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Blaue Viertelstunde. Solarien machen braun. Und krank? So einfach ist es nicht.

© mauritius images / age fotostock

Krebshilfe fordert Solarien-Verbot: Wie gefährlich ist die künstliche Sonne?

Von UV-Licht ausgelöste Tumore sind häufig. Manche halten Solarien deshalb für Todeszellen. Ein Blick auf die Befunde der Wissenschaft.

„Verantwortungsvoll bräunen“ steht in dicken Lettern auf der Eingangstür vieler Sonnenstudios.

Ein guter Werbeslogan. Und zugleich die Versicherung des Betreibers, dass hier die 2012 erlassene „Verordnung zum Schutz vor schädlichen Wirkungen künstlicher ultravioletter Strahlung“ umgesetzt wird: Das Personal muss geschult sein, es soll die Risiken der UV-Strahlung kennen, es soll Kunden mit den Hauttypen I und II von der Nutzung des Solariums abraten.

Kindern und Jugendlichen ist der Zutritt zu Studios wie diesem ohnehin seit 2009 verboten.

Berechnungen

So weit, so gut? Nein, sagt die Deutsche Krebshilfe: Sie fordert ein bundesweites Verbot von Sonnenstudios. Als Argument führt sie Berechnungen ins Feld, nach denen jährlich 800 Todesfälle in Europa vermieden werden würden, wenn es keine Solarien gäbe. Denn die Geräte seien jährlich bei 3400 Menschen der Grund dafür, dass sie einen gefährlichen schwarzen Hautkrebs entwickeln, das gefürchtete Maligne Melanom.

Für diese Behauptung gebe es keine Grundlage, sagte dagegen der Sprecher des Bundesverbandes Besonnung kürzlich der Deutschen Presseagentur. „Eine moderate Solarium-Nutzung steigert nicht das Risiko.“ Moderat sind nach seiner Definition weniger als 50 Sonnenstudio-Besuche im Jahr.

Was sind die tatsächlich bekannten wissenschaftlichen Fakten zu dieser Streitfrage? Die Zahlen, die die Deutsche Krebshilfe nennt, stammen aus einer Metaanalyse, deren Ergebnisse 2012 im „British Medical Journal“ veröffentlicht wurde: Der Biostatistiker Mathieu Boniol und seine Kollegen kamen hier anhand von 27 Beobachtungsstudien zu dem Schluss, dass in Europa jährlich etwa 800 Personen an einem malignen Melanom versterben, das aufgrund von Solariennutzung entstanden ist.

Annahmen

Eine Arbeitsgruppe der International Agency for Research on Cancer (IARC) schloss schon 2007 nach Durchsicht verfügbarer Forschungsergebnisse, dass zwischen der Nutzung von Solarien und Hautkrebs ein Zusammenhang besteht. Ihrer Metaanalyse von 19 Studien zufolge, die im „International Journal of Cancer“ veröffentlicht wurde, erhöht sich das Risiko, ein Melanom zu bekommen, unter Umständen schon bei zwölf Solarium-Besuchen im Jahr – jedenfalls, wenn man damit in jungen Jahren anfängt: Personen, die in einem Alter unter 35 Jahren beginnen, regelmäßig mindestens einmal im Monat ein Sonnenstudio zu besuchen, hätten demnach ein 75-fach erhöhtes Risiko, ein malignes Melanom zu bekommen.

„Die Intensität leistungsstarker Bräunungsgeräte dürfte zehn- bis fünfzehn Mal höher sein als die der Mittagssonne“, so die Experten. Im Ergebnis betrügen die jährlichen UV-A-Dosen bei häufiger Nutzung von Solarien ihren Berechnungen zufolge ein Mehrfaches der Menge, die Menschen beim Aufenthalt im Freien abbekommen – selbst wenn man gezieltes „Sonnenbaden“ einrechne. Beides addiere sich zudem bei den meisten Nutzern.

Solarien könnten auch nicht dabei helfen, sich langsam an die Sonne zu gewöhnen und so einen Sonnenbrand im Urlaub zu vermeiden, der als wichtiger Risikofaktor für den schwarzen Hautkrebs gilt. In der freien Natur bekommen Sonnenanbeter ein Gemisch von UV-A-Licht einer Wellenlänge von 315 bis 400 Nanometer und UV-B-Licht der Wellenlänge von 280 bis 315 Nanometer ab.

UV-A und UV-B

Die Solarien, um die es in der Studie von 2007 ging, strahlten dagegen fast ausschließlich UV-A-Licht, das tiefere Hautschichten erreicht und schneller, aber weniger nachhaltig bräunt. „Unsere Ergebnisse stützen die These eines schützenden Effekts der Nutzung von Sonnenbänken vor Hautschäden durch anschließende Sonnenbestrahlung nicht.“ Sorgen machte den Forschern zudem, dass es mit dieser Art des Sonnenbadens noch keine langjährigen Erfahrungen gebe.

„Diese ausgedehnte wiederholte Exposition gegenüber hohen Dosen von UV-A stellt für Menschen ein neuartiges Phänomen dar.“

Das IARC hat nicht nur die natürliche Sonnenbestrahlung, sondern auch die gezielte Besonnung im Studio unter der Kategorie „krebserregend für Menschen“ zugeordnet. Es ist die Kategorie, in der sich unter anderem auch Asbest findet.

In der Leitlinie „Prävention von Hautkrebs“, die 2014 unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Prävention, der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft und von der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie herausgegeben wurde, werden fünf Prozent der Melanom-Erkrankungen auf den regelmäßigen Besuch von Solarien zurückgeführt.

Auch das Risiko für das weit häufigere Basalzellkarzinom und das für eine zweite Form von hellem Hautkrebs, das Plattenepithelkarzinom, für das die Gesamtbilanz an UV-Strahlung entscheidend zu sein scheint, steige, wenn man sich regelmäßig unter die künstliche Sonne legt. Einhellig warnen davor auch der Wissenschaftliche Ausschuss für Gesundheits-, Umwelt- und Schwellenrisiken der EU (SCHEER) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ausführlichen Berichten.

Forschung mit alten Daten und alten Geräten

Das klingt klar und deutlich, doch die zugrundeliegenden Daten sind es nicht unbedingt. So beziehen sich die Analysen teilweise auf Geräte und Röhren, die gar nicht mehr verwendet werden. Zudem finden sich in modernen Sonnenstudios inzwischen durchaus Sonnenliegen, die UV-A und UV-B-Strahlung in einem Verhältnis nahe dem der Sommersonne abgeben. Eine Gruppe von Dermatologen um Jörg Reichrath vom Uniklinikum des Saarlandes kritisierte vor zwei Jahren im „International Journal of Anticancer Research and Treatment“ die Einschätzungen von EU und WHO. Diese basierten auf einer „unvollständigen, unausgewogenen und unkritischen Literaturauswertung“. Weitreichende Schlüsse würden allein aufgrund von Beobachtungsstudien gezogen.

Diese gelten tatsächlich allgemein in der Gesundheitsforschung als extrem fehleranfällig. Doch andere gibt es beim Thema Solarien nicht. Denn Gruppen nach dem Zufallsprinzip zusammenzustellen und deren Gesundheit dann über Jahre und Jahrzehnte zu vergleichen, ist fast unmöglich: Wer würde sich schon im Dienst der Wissenschaft per Los zum jahrelang regelmäßigen Solariumbesuch verpflichten lassen?

Wer häufig ins Solarium gehe, unterscheide sich womöglich auch in anderer Hinsicht von Menschen, die das nie tun, gibt Reichrath zu bedenken. „So kann die Solariennutzung ein Marker sein für Sonnenanbeter, die sich auch der natürlichen Sonnenstrahlung exzessiv aussetzen und durch häufige Sonnenbrände ihr Melanom-Risiko erhöhen.“

Andere gesundheitsrelevante Lebensstil-Faktoren

Sven Schneider vom Mannheimer Institut für Public Health, Sozial- und Präventivmedizin der Uni Heidelberg hat genau das 2010 in seiner systematischen Literaturarbeit „Who uses sunbeds?“ untersucht. Wie er und seine Kollegen im „Journal oft the European Academy of Dermatology and Venerology“ berichten, ergab die Auswertung von 16 einschlägigen Studien, dass die typischen Sonnenstudio-Kunden weiblich und jung sind, rauchen und überdurchschnittlich viel Alkohol trinken und sich zudem weniger gesund ernähren als der Durchschnitt ihrer Altersgenossinnen.

Katharina Diehl, die ebenfalls an dem Institut in Mannheim arbeitet und das Nationale Krebshilfe-Monitoring (NCAM) leitet, weist darauf hin, dass die Solarium-Nutzung ohnehin zurückgehe: „Im Jahr 2015 waren noch 11,0 Prozent der 14- bis 45-Jährigen aktuelle Nutzer, während es im Jahr 2018 8,8 Prozent waren“, berichtet Diehl. Vor allem Frauen veränderten ihre Gewohnheiten. Das liegt sicher nicht zuletzt daran, dass die Strahlen die Haut schneller altern lassen.

Sorgen machen Hautärzten aber nach wie vor die minderjährigen Sonnenanbeter. Obwohl sie per Gesetz gar nicht dürfen, waren 2018 den Befragungen zufolge 4,6 Prozent der 14- bis 17-jährigen mindestens einmal im Sonnenstudio.

Verbot in Brasilien

„Andere Länder haben tiefergreifende gesetzliche Regelungen“, sagt Diehl. „Sie reichen von einem Verbot von freistehenden Solarien in Schwimmbädern oder Fitnessstudios in Ländern wie Frankreich, Österreich und Belgien bis hin zu einem kompletten Verbot von Sonnenstudios in Australien und Brasilien.“

Doch da ist noch ein weiteres Argument der Befürworter moderater Solariennutzung. Denn Sonnenbänke mit UV-A/UV-B-Mix helfen der Haut – so wie die Sonne im Sommer – Vitamin D zu produzieren. Dieses Vitamin, das eigentlich ein Hormon ist, hat viele positive Effekte. Auch molekulare Schutzwirkungen gegen Krebs sind nachgewiesen. Seine Werte im Blut fallen aber im hiesigen Winter deutlich oft unter die Schwelle, die als potenziell gesundheitsschädlich gilt.

Bleibt die Frage, ob es Verbote braucht, um die zu schützen, die es übertreiben. Strengere Durchsetzung bestehender Gesetze könnte auch eine Option sein. Vielleicht setzt sich der Abwärtstrend ohnehin fort. Und bei der Aufklärung, wie man die Haut am besten schützt und trotzdem genug Vitamin D bekommt, sind sicher nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

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