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Alexander von Humboldt an einem Arbeitstisch mitten in der Wildnis.

© Andreas Klaer

Kritik an Alexander von Humboldt:: Risse im Bild des vorbildlichen Forschers

Hat er seine Vorläufer verleugnet? Lateinamerikanische Historiker kritisieren Humboldts Umgang mit Quellen und seine eurozentrische Sichtweise.

Schmetterlinge und tropische Pflanzen: Ach, wie schön ist Amerika! Und mitten in dieser berückenden botanischen Welt sitzt ein Forscher, umgeben von Messinstrumenten, der junge Alexander von Humboldt. Ein Bild, gemalt im Jahr 1856 und jetzt zum 250. Geburtstag häufig abgebildet, das eine Szene aus Humboldts Amerikareise (1799–1804) darstellt.

Bücher, Notizhefte und Landkarten: Ach, wie klug ist Europa! Ein zweites häufig abgebildetes Gemälde, ebenfalls aus dem Jahr 1856, zeigt ein Gelehrtenzimmer voller Bücherregale, mit Büsten und Instrumenten, und darin sitzt ebenderselbe Forscher, gealtert und weltberühmt, die Wissenschaft in Person.

Für Jorge Cañizares Esguerra, Historiker an der University of Texas at Austin, sind diese beiden Bilder bezeichnend dafür, wie Europa Amerika gesehen hat: als „Land der Schmetterlinge und Pflanzen“, ohne eigene Wissenschaft oder Kultur. „Wo ist der kolumbianische Botaniker Caldas auf dem Bild von Humboldts Arbeitszimmer?“, fragt Cañizares Esguerra. Und gibt sich die Antwort selbst: „Unter dem Teppich.“

Humboldt war kein einsames Genie

Der Historiker, der in Ecuador geboren und in Mexiko und Kolumbien aufgewachsen ist, sprach auf der Konferenz „Alexander von Humboldt: Circulation of State-Knowledge in Europe and Latin America“, die vom Iberoamerikanischen Institut, dem Centre Marc Bloch und dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte veranstaltet wurde. Ziel der Konferenz war es, Humboldts Wirken in den Kontext seiner Zeit und ihrer Wissensströme zu setzen, so Jakob Vogel, Direktor des Centre Marc Bloch. Denn er war kein „einsames Genie“ und auch nicht der Erste, der über die Zusammenhänge zwischen Mensch und Natur nachgedacht hätte, sondern war eingebunden in ein Netz von Vorläufern und Mitstreitern.

In Lateinamerika ist der Name Alexander von Humboldt noch heute allgemein bekannt und beliebt – er diente den jungen lateinamerikanischen Nationen lange Zeit als Identifikationsfigur. Aber es werden auch kritische Stimmen laut. Cañizares Esguerras jedenfalls findet es ärgerlich, wenn Alexander von Humboldt in der europäischen Rezeption als derjenige präsentiert wird, der quasi die Wissenschaft nach Amerika gebracht hat – und wenn gleichzeitig die dort damals bereits vorhandenen Ansätze und Vorläufer „unter den Teppich gekehrt werden“.

Herablassende Haltung

Daran sei Humboldt mitschuldig. Auf seinen eigenen Bildern habe er Menschen und Städte verschwinden lassen und stattdessen „idyllische neoklassizistische Landschaften“ festgehalten. Auch er habe die typisch europäisch herablassende Haltung gehabt, der zufolge „der globale Süden dafür da ist, von Europa zu Vernunft und Modernität geführt zu werden“. Cañizares-Esguerra lässt kein gutes Haar an dem Gelehrten: „Humboldt hat alles ihm Mögliche dafür getan, Spuren zu verwischen“, also die Werke lateinamerikanischer Wissenschaftler, aus denen er schöpfte, nicht zu erwähnen.

Der kolumbianische Botaniker Francisco José de Caldas (1768–1816) beispielsweise habe bereits vor Humboldt Zeichnungen erstellt, in denen er die Verbreitung von Pflanzen auf verschiedenen Höhengraden darstellte, so Cañizares-Esguerra. Acht Monate lang haben die beiden zusammen geforscht; dennoch erwähnt ihn Humboldt nicht in der ersten Ausgabe seiner „Pflanzengeographie“, sondern erst über zwei Jahrzehnte später. Auch die Beiträge anderer lateinamerikanischer Wissenschaftler habe Humboldt heruntergespielt oder ignoriert.

War Humboldt also ein Plagiator? In dieser zugespitzten Form möchte Jakob Vogel das nicht bestätigen. Schließlich waren die Zitiergepflogenheiten damals andere, und Humboldt hat mehrfach betont, wie viel er lateinamerikanischen Gelehrten wie José Celestino Mutis verdanke. „Aber richtig ist: Wenn man Humboldt in den wissenschaftshistorischen Kontext setzt, erscheint er weniger außergewöhnlich, als er in manchen hagiographisch anmutenden Biografien dargestellt wird.“

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