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Kosmisches Netz. Die Simulation zeigt mit hellen Farben, dass sich die Dunkle Materie ebenso wie die sichtbare Materie entlang von „Fäden“ und „Knoten“ verteilt.

© MPI für Astrophysik Garching

Kosmologie: Das unsichtbare Netz im Weltall

Auf einer neuen Himmelskarte zeigen Astronomen, wie sich die Dunkle Materie entlang von gigantischen Fäden und Knoten im Universum verteilt. Derweil versuchen Physiker auf der Erde, die mysteriöse Substanz endlich nachzuweisen.

Von Rainer Kayser, dpa

Sie ist eines der großen Rätsel der Physik: die Dunkle Materie. Den Modellen zufolge macht die mysteriöse Substanz rund 23 Prozent des Universums aus und ist damit rund sechsmal so häufig wie die uns bekannte, sichtbare Materie. Doch was genau ist diese Dunkle Materie und woher wissen die Forscher überhaupt, dass es sie gibt?

Ein europäisch-kanadisches Astronomenteam hat jetzt weitere Hinweise auf die Dunkle Materie präsentiert, die den Wissenschaftlern dabei helfen können, eines Tages ein schlüssiges Bild zu gewinnen. Catherine Heymans von der Universität Edinburgh, Ludovic Van Waerbeke von der Universität von British Columbia in Vancouver und ihre Kollegen haben eine Himmelskarte erstellt, die zeigt, wie die rätselhafte Substanz im Kosmos verteilt ist: Sie bildet genau wie die sichtbare Materie ein verzweigtes Netz aus fadenförmigen Anhäufungen, Filamente genannt, und Knoten. Entlang dieser Filamente reihen sich Galaxien auf, an den Knoten des Netzes finden sich gewaltige Galaxienhaufen.

Computersimulationen der kosmischen Entwicklung hatten bereits eine solche Verteilung der Dunklen Materie vermuten lassen. Damit bestätigt sich nach Ansicht der Wissenschaftler, dass sie eine entscheidende Rolle für die Entstehung von Galaxien spielt.

Bereits 1933 erkannte der Schweizer Astronom Fritz Zwicky, dass es im Universum eine unsichtbare Materieform geben müsse. Er hatte die Bewegung der Galaxien in einem großen Galaxienhaufen untersucht. Es zeigte sich, dass ihre Geschwindigkeiten viel zu groß waren, als dass die Schwerkraft der sichtbaren Materie allein den Haufen zusammenhalten könnte. Es muss also einen großen Anteil an unsichtbarer Materie geben, deren Schwerkraft die Galaxien bindet.

Sichtbare und Dunkle Materie sind ähnlich verteilt. Das zeigt die Analyse des kanadisch-europäischen Forscherteams: Dort wo viel Dunkle Materie ist (helle Farben), finden sich auch Galaxienhaufen (eingefügte Himmelsbilder).
Sichtbare und Dunkle Materie sind ähnlich verteilt. Das zeigt die Analyse des kanadisch-europäischen Forscherteams: Dort wo viel Dunkle Materie ist (helle Farben), finden sich auch Galaxienhaufen (eingefügte Himmelsbilder).

© Van Waerbeke, Heymans, and CFHTLens collaboration

In den 1960er Jahren zeigten dann Messungen der Eigendrehung von Galaxien, dass auch hier Dunkle Materie am Werk sein muss: Die Sternsysteme rotieren so schnell, dass sie ohne die zusätzliche Anziehungskraft der unsichtbaren Substanz auseinanderfliegen würden. Inzwischen hat eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden die Existenz der Dunklen Materie bestätigt. Sie macht rund 23 Prozent der Gesamtmasse im Kosmos aus.

In den theoretischen Modellen der kosmischen Entwicklung spielt entsprechend die Schwerkraft der Dunklen Materie eine gewichtige Rolle. Zufällige Verdichtungen der Dunklen Materie im jungen Universum ziehen mit ihrer Schwerkraft auch die normale Materie an und helfen so bei der Entstehung der ersten Galaxien und Galaxienhaufen. Demnach sollte die Dunkle Materie im heutigen Kosmos die gleiche Verteilung zeigen wie die in Form von Galaxien sichtbare Materie.

Dem Team um Heymans und Van Waerbeke ist es im Rahmen des „Canada-France-Hawaii-Telescope Lensing Surveys“ gelungen, die kosmische Verteilung der Dunklen Materie sichtbar zu machen. „Unsere Karte der Dunklen Materie ist hundertmal größer als alle bisherigen Karten“, sagen die Forscher.

Unsichtbare Materie abzubilden klingt zunächst paradox, doch es ist wiederum die Schwerkraft, die die Dunkle Materie verrät. Sie verbiegt die Lichtstrahlen ferner Galaxien und verzerrt so deren Aussehen. Aus der Stärke und der Richtung der Verzerrungen können die Astronomen dann Rückschlüsse auf die Verteilung der mysteriösen Substanz ziehen. Da die Galaxien selbst sehr unterschiedliche Formen haben, müssen die Forscher den lokalen Einfluss der Dunklen Materie mithilfe einer Mittelung über eine große Zahl von Galaxien bestimmen – ein gewaltiger Aufwand.

Doch die dunkle Materie bleibt weiter rätselhaft

Fünf Jahre lang hat eine Spezialkamera am Canada-France-Hawaii-Telescope auf dem Mauna Kea insgesamt zehn Millionen Galaxien aufgenommen, um diese Aufgabe zu erfüllen und das Netz der Dunklen Materie zu zeigen.

Woraus aber besteht die Dunkle Materie? Hier tappen die Forscher bislang im sprichwörtlichen Dunkeln. Die gewöhnliche Materie, aus der Sterne, Planeten und auch wir Menschen bestehen, ist aus winzigen Teilchen – Elektronen, Neutronen, Protonen – aufgebaut, die vom sogenannten Standardmodell der Physik beschrieben werden. Doch dieses Standardmodell ist unvollständig, es erfasst nur drei der vier bekannten Naturkräfte, ausgerechnet die Schwerkraft bleibt außen vor. Versuche, mit einer übergreifenden Theorie auch die Schwerkraft einzubeziehen, führen zur Vorhersage einer Vielzahl bislang unbeobachteter Elementarteilchen. Eines oder mehrere dieser Teilchen könnten, so die Vermutung, die Bausteine der Dunklen Materie sein.

Mit mehreren großen unterirdischen Detektoren sind Physiker auf der Suche nach solchen neuen Teilchen. Die Idee: Wenn die Erde sich durch ein Meer aus Dunkler Materie bewegt, müssten die in den Detektoren registrierten Teilchen eine jahreszeitliche Variation zeigen. Im Juni, wenn Erde und Sonne sich relativ zur Galaxis in die gleiche Richtung bewegen, müssten mehr Partikel der Dunklen Materie eintreffen als im Dezember, wenn Erde und Sonne sich in entgegengesetzter Richtung bewegen. So könnten die Physiker die Teilchen der Dunklen Materie von anderen, störenden Teilchen unterscheiden, die über das Jahr hinweg gleichmäßig eintreffen.

Doch die bisherigen Ergebnisse sind verwirrend. Einige Detektoren sehen tatsächlich jahreszeitliche Variationen, andere nicht. Und die Experimente, die ein positives Signal gefunden haben, stimmen nicht darin überein, welche Masse die gefundenen Teilchen besitzen. In allen Fällen sind die Massen allerdings erheblich kleiner als aufgrund theoretischer Überlegungen erwartet.

Und es gibt noch ein Problem: Die Teilchen der Dunklen Materie sollten gelegentlich zusammenstoßen, sich dabei gegenseitig vernichten und hochenergetische Gammastrahlung aussenden. Mehrere Teams haben bereits mit Spezialteleskopen in Galaxienhaufen und Galaxien nach dieser charakteristischen Strahlung gesucht – und nichts gefunden.

Die Dunkle Materie bleibt weiter rätselhaft: Die verzerrten Galaxienbilder weisen zweifelsfrei ihre Existenz nach – doch andererseits sind alle Versuche, eine physikalische Erklärung für diese Substanz zu finden, bislang gescheitert.

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