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Auf einem gemalten Postkarten-Motiv sind nachgestellte Szenen aus den afrikanischen Kolonien sowie ein handschriftlicher Text zu sehen.

© publishing company: Kunstanstalt J. Miesler, Berlin S./Wikiepdia

Kritischer Rückblick auf Kolonialausstellung: Eine Folie über die angebliche Dorfidylle gelegt

Eine Ausstellung in Berlin erinnert an die „Erste Deutsche Kolonialausstellung“. Rekonstruiert wird auch die Biografie des Herero Josaphat Kamatoto.

Otjiseva heißt eine Farm in Namibia, seit 1927 im Besitz einer deutschstämmigen Familie, etwa 40 Kilometer nördlich von Windhoek. Ursprünglich war es der Name eines nahen Herero-Dorfes, offenbar mit einer ergiebigen Wasserstelle gesegnet: „Otjiseva“, das bedeutet „Teichdorf“.

Von dort war vor 125 Jahren der Herero Josaphat Kamatoto mit seiner Frau Martha nach Berlin gereist, Sohn eines Gemeindeältesten, von Carl Hugo Hahn, dem ersten Missionar im Land der Herero, getauft und in der Station Otjiseva als Lehrer, Prediger und Dolmetscher tätig.

Deutsch muss er sehr gut beherrscht haben, denn er wurde als einer der 106 aus den deutschen Kolonien in Afrika und Papua-Neuguinea zur „Ersten Deutschen Kolonialausstellung“ nach Berlin gebrachten Menschen so etwas wie der Sprecher der Herero-Gruppe, samt Audienz bei Wilhelm II. Der sagte ihm sogar zu, mit den Hereros Frieden halten zu wollen – ein Versprechen, das bekanntlich nicht eingehalten wurde.

Mit dem Opernglas auf das Publikum zurückgeschaut

Die knappe Biografie Kamatotos ist Teil der seit 2017 bestehenden, nun aber, zum 125. Jahrestag der Kolonialschau, gründlich überarbeiteten und am Freitagabend wiedereröffneten Ausstellung in den Museen Treptow-Köpenick. Sie ist ein Gemeinschaftswerk mit dem Projekt Dekoloniale – Erinnerungskultur in der Stadt, und wie es heißt ist sie sogar „die erste Dauerausstellung zu Kolonialismus, Rassismus und Schwarzem Widerstand in einem Berliner Museum“.

Porträtbild eines Schwarzen Mannes, der einen dicken hellbraunen Wintermantel trägt.
Das Porträt Josaphat Kamatotos in der Ausstellung "zurückgeblickt - looking back".

© Museum Treptow-Köpenick

[Lesen Sie auch einen Kommentar von Anna Thewalt zur Aufarbeitung der Berliner Kolonialgeschichte: Umbenennung kann nur ein Anfang sein]

Programmatisch trägt sie den Titel „zurückgeschaut – looking back“. Das ist übertragen gemeint, soll sie doch ein nur wenig bekanntes Kapitel deutscher und Berliner Kolonialgeschichte vergegenwärtigen. Und es zielt konkret auf den Entschluss eines der Teilnehmer der Kolonialschau, des Kameruners Kwelle Ndumbe, der als Akt des Widerstandes und Protests gegen die eigene Zurschaustellung sich ein Opernglas kaufte und nun seinerseits die ihn anstarrenden Ausstellungsbesucher ins Auge fasste.

[„zurückgeblickt – looking back: Die erste Deutsche Kolonialausstellung von 1896 in Berlin-Treptow“. Sterndamm 102 in Johannisthal. Ab Sonntag geöffnet (Mo, Do 10-18 Uhr, Di 10-16 Uhr, So 14-18 Uhr. Eintritt frei.]

Wobei Teilnehmer kaum das richtige Wort ist für die 106 Menschen aus den Kolonien, gaukelt es doch eine Freiwilligkeit ihrer Reise vor, die nur selten bestanden haben dürfte. Und wenn, dann wussten die Menschen bestimmt nicht, was man mit ihnen genau vorhatte.

„Authentische“ Dörfer aus den deutschen Kolonien nachgestellt

Die Kolonialschau war Teil der Berliner Gewerbeausstellung, die vom 1. Mai bis 15. Oktober 1896 in der noch nicht zu Berlin gehörenden Landgemeinde Treptow stattfand und von der nur noch die Archenhold-Sternwarte im Treptower Park übrig geblieben ist. Die Kolonialausstellung war als eine der damals beliebten „Völkerschauen“ angelegt.

Dörfer aus den deutschen Kolonien in Afrika und Südostasien waren als authentisch anmutende Kulissen aufgebaut worden, in denen die nach Berlin geholten kolonialen Untertanen ihr normales Dorfleben vorführen sollten. Eine scheinbare koloniale Idylle wurde gezeigt, eine Schau voller rassistischer Klischees, die auch für den deutschen Kolonialismus warb, mit den ins Land geholten Menschen als Schauobjekten eines Millionenpublikums.

Es gibt von der Ausstellung amtliche Berichte und journalistische Reportagen, doch nur wenige Zeugnisse von den 106 „Bewohnern“ der Schaudörfer. Immerhin hatte man von den meisten Fotos angefertigt, zu vermeintlichen wissenschaftlichen Zwecken, frontal und von der Seite, so wie sie auch für Steckbriefe angefertigt werden. Einige aber verweigerten das, ein Akt des Widerstands wie das Zurückstarren durchs Opernglas.

Versuch, den Menschen ihre Würde zurückzugeben

In der Ausstellung sind die Fotos nun der Mittelpunkt, und es ist den Machern gelungen, die entwürdigende Situation der Entstehung zu überwinden, den Menschen ihre Würde zurückzugeben. Nicht länger – es hatte gegen die frühere Präsentation auch Widerspruch gegeben – erinnert die Porträtgalerie an eine Sammlung schwarzweißer Fahndungsfotos mit den zur Identifizierung notwendigen biografischen Daten.

Für die überarbeitete Schau hat man die Fotos koloriert und nennt nur die Namen. Wer mehr wissen will, kann sich den entsprechenden Ordner mit der jeweiligen Kurzbiografie ziehen.

Schwarze Männer stehen in einer Reihe nebeneinander, sie sind mit Ketten um ihre Hälse gefesselt.
Gefangene Herero während des Herero-Aufstandes in der deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika ( Namibia ) 1904.

© KEYSTONE

Ursprünglich war die Ausstellung eine Idee des Bezirksmuseums, doch wollten die Akteure des Kooperationsprojekts Dekoloniale – es sind die Vereine Berlin Postkolonial und Each One Teach One EOTO, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und die Stiftung Stadtmuseum – das Konzept nicht nur abnicken, sondern mitwirken. Gemeinsam war ihnen offenbar die Sorge, die rückblickende Präsentation der Kolonialschau könnte deren rassistische Klischees ungewollt wiederholen.

Wahrscheinlich im Völkermord das Leben verloren

Eine klare Distanzierung schien ihnen notwendig, in den Texten wurden daher sensible oder als heikel empfundene Begriffe grafisch markiert. Und als wären Fotos von damals ohne optisch-kritische Brechung heutigem Publikum nicht zumutbar, wurde nun eine gerasterte Folie darübergelegt, die afrikanische und südostasiatische Dorfidylle im Geschmack des Wilhelminismus dem direkten Blick entzogen und Fotos, die die „Dorfbewohner“ bei ihrem Alltag zu zeigen vorgeben, gleich ganz entfernt. Immerhin, man kann die Folien lüften.

Nach dem Abschluss der Kolonialschau wurden die meisten der dort ausgestellten Menschen wieder zurücktransportiert, nur etwa 20 blieben hier. Einige der Objekte, die vor 125 Jahren in Treptow zu sehen waren, haben sich in deutschen Museen, auch in Berlin, erhalten.

Vom weiteren Schicksal Josaphat Kamatotos ist nur wenig bekannt. Er soll den Missionar August Kuhlmann während des Herero-Aufstands 1904/05 begleitet und beschützt haben, wie es in seiner Kurzbiografie heißt. „Es ist davon auszugehen, dass Josephat Kamatoto im Völkermord sein Leben verliert.“

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