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Innerhalb der EU beherrschen andere Themen die Diskussion, Covid-19 wurde vernachlässigt, sagen Wissenschaftler.

© Olivier Matthys/Pool AP/dpa

Koordination gegen Covid-19: Forschende fordern europäische Strategie gegen Sars-CoV-2

Viren achten keine Grenzen. Wissenschaftler appellieren an die europäischen Länder, im Kampf gegen Covid-19 gemeinsame Ziele zu verfolgen.

„Wenn wir nicht jetzt entschlossen handeln, ist mit weiteren Infektionswellen zu rechnen und als Konsequenz mit weiteren Schäden für Gesundheit, Gesellschaft, Arbeitsplätze und Betriebe“, heißt es in einem offenen Brief, der in der Medizinzeitschrift „The Lancet“ erschienen ist.

Kein europäisches Land allein könne die Infektionszahlen mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 bei offenen Grenzen niedrig halten, daher seien gemeinsame Ziele und gemeinsames Handeln essentiell: „Wir fordern daher eine starke, koordinierte europäische Antwort mit klar definierten mittel- und langfristigen Zielen.“

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Fallzahlen senken

Über 300 in Europa forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben den Brief unterschrieben, darunter Präsidenten nationaler Wissenschaftsakademien und Forschungsgesellschaften, der Präsident des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler und der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité, berichtete Viola Priesemann in einer Online-Pressekonferenz des Science Media Centers Deutschland.

Die Forscherin vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation hat das 20-köpfige Autorenteam des Positionsbeitrags koordiniert. „Wir fordern, dass Europa ein gemeinsames Ziel wählt, und dann kann jedes Land seine eigene Strategie entwickeln“, sagte Priesemann dem Tagesspiegel.

Das oberste Ziel müsse sein, die Fallzahlen koordiniert zu senken. Wenn nur ein Land weitreichende Maßnahmen ergreift, das Nachbarland aber nicht, bedrohten Einschleppungen des Virus die erreichten Erfolge.

Zehn pro Million

Die Forschenden schlagen vor, die Infektionsrate mit „tiefgreifenden Interventionen“ europaweit auf maximal zehn neue Covid-19-Fälle pro Million Menschen pro Tag zu begrenzen. Umgerechnet auf die in Deutschland gängigen Angaben der Inzidenz wären das sieben Fälle pro 100<TH>000 Einwohner pro Woche. Aktuell liegt Deutschland laut Daten der Weltgesundheitsorganisation bei circa 180, mit steigendem Trend.

Wie die Interventionen aussehen sollen, wird nicht beschrieben, allerdings ist klar, dass es sich um Kontaktbeschränkungen handelt, die die Übertragung des Virus verhindern. „Wir müssen dem Virus den Weg abschneiden“, sagt Priesemann.

Bei niedrigen Fallzahlen würden Leben gerettet, weil weniger Menschen an schweren Verläufen der Krankheit sterben. Niedrige Fallzahlen sicherten auch Arbeitsplätze und Unternehmen, sagen die Forschenden. Länder wie China und Australien hätten gezeigt, dass sich Volkswirtschaften rasch erholen, sobald die Verbreitung des Virus deutlich reduziert wird. Umgekehrt stiegen wirtschaftliche Kosten mit der Dauer von Lockdowns.

Und drittens könne die Ausbreitung des Virus bei niedrigen Fallzahlen effektiver kontrolliert werden, weil die Kapazitäten für Tests und Rückverfolgung nicht überlastet werden. Dann reichten „sanfte aber gezielte“ Distanzierungsmaßnahmen aus, Schulen und Betriebe könnten geöffnet bleiben.

Lockerungen und Impfprogramme

Dagegen sei es kurzsichtig, höhere Fallzahlen in Kauf zu nehmen und Beschränkungen zu früh zu lockern. Dies führe zu weiteren Wellen und damit zu höheren Kosten für die Gesellschaft. Maßnahmen sollen nach dem Vorschlag erst „unter sorgfältiger Überwachung“ gelockert werden, wenn die Fallzahlen gesunken sind.

Priesemann rät davon ab, sich allein auf Impfprogramme zu verlassen: „Sie werden so bald keine Lösung bringen.“ Bisher sei nicht sicher, wie stark Impfungen die Übertragung verlangsamen. „Das bedeutet, dass zumindest mittlere Kontaktbeschränkungen aufrechterhalten werden müssen“, sagt Priesemann.

Für den nachhaltigen Erfolg sei auch entscheidend, das Ziel und die Vorteile niedriger Fallzahlen klar zu kommunizieren, um die Beteiligung der Bevölkerung zu sichern. „Die Kontrolle von Covid-19 wird einfacher werden“, prognostizieren die Autoren. Steigende Immunisierung, mehr Tests und verbessertes Verständnis der Eindämmungsstrategien würden die Kontrolle der Pandemie in naher Zukunft erleichtern.

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