen, die sich über Jahre und Jahrzehnte etabliert hatten“.

Die von den Nazis 1933 vollmundig verkündete „Revolution“ blieb, wie auch sonst, in der Kulturpolitik bloße Behauptung. Statt Revolution gab es „Gleichschaltung“ und Anpassung, oder wie es der Emigrant und Architekturhistoriker Julius Posener einmal ausdrückte – und im Beitrag von Angela Lammert zitiert wird –: „Es war ja nicht so, dass die Künstler sich unterworfen haben: Viele haben eben das gewollt, und Jahre vorher.“

Wolfgang Ruppert (Hrsg.) Künstler im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2015. 372 Seiten, 44,90 Euro.

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