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Planetarische Verantwortungsethik. Hans Jonas nimmt in seinem Werk einen physiozentrischen Standpunkt ein.

© Shutterstock / svehan

Klima und Philosophie: Eine planetarische Verantwortungsethik

In seinem Hauptwerk formulierte der jüdische Philosoph Hans Jonas eine "Ethik permanenten Lebens auf Erden". Nun wird „Das Prinzip Verantwortung“ neu aufgelegt.

Seit Herbst 1994 gibt es den Artikel 20a des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, in dem sich der Staat dazu verpflichtet „in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ zu garantieren.

Dieses sogenannte Staatsziel Umweltschutz, zu dessen grundgesetzlicher Garantie im Jahr 2002 noch der Tierschutz hinzukam, hat der Philosoph Hans Jonas, der in seinem Hauptwerk „Das Prinzip Verantwortung“ eine Ethik permanenten Lebens auf Erden formuliert, nicht mehr erlebt. Im Februar 1993, kurz bevor sein kategorischer Imperativ einer planetarischen Verantwortungsethik in Deutschland verfassungsrechtlichen Rang erlangte, starb er im Alter von 89 Jahren.

Nun legt der Suhrkamp-Verlag das 1979 – wenige Wochen vor der Gründung der Grünen – erschienene Opus des deutsch-jüdisch-amerikanischen Philosophen mit einem Nachwort von Grünenchef Robert Habeck neu auf.

Die Schutzbedürftigkeit des lebendigen Seins

Obgleich er den zeitgenössischen Kampf um Nachhaltigkeit und Umweltschutz sicher unterstützt hätte, war Jonas vor allem an einer theoretischen Fundierung seines ethischen Programms gelegen, das mehr sein sollte als ein hilfloser Appell und ein gedanklicher Steinbruch für die Umweltpolitik.

In „Das Prinzip Verantwortung“ versucht der Philosoph dem lebendigen Sein insgesamt eine irreduzible Würde nachzuweisen. Denn anders als Martin Heidegger meinte, gehe es nicht bloß den Menschen, sondern auch anderen organischen Lebensformen "in ihrem Sein um dieses Sein selbst “. 

Für Jonas liegt der Grund für die Schutzbedürftigkeit des Lebens in seiner Lebendigkeit, in seiner teleologischen Entwicklung, und braucht keine weitere Rechtfertigung. Das Sein ist demnach schon deshalb relevant, weil es im existenzphilosophischen Sinne da ist; weil es „sich sorgt“ und den Sturz ins Nichts bis zuletzt zu verhindern trachtet.

Physiozentrischer Standpunkt

Jonas geht also über den Bezugspunkt des „Staatsziels Umweltschutz“ hinaus, insofern er sich nicht ausschließlich um „künftige Generationen“ sorgt. Zwar hätten wir Heutigen eine Verantwortung für die Menschen von Morgen, für „die Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“. Darüber hinaus aber nimmt Jonas auch einen „physiozentrischen“ Standpunkt ein: Der Natur unterstellt er einen von menschlicher Zuschreibung unabhängigen Eigenwert. Die Verantwortung für das Leben besteht insofern vor dem Leben als solchem und nicht bloß vor Enkeln und Urenkeln.

Von Beginn seines Philosophierens an war Jonas der Gedanke einer kontingenten Welt, einer indifferenten und zwecklosen Natur, unerträglich. Schon sein Frühwerk zur spätantiken Gnosis, in dem er eine existential-ontologische Interpretation des gnostischen Selbst und-Weltverständnisses vornimmt, hatte sein Denken für die Suche nach Sinn und den Kampf gegen jeden Nihilismus präpariert.

Ähnlich wie das Dasein in der Spätantike den diesseitsverachtenden Gnostikern, musste seine Lebenswelt in den späten zwanziger Jahren dem jungen Deutschjuden Jonas – der 1935 in Palästina der Hagana beitrat und im Zweiten Weltkrieg auf britischer Seite gegen die Nazis kämpfte –wie eine ungastliche Fremde erscheinen. Umso stärker fällt später sein Bedürfnis auf, vor der Grundstimmung der „Geworfenheit“ in eine bedrohliche Finsternis nicht zu kapitulieren und gegen die naturvergessene Existenzphilosophie den Glauben an eine antwortende Welt zu bewahren.

Hans Jonas' Nachwirkung

So sah er es als seine Aufgabe an, den von seinen Wurzeln abgerissenen Menschen wieder im Sein zu beheimaten. Und da der Mensch nicht nur in diese Welt hineingehöre, sondern als höchste Stufe des Organischen mehr „hervorgeworfen“ als „geworfen“ sei, trage er für diese Welt auch eine gesteigerte Verantwortung.

Einige von Jonas‘ Gedanken sind nicht viel mehr als metaphysische Spekulationen und philosophisch betrachtet eher fragwürdig.  Auch politisch nahm der Umweltethiker mitunter heikle Positionen ein. So sinnierte er zum Beispiel über die Vorzüge kommunistisch-totalitärer Herrschaft, die eher in der Lage sei, eine ökologische Ethik durchzusetzen, als ein freiheitlich-demokratisches System.

Und doch hat „Das Prinzip Verantwortung“ eine nachhaltige Wirkung entfaltet und lohnt gerade heute die Lektüre. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen bezog sich in seinem Umweltgutachten von 2012 mit dem Titel „Verantwortung in einer begrenzten Welt“  dezidiert auf Hans Jonas und seinen Topos einer neuen terrestrischen Verantwortung, die sich deshalb als notwendig erweise, weil die „örtliche, zeitliche und intergenerationelle Reichweite anthropogener Handlungen“ größer sei als jemals zuvor. Dem ist im Jahr 2020 nichts hinzuzufügen. Jonas‘ Grundgedanke, dass Ethik mehr leisten müsse, als das Verhältnis zum Nächsten zu organisieren, ist angesichts der Klimakatastrophe zeitgemäßer denn je.

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