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Willkommen im Girls Camp: Angela Merkel (re.) 2019 mit Ursula von der Leyen (Mi.) und Annegret Kramp-Karrenbauer.

© Michael Kappeler/dpa

„Kein Zurück zu Kinder, Küche, Kirche“: Warum Angela Merkels Frauenpolitik zögerlich, aber nachhaltig war

US-Professorin Joyce Mushaben attestiert der Kanzlerin Fortschritte in der Gleichberechtigung in Bund und Partei. Ein Interview

Frau Mushaben, Sie sagen, Angela Merkel habe mehr zur Gleichberechtigung in Deutschland beigetragen, als alle Bundeskanzler vor ihr. Wie kann das eine Frau allein schaffen?
Allein hat sie das natürlich nicht geschafft. Angela Merkel ist ein Mensch, die andere mit ins Boot holt und zugibt, wenn sie einen Fehler gemacht hat. In Ursula von der Leyen hatte sie eine sehr starke Verbündete, lange auch in Annette Schavan. Zudem standen schon vor Beginn ihrer Kanzlerinnenschaft Journalistinnen wie Sabine Christiansen und Friede Springer im Hintergrund und haben ihr zugejubelt – das sogenannte Girls Camp.

Was trieb Merkel an, sich als Politikerin der konservativen CDU für mehr Gleichberechtigung einzusetzen?
Das hat viel mit ihrem DDR-Hintergrund und den Sozialisierungserfahrungen zu tun. Für sie war es normal, dass 90 Prozent der Frauen berufstätig sind und für ihre Arbeit bezahlt werden. Anfang der 70er Jahre führte die DDR viele soziale Errungenschaften für Frauen ein. Genau zu der Zeit ging Angela Merkel zur Schule. Für sie war es also eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen sich auch in nicht-traditionell weiblichen Berufen ausbilden lassen können. Und dass Vater Staat die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt.

Wie unterschied sich das von den damaligen Ansichten westdeutscher Frauen?
Die westdeutsche Frauenbewegung war zerstritten. Sie bestand auf einem theoretischen Gesamtkonzept, das sie aber nie fand. Die ostdeutschen Frauen beschäftigten dagegen nach der Wende ganz praktische Fragen: Sie befürchteten, das Recht auf legale Abtreibung oder die Kindertagesstätten zu verlieren. Merkel wurde damals Frauenministerin. Sie hat sich in die Unterschiede zwischen West und Ost eingearbeitet und daraus gelernt.

In welcher Hinsicht war Ursula von der Leyen dabei eine Verbündete?
Obwohl von der Leyen westdeutsch und wohlhabend war, sich ein oder zwei Au-Pairs leisten konnte, waren die beiden ein sehr gutes Team. Sie kannten beide Systeme, Ost und West, und hatten die gleiche Zielvorstellung: Wir brauchen mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Erstens, weil Frauen ein Recht darauf haben. Und zweitens, weil sie wussten, dass Deutschland das bei dem demografischen Defizit dringend braucht.

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Wirkte sich diese Herangehensweise auch auf die Chancen von Frauen in der CDU aus?
Anfangs wollte Merkel nichts von Frauenquoten wissen – bis sie die Situation von Frauen selbst 1994 vier Jahre lang im Kabinett erlebte. Im Gespräch mit anderen Unionsfrauen stellte sie fest, welche Barrieren sie erleben. Von da an war sie für das Quorum. Aber erst 2018, zum hundertjährigen Bestehen des Frauenwahlrechts, sprach sich Merkel für Parität aus.

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Das war eine lange Lernerfahrung. Konnte Merkel langfristige Veränderungen in der Union bewirken – oder geht es nach ihr zurück zu den Männerbünden?
Wenn frau erstmal anfängt, etwas zu verändern, kommt natürlich der Rückschlag. Da merken die Männer auf einmal, dass die Welt nicht so ist, wie sie sie am liebsten hätten. Sobald Merz und die übrigen wussten, dass Merkel geht, standen sie gleich als Nachfolger an. Aber die CDU kann nicht zurückkehren zu „Kinder, Küche, Kirche“. Es gibt seit Merkel einen nächsten Generationenwechsel, sowohl unter den Kandidierenden, als auch in der jüngeren, weiblicheren Wählerschaft. Eine Menge Frauen haben die CDU zum ersten Mal wegen Merkel gewählt. Wenn Parteien in Zukunft Wahlen gewinnen wollen, müssen sie die jüngeren Leute ansprechen.

Wie erklären Sie, dass die Union bei der Parität dennoch so langsam vorankommt? Bei der Bundestagswahl war nur knapp ein Viertel der CDU-Direktkandidat:innen Frauen.
Lokale Parteiorganisationen werden noch oft von Männerklubs kontrolliert. Frauen müssen es in diesen Gruppen aushalten, sich abends treffen, in der Kneipe sitzen, Skat spielen und über Politik reden. Erst wenn sie diese Hürde mindestens bis zur Bezirksebene überwunden haben, greift ein „Fahrstuhl-Effekt“: Die Partei greift von oben ein, um die Frauen möglichst schnell an die Öffentlichkeit zu bringen, gibt ihnen ein bisschen Mentoring und moralische Unterstützung. Das Hauptproblem bei der CDU ist noch, dass so viel Kontrolle in irgendeinem Kaff liegt. Das wird sich aber im Laufe der Zeit ändern, weil Parteien Wahlen gewinnen wollen – und immer mehr Konkurrenz haben.

Joyce Mushaben ist Adjunct Professor am BMW Center for German & European Studies, Georgetown University. Sie lernte Angela Merkel 1990 kennen und forscht seit 2005 über die Kanzlerin.
Joyce Mushaben ist Adjunct Professor am BMW Center for German & European Studies, Georgetown University. Sie lernte Angela Merkel 1990 kennen und forscht seit 2005 über die Kanzlerin.

© privat

Ihr erstes Interview mit Angela Merkel haben Sie im Juli 1990 geführt. Wie kamen Sie auf die Kanzlerin als Forschungsthema?
1989 begann ich mit der Forschung zu einer Monografie über die ostdeutsche Identität. Dafür wollte ich mindestens 50 lange Interviews mit Mitgliedern der frei gewählten Volkskammer machen. Bei der CDU habe ich Lothar de Maizière kontaktiert, der mich auf Angela Merkel hinwies. Sie war damals seine stellvertretende Regierungssprecherin. Im Juli 1990 konnte ich dann ein Gespräch mit Merkel über ihre persönliche ostdeutsche Identität führen, im Finanzamtsgebäude auf der Leipziger Straße.

Was kam dabei heraus?
Ich hatte einen ganzen Fragebogen dabei. Unter anderem stellte ich ihr die Frage, wie sie zu dem Thema legale Abtreibung steht. Sie sagte, sie sei persönlich dagegen, aber sie sehe keinen Sinn darin, die legale Abtreibung abzuschaffen. Ich fragte sie, ob sie sich als Ostdeutsche fühle. Sie erzählte, dass sie sich als Pastorentochter dort nie hundertprozentig heimisch fühlte. Aber dass sie gelernt habe, die Vorteile des Systems auszunutzen.

Haben Sie diese Karriere schon bei Ihrer ersten Begegnung mit Angela Merkel erwartet?
Sie kam ja schon im „Demokratischen Aufbruch“ gut an, weil sie Physikerin war und die ganzen Faxgeräte und Drucker, die die Parteien aus dem Westen kistenweise bekamen, zusammenbauen konnte. Und dann stellten die Kollegen fest, dass diese Frau zudem in vollständigen Sätzen reden kann! Aber damals erzählte Merkel mir, sie habe nie vorgehabt, direkt in die Politik zu gehen, sondern auf eine Stelle im Bundespresseamt gehofft. Sie hatte aber ein bisschen Angst, dass für eine Beamtenstelle ihr Blutdruck zu hoch sei.

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Wie vergleichen Sie Angela Merkel mit aktuellen Staatsfrauen in ähnlichen Positionen? Könnte etwa die US-Vizepräsidentin Kamala Harris ähnliches verändern wie sie?
Merkel ist 16 Jahre im Amt gewesen, da kann man wesentlich mehr verändern. Und sie kam als Neuling in die Politik. Ohne die klassische Ochsentour musste sie ihren eigenen Weg finden. Die Männer wussten nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten: Diese Frau war einfach sachlich, pragmatisch und wurde immer beliebter. Kamala Harris ist dagegen Berufspolitikerin, seit sie Staatsanwältin in Kalifornien wurde, mit ganz anderen Sensibilitäten: Sie muss auf jedes Wort aufpassen, denn in unseren heutigen Nachrichtenzyklen kann jede Kleinigkeit eine große Nachricht werden. Merkel ist solchen Gefahren am Anfang nicht ausgesetzt worden. Und Merkel repräsentiert vor allem in Ostdeutschland einen Generationenwechsel. Kurz: Sie war die richtige Frau zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Fähigkeiten.

Sollten wir alle Feministinnen sein? Angela Merkel und die Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie.
Sollten wir alle Feministinnen sein? Angela Merkel und die Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie.

© Rolf Vennenbernd/dpa-Pool/dpa

Angela Merkel vermied lange Zeit die Bezeichnung „Feministin“. Erst Anfang September dieses Jahres bekannte sie sich im Gespräch mit der Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie dazu: „Wir sollten alle Feministen sein.“ Warum?
Das ist „business as usual“ für Merkel: Erst genau überlegen, dann entscheiden. Sie hat Chancengleichheit und Gleichberechtigung immer als einen festen Bestandteil der Demokratie begriffen. Das Neue an dieser Aussage: So wie sie es hier formuliert hat, versteht sie die Gleichheit nunmehr als eine tagtägliche Herausforderung für alle Politiker*innen, die nach ihr kommen sollen. Wenn sie jetzt bereit ist, sich selber als „Feministin“ zu bezeichnen, hat es mit ihrem Kommentar auf dem Women-20 Gipfel 2017 zu tun. Damals betonte sie, sie wolle sich nicht mit den Federn schmücken, die die wirklich aktiven Feministinnen nach langen, harten Kämpfen um die Gleichberechtigung verdienten. Demut ist und bleibt Merkels Lieblingstugend. Jetzt, nach 16 Jahren, kann sie zurückblicken und feststellen, dass sie auch einen persönlichen Beitrag dazu geleistet hat – und zwar einen sehr großen, nach meiner Einschätzung.

Ein Artikel von Joyce Mushaben zu Angela Merkel und dem weiblichen Führungsstil in der CDU wird in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift „German Politics“ Anfang Oktober erscheinen (Hrsg.: Petra Ahrens, Phillip M. Ayoub, Sabine Lang). Die Beiträge werden hier online verfügbar sein.

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