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Der Nerv für Daumen und Finger muss im Handgelenk durch einen engen Tunnel. Gerät der Nervus medianus unter Druck, droht das Karpaltunnelsyndrom und die Hand bleibt dauerhaft taub und schmerzt.

©  Mauritius/B. Boissonnet

Karpaltunnelsyndrom: Wenn die Finger nicht aufwachen wollen

Sind die Hände morgens taub, sollte man besser früher als später zum Arzt gehen. Es droht ein Karpaltunnelsyndrom.

Wachen Sie nachts auf, weil Ihre Hand schmerzt? Stellen dann fest, dass die Fingerkuppen pelzig sind oder die Hand eingeschlafen ist? Dann gehören Sie möglicherweise zu jenen geschätzten ein Prozent der Bevölkerung, die an einem Karpaltunnelsyndrom leiden, das nicht unterschätzt werden sollte.

Druck auf den Nervus medianus

Der Karpaltunnel wird durch die Handwurzelknochen und ein straffes Bindegewebsband in Höhe des Handgelenks gebildet. In diesem engen Tunnel verläuft neben den rigiden und wenig komprimierbaren Fingersehnen der Nervus medianus. Dieser Nerv besteht aus sensiblen und motorischen Fasern und versorgt bestimmte Handmuskeln, Finger und die Handflächen mit Signalen. Eine besonders ausgeprägte Enge des Karpaltunnels kann bereits angeboren sein. „Aber auch ohne sie kann aufgrund der konstruktionsbedingten Enge des Tunnels jede Volumenzunahme der Umgebung des Nervus medianus dazu führen, dass der Nerv ständig gedrückt wird“, sagt der Handchirurg Elias Volkmer, Oberarzt am Klinikum Großhadern, München. Das führt zu häufigem Einschlafen der Hände, Taubheitsgefühlen, Taststörungen und unangenehmen Empfindungen in den Händen. „Häufig haben die Betroffenen längere Zeit die Hand sehr eintönig belastet oder überlastet“, sagt Volkmer. Die Liste weiterer möglicher Ursachen ist lang: Fehlstellungen nach Knochenbrüchen oder nach Verletzungen im Handgelenksbereich und rheumatologische Erkrankungen mit entzündlichen Prozessen am Knochen. Narbengewebe, das auf den Nerv drückt, sowie schwangerschafts- oder altersbedingte Flüssigkeitseinlagerungen bei Menschen mit Nieren- und Herzerkrankungen können den Nerv ebenfalls stressen. Weiterhin können frühere chronische Sehnenscheidenentzündungen und chronisch-entzündliche Schwellungszustände dem Nervus medianus zusetzen. Abhängig von der Ursache sind beide Hände oder nur eine betroffen.

Vom Kribbeln bis zum Muskelschwund

Je länger der Druckzustand anhält, desto stärker wird der Nerv geschädigt. Im Extremfall kann sogar die Muskulatur des Daumenballens schwinden. „Die Nervenschäden und der dadurch bedingte Muskelschwund sind irreparabel“, warnt Volkmer. Deshalb rät er Betroffenen, frühzeitig zum Neurologen und zum Handchirurgen zu gehen. Der Neurologe testet die Muskelfunktionen an der Hand und überprüft die Reaktion des Nervus medianus auf Reize wie Beklopfen des Kanals von oben (siehe Infokasten).

Um die Diagnose abzusichern, wird zumeist die Leitfähigkeit des Nervs mittels Elektroneurografie gemessen. Dabei überprüft der Neurologe mithilfe kurzer elektrischer Reize den Funktionszustand einzelner Nerven. Ist der Nervus medianus geschädigt, ist die Nervenleitgeschwindigkeit verlangsamt. Der Handchirurg führt zunächst eine gründliche Anamnese durch. „Pelzige Finger sind typisch, ebenso dass die ersten drei Finger betroffen sind sowie der Ringfinger nur zur Hälfte“, so Volkmer. Anfangs treten mehr sensorische Symptome auf, in fortgeschrittenen Fällen aber auch motorische Beschwerden wie eine Kraftminderung im Daumen.

Die Schmerzen rauben den Schlaf

Im Anfangsstadium treten die Beschwerden vornehmlich nachts und nur zeitweise auf, im fortgeschrittenen Stadium dann auch tagsüber. „Die Nachtschmerzen sind ebenfalls typisch. Die Betroffenen schlafen schmerzfrei ein und wachen nachts auf, weil sie Schmerzen bis zum Oberarm haben, unangenehme Empfindungen in der Hand auftreten oder die Hand eingeschlafen ist. Wenn sie sie schütteln, verschwinden die Beschwerden“, erzählt Volkmer. Der Nachtschlaf der Betroffenen sei aber dadurch sehr gestört.

Bei einem schweren Karpaltunnelsyndrom ziehen die Schmerzen typischerweise von der Hand ausgehend Richtung Ellenbogen, die Finger kribbeln nachts ständig. „Ausschütteln im Handgelenk“ bessert auch hier die Beschwerden. Eine zusätzliche Ultraschalluntersuchung des Nervus medianus kann morphologische Veränderungen aufdecken und zeigt auf, wie weit der Karpaltunnel ist. Eine Röntgenuntersuchung macht mögliche Arthrose-ähnliche Veränderungen des Handgelenks sichtbar, die für die Verengung verantwortlich sind.

Manchmal hilft eine Handschiene, manchmal nur die Operation

Solange Schmerzen die Hauptbeschwerden darstellen, kann oftmals eine nachts zu tragende Handschiene zur Ruhigstellung des Handgelenks helfen. Sie verhindert, dass die Hände in Beugestellung sind, sodass sich der Druck auf den Nervus medianus vergrößert. „Abgesehen davon ist eine Lymphdrainage möglich, um die Flüssigkeit aus dem Karpaltunnel zu entfernen, sowie Physiotherapie, um den Kanal zu dehnen.“ Das helfe aber nur in Einzelfällen.

Ganz wichtig sei es, auslösende Situationen zu meiden. „Es besteht auch die Möglichkeit, eine Kortisonspritze zu geben“, sagt Volkmer. Das habe jedoch keinen dauerhaften Erfolg. „Bei mehreren Kortisonspritzen besteht das Risiko, dass das Kortison lokal die Sehnen spröde macht, sodass diese reißen können“, warnt Volkmer. Dann müsste die Sehne rekonstruiert werden, was nicht einfach sei.

In einigen Fällen verschwindet das Karpaltunnelsyndrom mit der konservativen Behandlung. Eine OP sei nötig, wenn der Leidensdruck groß und das Taubheitsgefühl dauerhaft sei, sagt Volkmer. Das Risiko, dass der Nerv allmählich Schaden nimmt, sei groß und nicht rückgängig zu machen. Die Operation hingegen sei relativ risikoarm bei sehr guten Erfolgschancen.

Der richtige Ansprechpartner für solch eine OP ist der Handchirurg. Sie wird meist ambulant unter örtlicher Betäubung durchgeführt, entweder minimalinvasiv oder als offene Operation. In beiden Fällen wird das Bindegewebsband durchtrennt. Bei der offenen Operation wird über dem Karpaltunnel ein etwa drei Zentimeter langer Schnitt gesetzt. Die Finger kann und muss man direkt nach dem Eingriff bewegen. „Die Schmerzen sind bereits in der ersten Nacht weg, was den Schlaf merklich verbessert“, sagt Volkmer. „Bis alles wieder ganz gut ist, vergeht etwa so viel Zeit, wie vorher die Beschwerden andauerten.“ Ein gutes Argument dafür, frühzeitig zum Arzt zu gehen.

Gerlinde Felix

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