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Konferenz Falling Walls: Moderne Sklaverei, Roboter auf dem Acker und die Spuren der Gedanken

Welche Mauern müssen überwunden werden, welche Durchbrüche sind nötig? Auf dieser Konferenz eröffnet die Wissenschaft neue Horizonte.

Am 9. November, dem Jahrestag des Mauerfalls, findet alljährlich im Berliner Veranstaltungszentrum Radialsystem die Konferenz „Falling Walls“ statt. International renommierte Forscher diskutieren hier über ihre Arbeit und über zukünftige Durchbrüche in Wissenschaft und Gesellschaft. Wir stellen fünf von ihnen vor.

Sadie Cree, Universität Oxford: Der Mensch als Sicherheitsrisiko

Als erste Rednerin des Tages war Sadie Creese von der Universität Oxford herausgefordert. Die Zuhörer sollten auf die Konferenz eingestimmt werden. „Stellen Sie sich bitte Ihrem Sitznachbarn vor, sagen Sie Ihren Namen“, fordert sie das Auditorium auf. „Und jetzt den Namen der Straße, an der sie zuerst gewohnt haben.“ Auch den des ersten Haustiers und der ersten Liebe sollten genannt werden. Egal, ist ja lange her, und wer weiß, ob man sich wiedersieht. Dann spricht Creese über Cybersicherheit.

Sadie Creese
Sadie Creese

© FWF/Ronny Träger

Das Risiko, dass technische Systeme gehackt und beispielsweise sensible Daten gestohlen werden, nimmt angesichts der Fülle an Geräten beträchtlich zu. Technische Schutzvorrichtungen wie Firewalls oder strikte Trennung zwischen internen Netzwerken und Systemen mit Internetverbindung seien nützlich, doch die entscheidende Rolle spiele der Mensch, sagt die Forscherin. „Bei allen großen Cyberskandalen waren Menschen beteiligt, die zum Beispiel einen USB-Stick mit Schadsoftware angeschlossen haben.“

Creese erforscht, was jemanden zum Täter macht. Es seien keineswegs nur Kriminelle, die entschlossen ein Ziel verfolgen. Nicht wenige geben sensible Daten unbeabsichtigt weiter, begünstigen damit aber einen Angriff. Wenn Menschen die Schwachstelle sind, dann sei es illusorisch, größere Bereiche abschotten zu wollen. „Wir müssen das Risiko akzeptieren“, lautete ihr Fazit. Denn überall gibt es Kontakte: im Job, in einer Bar, auf dem Golfplatz, im Theater. Überall könnte man auf jemanden treffen, der scheinbar oberflächliche Informationen nutzt, um eine Cyberattacke zu planen. Womöglich auch auf einer Konferenz, bei der man über sein erstes Haustier spricht.

Jack Gallant, Universität von Kalifornien, Berkeley: Spur der Gedanken

Jack Gallant, Universität von Kalifornien, Berkeley: Spur der Gedanken

Der Blick aus dem Fenster ist verschwommen. Man ahnt, dass die Schwarz-Weiß-Aufnahme einige Gebäude zeigt, vielleicht ist eines davon eine Scheune. Im Hintergrund ragt etwas in den Himmel, mit Fantasie kann man es als Kirchturm interpretieren. „Kein gutes Bild“, kommentiert Jack Gallant das erste bekannte Foto der Welt aus dem Jahr 1826. „Aber daraus ist eine Industrie entstanden, die nun fast perfekt ist.“ Für den Neurowissenschaftler von der Universität von Kalifornien in Berkeley ist die frühe Fotografie eine Analogie zum Stand der Entwicklung seines eigenen Feldes. Bis man mithilfe tragbarer Geräte Gedanken lesen kann, werde zwar noch einige Zeit vergehen. Doch der Anfang sei gemacht.

Jack Gallant
Jack Gallant

© FWF/Ronny Träger

Die Bilder, die Forscher in Gallants Labor entwickeln, sind beispielsweise Landkarten des Gehirns, die in den Regenbogenfarben leuchten. Sie zeigen, wo die Bedeutungen von Wörtern (Semantik) in der Hirnrinde repräsentiert sind. Die Wissenschaftler haben kürzlich sieben Probanden zwei Stunden lang Erzählungen aus dem Podcast „The Moth“ vorgespielt, während diese in der Röhre lagen. Sie haben nicht nur dokumentiert, wie sich die Aktivitätsmuster von mehr als 50 000 erbsengroßen Einheiten des Gehirns veränderten, während die Teilnehmer die 3000 in die Podcast-Geschichten eingebetteten Wörter hörten. Sie hatten zuvor ebenfalls analysiert, wie 10 000 verschiedene Wörter normalerweise in Beziehung miteinander stehen.

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Maschinelles Lernen und ausgeklügelte Algorithmen ermöglichten es ihnen, aus den so entstandenen Datenbergen einen Atlas der Bedeutungen zu destillieren. Jedes Wort werde an verschiedenen Orten im Gehirn abgelegt, sagt Gallant. Beim Hören werde daher ein ganzes Netzwerk mehr oder weniger aktiviert – je nach Erfahrung. „Das Wort ,Hund’ ruft unterschiedliche Assoziationen hervor“, sagt Gallant. „Man weiß, wie er bellt, wie er riecht, ist vielleicht als Kind einmal gebissen worden.“ Eine winzige Stelle über dem linken Ohr reagiere typischerweise auf Wörter wie „Opfer“, „ermordet“ und „überführt“. Eine andere Stelle rechts vom Scheitel sei aktiv, wenn es um die Familie gehe. „Ich liebe diese Karten“, sagt Gallant. Die auffälligen Farben deuteten eine weitere Ebene von Komplexität an. Die roten Farbtöne stehen für soziale Konzepte wie Hochzeiten und andere Ereignisse mit Freunden und der Familie, grüne Schattierungen stehen für Beschreibungen wie rund, eckig oder weich. Die Atlanten erstrahlen in tausenden Abstufungen.

Man kann rekonstruieren, welche Bilder ein Mensch sieht

Dennoch seien die Hirnatlanten der Wortbedeutungen einander erstaunlich ähnlich, sagt Gallant. „Das spiegelt anatomische Gegebenheiten wider.“ Und: Die Bedeutung von Wörtern werde über die ganze Hirnrinde verteilt gespeichert, nicht nur die linke Hirnhälfte ist an der Verarbeitung von Sprache beteiligt.

Das Ergebnis erinnere ein wenig an die Phrenologie – jene Pseudowissenschaft, die aus den Formen der Schädelknochen auf die Funktion der darunterliegenden Gehirnareale schloss. „Das war natürlich lächerlich“, sagt Gallant. „Aber diese Forscher hatten einen guten Punkt: Die Funktionen des Gehirns sind lokalisierbar.“ Nun könne man sie messen.

Was man mit solchen Daten anfangen kann, demonstriert Gallant mithilfe älterer Studien aus seinem Labor. Die Sehzentren des Gehirns sind besonders gut erforscht und so zeigte er Probanden zunächst kurze Filmausschnitte und dokumentierte die sich verändernden Aktivierungsmuster des Gehirns. „Daraus kann man den Stimulus rekonstruieren“, sagt er. Ränder, Farben und Texturen solcher nachempfundenen Bilder – einer Elefantenherde oder eines Mannes zum Beispiel – erinnern zwar in ihrer Verwaschenheit an die ersten Fotografien. „Aber ich finde sie fast erschreckend gut“, sagt Gallant. Sobald es Alternativen zu den grobkörnigen und teuren MRT-Aufnahmen gebe und sich damit die Hirnmodelle verbessern, werde auch die Qualität der rekonstruierten Bilder steigen. Zudem seien Computer bald schnell genug, um noch größere Datenberge zu verarbeiten. „Vielleicht kann man dann wirklich Gedanken lesen“, sagt Gallant. „Wenn solche Geräte tragbar sind, ergeben sich ganz neue Fragen: Wer hat Zugriff auf die Daten? Darf die Justiz sie möglicherweise verwenden?“

Kevin Bales, Universität Nottingham: Moderne Sklaverei

Kevin Bales, Universität Nottingham: Moderne Sklaverei

Da sind, nur als Beispiel, die Kinder, die in Bangladesch auf einer Fischfarm arbeiten. In sengender Hitze müssen sie Fische trocknen, damit diese zu Katzenfutter für die westliche Welt verarbeitet werden. Natürlich machen die Kinder das nicht freiwillig. Sie wurden ihren Familien entrissen, verschleppt. Täglich werden sie geschlagen, viele von ihnen sterben.

Kevin Bales
Kevin Bales

© FWF/Ronny Träger

Eine moderne Form von Sklaventum – so nennt es Kevin Bales, Soziologe an der Uni Nottingham. Er zeigte schockierende Fotos der Fischfarm und ähnliche Beispiele aus Indien, Nepal und Ghana. Mehr als 45,8 Millionen Menschen – viele von ihnen eben Kinder – würden noch heute als Sklaven gehalten, sagt Bales. Anders als früher würden sie nicht einmal mehr etwas kosten – in bevölkerungsreichen Ländern ist ein Menschenleben sprichwörtlich nichts mehr wert. „Man benutzt sie wie Plastikbecher: Wenn man sie nicht mehr brauchen kann, wirft man sie einfach weg.“

Auf der Spur der Sklaven stieß Bales auf einen verstörenden Zusammenhang. Viele würden ausgerechnet in geschützten Nationalparks gehalten. Dort, wo illegal gerodet wird, um etwa Goldminen oder Steinbrüche einzurichten. Viel Korruption ist dabei im Spiel. Würde man alle diese Gegenden als einen Staat betrachten, wäre dieser sogar für den drittstärksten Kohlendioxidausstoß weltweit verantwortlich, nach China und den USA.

Das Ende moderner Sklaverei und den Kampf für Klimaschutz, diese Großthemen müsse man also zusammendenken, forderte Bales. Er berichtete von einem Dorf aus dem Amazonasgebiet, das dank des Einsatzes von Menschenrechtsorganisationen kollektiv in die Freiheit entlassen wurde.

Peter Neumann, King's College, London: Wege in den Terror

Peter Neumann, King’s College, London: Wege in den Terror

Warum werden Menschen zu Terroristen? Und wie werden sie es? Das sind zwei drängende Fragen unserer Tage. Fragen, die der Politikwissenschaftler Peter Neumann immer wieder gestellt bekommt. Der Deutsche ist Leiter des Zentrums für Studien zur Radikalisierung am Londoner King’s College – und einer der bekanntesten Terrorismusforscher weltweit. Mit seinem Team hat er die Wege von inzwischen 750 Dschihadisten untersucht, und zwar von jungen Männern und Frauen, die aus Europa nach Syrien gezogen sind: „Also aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus.“

Peter Neumann
Peter Neumann

© FWF/Ronny Träger

Sein Vortrag zeigte, wie sehr soziale Medien insbesondere dem „Islamischen Staat“ bei der Rekrutierung helfen – wie sich aber auch Forscher ihrer bedienen können, um die Lebenswege von Terroristen zu untersuchen. Neumann hat ihnen anhand von Facebook- und Twitter-Posts, mit WhatsApp und Skype nachgespürt. „Es ist das erste Mal, dass man einen Konflikt aus der Ferne live beobachten kann.“ Mehr als 5000 junge Muslime sind bereits aus der ganzen Welt nach Syrien gegangen, schätzt Neumann. Die Radikalisierung passiere meistens schleichend, über Monate und Jahre hinweg: „Niemand wacht morgens mit einem umgeschnallten Sprengstoffgürtel auf.“

Zum Dschihadisten wird auch kaum einer aufgrund komplizierter religiöser Theorien. Vielmehr würden sie durch einfache Narrative überzeugt, sagt Neumann. Eines davon, das in vielen IS-Videos propagiert wird: Muslime werden weltweit angegriffen, dagegen müssen sie sich verteidigen. Meistens ziehen ganze Gruppen in den Dschihad: „Jugendliche gehen dann nach Syrien, weil sie Teil einer Clique sind.“ Oft sind das Menschen, die sich ihrer Heimat gesellschaftlich nicht zugehörig fühlen. Indem sie sich einer Terrormiliz anschließen, würden sie diese Zugehörigkeit finden, verbunden oft mit dem Gefühl von Abenteuer und sozialem Bedeutungszuwachs.

Was man dagegen tun kann? Vor allem müssten Gesellschaften integrierend wirken: „Auf lange Sicht sind sie damit erfolgreicher als wenn sie bestimmte Gruppen ausgrenzen.“ Eine Botschaft, die an einem Tag wie dem gestrigen so wichtig wie nie sei, sagte Neumann unter Anspielung auf den Wahlsieg von Trump.

Salah Sukkarieh, Universität Sydney: Elektronischer Bauer

Salah Sukkarieh, Universität Sydney: Elektronischer Bauer

Die Landwirtschaft ist essenziell für die Ernährung der Menschheit, aber sie hat ein Nachwuchsproblem. Die meisten Bauern seien zwischen 50 und 60, aber wer will schon ihren Job übernehmen, mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, oft fern der Stadt? Vielleicht lässt sich die Jugend locken, wenn sie dort mit Robotern hantieren kann, meinte Salah Sukkarieh und führte gleich weitere Argumente für Roboter in der Landwirtschaft an. „Damit lässt sich für jede einzelne Pflanze erfassen, wie es ihr geht und was sie braucht, um optimale Erträge zu bringen“, sagte der Professor für Robotik und Intelligente Systeme.

Salah Sukkarieh
Salah Sukkarieh

© FWF/Ronny Träger

Dafür haben er und seine Kollegen verschiedene Prototypen entwickelt, die alle einen ähnlichen Aufbau haben: Ein robustes Fahrgestell mit Allradantrieb und eine Plattform mit verschiedenen Kameras und Sensoren. Diese können beispielsweise Feuchtigkeit oder den Reifegrad von Äpfeln oder Mangos erkennen – für jeden einzelnen Baum. Auf Basis dieser Daten könne ortsgenau gedüngt, gewässert und gegebenenfalls gespritzt werden. Bei kleineren Pflanzen wie etwa Salat gibt es weitere Möglichkeiten. Sukkarieh präsentierte einen Roboter, der über ein Gemüsebeet hinwegfährt, dabei per Bilderkennungssoftware Unkraut erkennt und es sofort rupft. Ohne dabei müde oder unaufmerksam zu werden.

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„Durch diese Technik können große Mengen an Pflanzenschutzmitteln gespart werden.“ Denn auch das sei eine der großen Herausforderungen der Landwirtschaft: weniger Spritzmittel, strenge Umweltvorschriften und der Wunsch der Konsumenten nach Obst und Gemüse mit idealer Form und Farbe.

Woran Sukkariehs Team im Großen forscht, gibt es auch für den Hausgebrauch. Die US-Initiative „FarmBot“ arbeitet seit drei Jahren an einem System, das über kleinen Beeten im Garten oder Gewächshäusern montiert werden kann und ebenfalls mit Sensoren Boden und Pflanzen überwacht und umsorgt. Sowohl die Software als auch die Baupläne für die Geräte sind frei verfügbar. Jeder Tech-Gärtner kann sie nutzen.

Die Erfahrung zeige, dass Technologiekosten im Lauf der Zeit immer stark fallen, sagte Sukkarieh. Deshalb sei er überzeugt, dass Farmroboter auch für Entwicklungsländer eine Option seien, um eine dauerhafte Nahrungsmittelversorgung für bald neun Milliarden Menschen zu erreichen. Der Forscher hat nicht nur Pflanzen im Blick. In wenigen Jahren will er „Robo-Rancher“ vorstellen, die Herden zusammenhalten und den Gesundheitszustand der Tiere genau überwachen. Selbst über Roboter in Aquafarmen diskutiert er mit seinen Kollegen bereits.

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