zum Hauptinhalt
In Eisbohrkernen erkennt Joseph Kipfstuhl vom Alfred-Wegener-Institut Klimageschichte.

© Marc Steinmetz / VISUM

Klimawandel: Die nächste Eiszeit wird wohl ausfallen

Ausbruch aus uralten Klimazyklen: Warm und kalt wechseln sich schon immer ab, sagen Klima-Skeptiker. Doch was derzeit passiert, geht weit darüber hinaus.

Die Mehrheit der Wissenschaftler ist sich sicher: Der durch den Menschen verursachte Kohlendioxid-Ausstoß hat einen globalen Wandel des Erdklimas eingeleitet. Doch eine kleine, aber aktive Gruppe von Klimawandel-Skeptikern schürt den Zweifel daran. Eines ihrer Standard-Argumente lautet: Auch schon lange bevor Menschen auf der Erde lebten, habe sich das globale Klima immer wieder geändert. Aber keine der bisherigen Erwärmungen sei verursacht worden von einem Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre. In Wahrheit sei es sogar immer genau umgekehrt gewesen: Zuerst sei es jeweils wärmer geworden. Und erst als Folge davon habe auch der Gehalt von Kohlendioxid in der Luft zugenommen. Das stimmt sogar – aber nur im Hinblick auf die jüngere vorindustrielle Klimavergangenheit. Und auch das ist nur die halbe Wahrheit.

Was das Eis weiß

Die ganze Wahrheit ist gespeichert in den mächtigen Eispanzern, die während der vergangenen drei Millionen Jahre in den Polarregionen Schicht um Schicht herangewachsen sind. Jede dieser Eisschichten hat Informationen gespeichert über das konkrete Klima, in der sie abgelagert wurde. Um diese Klimadaten aus dem Eis herauszulesen, bohren Forscher Eiszylinder aus den grönländischen und antarktischen Eisschichten heraus. Die darin enthaltenen Spuren sind gleichsam Tagebücher des Erdklimas.

Während der zurückliegenden 800 000 Jahre war es tatsächlich – dem Eiszeitalter entsprechend – immer so kalt, dass zumindest die Polarregionen ununterbrochen von Eis und Schnee bedeckt geblieben sind. Aber innerhalb dieses generellen Eiszeitalters gab es doch deutliche Klimaschwankungen. Und zwar in einem regelmäßigen Rhythmus: Auf eine etwa 80 000 Jahre dauernde, sehr kalte Klimaperiode folgt eine 20 000 Jahre lange wärmere Phase, bis der Zyklus von Neuem beginnt. Diese zeitliche Abfolge spiegelt sich auch in vielen geologischen Befunden wider. Denn während der langen Kältephasen, den sogenannten Glazialen, schoben sich die Gletscher aus den Polarregionen jeweils weit nach Süden bis in unsere Breiten vor. Oft nennt man deshalb die Glaziale auch „Eiszeiten“. In den kürzeren Warmphasen dazwischen, den Interglazialen, schmolzen die Gletscher und zogen sich nach Norden und in die Hochgebirge zurück.

Der Sonne so nah

Schon vor rund 100 Jahren hatte der serbische Mathematiker Milutin Milankovic eine Hypothese aufgestellt, mit der er die regelmäßigen Klimaschwankungen zu erklären versuchte: Sowohl die Form der Bahn der Erde um die Sonne herum als auch die Ausrichtung der Erdachse verändern sich langsam im Laufe der Zeit. Die Abfolge der Jahreszeiten bleibt dabei zwar grundsätzlich erhalten. Das Zusammenspiel der verschiedenen veränderlichen Bahnparameter führt jedoch zu kleinen zyklischen Variationen der Sonneneinstrahlung auf unterschiedliche geografische Breiten während der verschiedenen Jahreszeiten. Heutzutage zum Beispiel ist während des Zeitraums, in dem die Erde auf ihrer Ellipsenbahn ihre sonnenfernen Bahnbereiche durchfliegt, die Nordhalbkugel der Sonne zugeneigt. Ausgerechnet in den Sommern der Nordhalbkugel erreicht die Erde also jeweils ihren größten Sonnenabstand von 152 Millionen Kilometern.

Vor 13 000 Jahren dagegen kam die Erde in den Sommern der Nordhalbkugel der Sonne jeweils etwa fünf Millionen Kilometer näher. Die dadurch geringfügig höhere bei der Erde ankommende Sonnenenergie erwärmte die großen Landflächen der Nordhalbkugel in jedem Sommer überdurchschnittlich stark. Und genau deshalb beendete laut Milankovic diese Konstellation „Nord-Sommer in Sonnennähe“ vor rund 13 000 Jahren wieder einmal eine lange Glaziale. Die Hunderte Meter dicken Gletscher, die auch die Norddeutsche Tiefebene Zehntausende von Jahren lang bedeckt hatten, begannen aufzutauen. Zurück blieben Geröll und Gestein, das die Gletscher aus Skandinavien herangeschoben hatten – Material etwa für die vielen Kopfsteinpflaster-Straßen Norddeutschlands. Und wenn die Radfahrer Berlins heute den Prenzlauer Berg hochstrampeln, dann erklimmen sie den Rand eines der Urstromtäler, die vom Schmelzwasser der tauenden Gletscher geformt worden sind und durch das nun die Spree fließt.

Acht Grad Klimaerwärmung

Die globalen Durchschnittstemperaturen stiegen damals innerhalb weniger Jahrhunderte um rund acht Grad. Das Schmelzwasser der weltweit tauenden Gletscher ließ den Meeresspiegel um mindestens 100 Meter ansteigen. Können die kleinen himmelsmechanisch bedingten Milankovic-Schwankungen des Sonnenlichts tatsächlich solche großen Klimaveränderungen verursachen? Die aus den grönländischen und antarktischen Eispanzern herausgebohrten Eisstangen deuten auf einen weiteren Klimafaktor: Kohlendioxid. Denn in kleinen Blasen im Eis ist noch Luft aus jenen Zeiten eingeschlossen, in denen das Eis abgelagert wurde. Und die Analyse dieser historischen Luft ergibt eindeutig: Am Ende jeder „Eiszeit“ stieg auch der Kohlendioxidgehalt der Luft jeweils deutlich an.

Als Ursache vermuten die Klimatologen ein aus dem Alltag bekanntes Phänomen: Wenn man kalten Sprudel trinkt, muss man aufstoßen. Das liegt teilweise daran, dass das im Magen erwärmte Wasser nicht mehr so viel Kohlendioxid speichern kann wie kaltes – das Gas entweicht. Auch die Meere mussten, als sie sich am Ende der Eiszeiten erwärmten, aufstoßen – und entließen so Kohlendioxid in die Atmosphäre. Tatsächlich zeigen die den Eisbohrkernen entnommenen Daten, dass der Anstieg von Kohlendioxid in der Luft der Erwärmung nach einer Eiszeit jeweils um einige hundert Jahre hinterherhinkte. So weit haben die Klima-Skeptiker also recht: Die Zunahme von atmosphärischem Kohlendioxid war zunächst nicht die Ursache, sondern die Folge der steigenden Temperaturen am Ende jeder Eiszeit.

Wenn die Meere aufstoßen

Doch auch das hatte wiederum Auswirkungen. Denn mit dem Anstieg von Kohlendioxid verstärkte sich auch der Treibhauseffekt. Die Meere erwärmten sich also weiter, woraufhin noch mehr Kohlendioxid entwich, das wieder mehr Erwärmung bedeutete. Dieser „Aufstoß-Rückkopplungs-Effekt“ verstärkte die kleinen anfänglichen Erwärmungen, die laut Drehbuch der Milankovic-Zyklen jeweils das Ende einer Eiszeit einleiteten, zu einem deutlichen Klimawandel.

Die jeweilige Erwärmung nach den Glazialen wurde noch durch einen zweiten Rückkopplungs-Effekt beschleunigt. Eis und Schnee reflektieren Sonnenlicht fast vollständig, ohne sich dabei zu erwärmen – der Albedo-Effekt. Je kleiner die spiegelnden Eis- und Schneeflächen nach einer Eiszeit wurden, desto größer wurden die dunklen Land- und Wasserflächen, welche Sonnenenergie gut auffangen können. Auch das trug zur Erwärmung bei, was die spiegelnden Eis- und Schneeflächen weiter reduzierte. Auch der Eis-Albedo-Effekt verstärkte und beschleunigte also die Eisschmelze und damit die Erwärmung bei jedem Wechsel aus einer kalten Glaziale zu einer wärmeren Interglaziale.

Gibt es die Milankovic-Bremse?

Die interglaziale Warmphase innerhalb des aktuellen Eiszeitalters, in der wir auch heute noch leben, begann vor rund 13 000 Jahren. In dem relativ milden und stabilen Klima, das seither herrscht, konnte sich die Menschheit entwickeln zu ihrer heutigen wissenschaftlich-technischen Zivilisation. Nach wie vor beziehen wir aber einen Großteil der Energie für unseren Erfolg aus der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas. Dabei entstehen Jahr für Jahr rund 35 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, die wir in die Atmosphäre entlassen. Die zugehörige Zunahme des Treibhauseffekts hat längst begonnen, das Klima unseres Heimatplaneten zu verändern.

Aber könnten die Milankovic-Zyklen uns vielleicht aus der Klima-Patsche helfen? Könnte eine nächste Eiszeit die drohende Erwärmung abmildern oder sogar ganz verhindern? Die Antwort ist ziemlich sicher Nein. Selbst in den wärmsten Phasen der Interglazial-Zeiten der letzten 800 000 Jahre fanden die Forscher in den Luftbläschen der Eisbohrkerne unter einer Million Luftmoleküle niemals mehr als 280 Kohlendioxid-Moleküle, abgekürzt 280 ppm (parts per million). Der aktuell von der Messstation auf Hawaii gemeldete Wert des Kohlendioxids in der Atmosphäre liegt aber bereits bei über 410 ppm. Offensichtlich hat der aktuelle Klimawandel den Bereich der Milancovic-Zyklen längst verlassen.

Heißzeit statt Eiszeit

Noch gibt es zwar Eis in den Polarregionen. Noch leben wir also in dem Eiszeitalter, das vor rund drei Millionen Jahren begann. Aber das Eis schmilzt dahin. In spätestens 30 Jahren wird das Meer um den Nordpol herum im Sommer eisfrei sein. Die nächste Eiszeit wird wohl ausfallen. Unsere Emissionen von Kohlendioxid haben uns auf eine rasante Reise in ein Heißzeit-Klima geschickt, wie es keiner unserer fernsten Vorfahren je erlebte. Es könnte demjenigen gleichen, das auf der Erde herrschte, ehe das aktuelle Eiszeitalter anbrach. Rund 250 Millionen Jahre lang hatte die Atmosphäre deutlich mehr Kohlendioxid enthalten als heute. Der zugehörige Treibhauseffekt hatte die Erde in einen eisfreien Tropenplaneten verwandelt. Hört sich vielleicht nicht schlimm an. Aber auf einem solchen Tropenplaneten hätte unsere heutige Zivilisation mit ihren bald acht Milliarden Menschen in vielfacher Hinsicht keinen Platz – ganz zu schweigen von der dramatisch kurzen Zeit, in der sich alles Leben der Erde an das neue Klima anpassen müsste.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false