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Forschende registrieren eine Destabilisierung zentral-westlicher Gebiete des Eisschildes Grönlands.

© Donald Slater/dpa

Klimakollaps in der Arktis: Grönlands Eisschild droht zu kippen

Das Abtauen des Grönlandeises droht zu eskalieren. Ein kritischer Übergang rückt näher, der Meeresspiegel könnte mehr als sieben Meter ansteigen.

Forschende aus Deutschland und Norwegen warnen davor, dass das Abschmelzen des Grönlandeises bald nicht mehr zu stoppen sein könnte. Eine neue Studie von Klimaforscher:innen zeigt, dass eine Destabilisierung zentral-westlicher Gebiete des Eisschildes aufgrund der steigenden Temperaturen bereits begonnen hat – und nun möglicherweise ein kritischer Übergang bevorsteht.

Der Prozess des Abschmelzens könne demnach bereits bei einer begrenzten Erderwärmung eskalieren, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift PNAS. Die Forschenden sprechen von „beunruhigenden Frühwarnsignalen“.

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Sollte ein bestimmter Kipppunkt überschritten werden, könnte das gesamte grönländische Eisschild bis zum Jahr 3000 vollständig abschmelzen. Die Folge wäre ein Meeresspiegelanstieg von mehr als sieben Metern und der Kollaps der Atlantischen Meridionalen Umwälzströmung (AMOC), also dem Golfstrom, der für relativ warmes Wetter in Europa und Nordamerika sorgt. Als Kipp-Elemente werden sehr sensible Funktionsbereiche des Erdsystems bezeichnet, deren Prozesse über einen kritischen Schwellenwert hinaus „kippen“ und von da an grundsätzlich anders ablaufen können.

„Wir haben Belege dafür gefunden, dass sich der zentral-westliche Teil des Grönland-Eisschildes destabilisiert hat“, sagte der Erstautor Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Freien Universität Berlin.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es in der Zukunft zu einem deutlich verstärkten Abschmelzen kommen wird – was sehr besorgniserregend ist.“ Zumindest der zentral-westliche Teil des grönländischen Eisschildes nähere sich demnach einer kritischen Temperaturschwelle.

Ein Teufelskreis beschleunigt das Abtauen

Ursache für das beschleunigte Schmelzen sind nach Erkenntnis der Forschenden Rückkopplungseffekte. So verringert sich durch das Abtauen die Höhe des bis zu 3000 Meter hohen Eisschildes. Das Eis sinkt in tiefere und wärmere Luftschichten ab, wo es noch schneller schmilzt. Was wiederum durch weiteren Höhenverlust des Eisschildes zur Beschleunigung der Schmelze führt – ein Teufelskreis also.

Auch der Albedo-Effekt, eine Erwärmungsspirale durch den Verlust des Rückstrahlungsvermögens des tauenden Eisschildes, könnte eine Rolle spielen.

Immerhin rechnen die Wissenschaftler:innen auch mit Rückkopplungseffekten, die das Eisschild auf mittlerer Höhe stabilisieren könnten. „Wir müssen dringend das Zusammenspiel der verschiedenen positiven und negativen Rückkopplungsmechanismen besser verstehen, die die aktuelle Stabilität und die zukünftige Entwicklung des Eisschildes bestimmen“, sagte Niklas Boers. 

Es müssten noch mehr Beobachtungen gesammelt werden, um das Verständnis der entsprechenden Mechanismen zu verbessern. „Damit wir verlässlichere Schätzungen über die zukünftige Entwicklung des Grönland-Eisschildes machen können“, so der Ko-Autor Martin Rypdal.

Kritische Schwelle der Temperatur bereits überschritten

Problematisch ist, dass das Abschmelzen auch bei einer begrenzten Erderwärmung fortzuschreiten droht. Nach bisherigen Modellergebnissen ist das Abtauen des Grönlandeisschildes ab einer kritischen Schwelle der globalen Mitteltemperatur von 0,8 bis 3,2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau unvermeidlich – aktuell ist die globale Mitteltemperatur bereits rund ein Grad erhöht. 

Die Temperaturen müssten laut Boers auch unabhängig vom Zusammenspiel verschiedener Rückkopplungseffekte deutlich unter das vorindustrielle Niveau abgesenkt werden, um die Eisschildhöhe der letzten Jahrhunderte wieder zu erreichen. „Praktisch wird also der gegenwärtige und in naher Zukunft zu erwartende Massenverlust des Eises weitgehend irreversibel sein“, so das Fazit des Klimaforschers.

Im vergangenen August hatten Forschende festgestellt, dass der Eisschild in Grönland 2019 so viel an Masse verloren hat, wie noch nie seit Messbeginn. Sie registrierten durch Auswertung von von Satellitendaten zudem eine Häufung von Verlustjahren. 

Der Massenverlust fiel demnach 2019 mit 532 Milliarden Tonnen noch höher aus als im bisherigen Rekordjahr 2012 mit 464 Milliarden Tonnen. Ein Eisverlust dieser Größenordnung verursacht einen Anstieg des globalen Meeresspiegels um 1,5 Millimeter. Wissenschaftler des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und des Deutschen Geoforschungszentrums in Potsdam (GFZ) hatten den Eisverlust für eine Studie ermittelt.

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