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Kampf gegen das Coronavirus: „Der Impfstoff kommt nicht rechtzeitig“

Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, über die Chancen, rasch eine Vakzine gegen das Virus zu entwickeln.

Klaus Cichutek (63), ist deutscher Biochemiker. Seit 2009 ist er Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, des Bundesinstituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel.

Herr Cichutek, die Weltgesundheitsorganisation WHO hat den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Ist damit auch eine Beschleunigung der Impfstoffentwicklung und -zulassung möglich?
Auch unabhängig vom Gesundheitsnotstand hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) den Auftrag, Impfstoffentwicklung regulatorisch zu begleiten. Der Notstand gibt uns die Möglichkeit, noch einfacher international zu kooperieren. Beispielsweise können wir Absprachen über Tests deutscher Impfstoffentwicklungen in den USA oder Australien jetzt rascher mit den jeweiligen Staaten besprechen.

Außerdem ist das Ausrufen des Notstands auch ein Signal an die Firmen und die universitären Impfstoffentwickler, ihre bisherigen Impfstoffkonzepte auf das neue Coronavirus umzustellen. Nicht zuletzt, weil dafür nun die entsprechende Unterstützung von regulatorischer Seite da ist. Das heißt, Anfragen von Firmen bezüglich der Entwicklung von Impfstoffen gegen Coronaviren werden beim PEI mit hoher Priorität behandelt. Mit Firmen die anfragen, gehen wir sofort in die wissenschaftliche Beratung, um so schnell wie möglich zu einem Antrag und später zu einer Entscheidung zu kommen, etwa über eine Genehmigung einer klinischen Prüfung. Das heißt, damit sind schnellere Entscheidungen vorgegeben.

Gehen Sie aktiv auf Firmen und Universitäten zu, die Impfstoffe gegen das neue Virus entwickeln?
Ja. Wir haben schon mit zwei deutschen Impfstoffentwicklern gesprochen und sind auch über eigene Forschungen gut mit den akademischen Impfstoffentwicklern vernetzt. Da sind zum einen so genannte Vektorimpfstoffe gegen MERS-Coronaviren und Zika-Viren, auf Basis des Masern-Impfvirus, die am PEI erforscht werden. Es gibt aber auch sogenannte Peptidimpfstoffe, die von Hepatitisviren abgeschaut sind.

Und das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung DZIF, bei dem das PEI auch beteiligt ist, entwickelt Impfstoffe auf Basis der „MVA-Plattform“, einem veränderten, abgeschwächten Pockenimpfvirus, dem Modified Vaccinia Ankara-Virus. Dieser Impfstoffkandidat war bislang gegen MERS-Coronaviren gerichtet, soll jetzt aber umgebaut werden. Und wir sind in Kontakt mit Forschungsgruppen und Biotech-Unternehmen, die so genannte RNA-Impfstoffe entwickeln wollen.

Und die müssen dann an Tieren getestet werden?
Ja, wichtig ist bei einer Impfstoffentwicklung immer das Vorergebnis am Tier, um sicher zu sein, dass beim Menschen eine Reaktion des Immunsystems erreicht werden kann und keine größeren Sicherheitsprobleme hinsichtlich der Verträglichkeit des Impfstoffs damit verbunden sind. Dafür sind geeignete Tiermodelle nötig, wie wir sie mit DZIF für den MERS-Coronavirus-Impfstoff etabliert haben. Welches dieser Impfstoffkonzepte zur Anwendung kommen wird, das wissen wir jetzt noch nicht, sie haben alle ihre Vor- und Nachteile und wir werden sehen, welche die besten und schnellsten sind.

Gibt es schon eine Entscheidung für klinische Tests der Impfstoffkandidaten gegen das neue Coronavirus?
Nein, das ist noch zu früh. Im Moment wollen sowohl akademische Forscher als auch Impfstoffhersteller im Lande ihre bisherigen Forschungsergebnisse, die sich meist auf MERS-Coronavirus beziehen, auf das neue Coronavirus umstellen. Das ist sehr erfreulich.

Wann sind erste klinische Tests eines Impfstoffs gegen das neue Coronavirus denkbar?
Wir müssen das trotz aller Eile natürlich mit aller gebotenen Sorgfalt begutachten, und wir wollen auf keinen Fall vorschnelle Hoffnungen schüren. Daher können wir derzeit kein Zeitfenster angeben. Wenn es dann erste klinische Prüfungen der Phase 1 gibt, so nehmen daran etwa 20 bis 60 Probanden teil. Es geht zunächst um die Verträglichkeit und das Ausloten der richtigen Dosis sowie die Erzeugung einer Immunantwort. Ob ein Impfstoff wirklich schützt, lässt sich da noch nicht sagen, dafür braucht es Tests an sehr viel mehr Probanden.

Käme so ein Impfstoff rechtzeitig, um die Ausbreitung von 2019-nCoV zu stoppen?
Nein. Wir haben gerade erst das Erbgut des neuen Virus entschlüsselt, so dass der Zeitraum für eine Impfstoffentwicklung einfach zu kurz ist. Aber wenn sich die Infektion weiter ausbreiten würde und es möglich würde, erste klinische Prüfungen im Laufe des Jahres zu starten, dann wäre das schon ein großer Fortschritt. Und vielleicht wäre ein begrenzter Einsatz dieses Impfstoffs im Rahmen klinischer Studien noch möglich

Es kann sein, dass das Virus noch länger umgeht, Forscher schließen das nicht aus.
Ja, das wissen wir nicht. Wenn wie bei Sars die Infektionskette irgendwann unterbrochen wird, dann haben wir Glück gehabt. Die Impfstoffentwicklung werden wir dann aber trotzdem weiter vorantreiben, damit man auf zukünftige Szenarien vorbereitet ist. Da haben wir von der Entwicklung der Ebola-Impfstoffe gelernt, dass man im Rahmen solcher Ausbrüche sehr schnell Wirksamkeitsdaten sammeln kann. Dadurch war eine sehr schnelle Entwicklung und Zulassung des Impfstoffs nach Bewertung der Daten in Ausschüssen bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA möglich.

Wie lassen sich in der chaotischen Situation eines Ausbruchs verlässliche Informationen über den Verlauf einer Epidemie sammeln oder gar Daten über die Wirksamkeit von Impfstoffkandidaten?
Behörden und Entwickler agieren auch in solchen Situationen sehr rational. Und wir haben in den Pandemiekrisen der letzten Dekade sehr viel gelernt und sind vorbereitet. Natürlich entwickeln sich sehr viele Daten in kurzer Zeit sehr dynamisch, darauf muss man reagieren, indem man Task Forces einrichtet. Das ist am BMG auch bereits geschehen. Das RKI ist aktiv dabei, ebenso wie die zuständigen Landesbehörden zu koordinieren.

Das PEI treibt die Impfstoffentwicklung durch regulatorische Betreuung voran. Außerdem haben wir seit einigen Jahren eine „Global Health Protection“-Gruppe eingerichtet, um die regulatorischen Behörden in afrikanischen Ländern zu unterstützen und auch auf solche Situation vorzubereiten.

Noch hat sich die Epidemie aber nicht so stark ausgebreitet und derzeit steht Afrika auch noch nicht im Fokus. Wir haben gut ausgebildete Kräfte auch in Deutschland, die mit solchen Situationen fertig werden können, ohne vom Chaos behindert zu werden.

Der RKI-Chef Wieler hat den schleppenden Informationsfluss aus China kritisiert. Wie sehen Sie das?
Ich schließe mich dem WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus an, dass es nicht darum geht, die Bemühungen von China anzuzweifeln, sondern China den Rücken zu stärken. Dort sind viele Aktionen gelaufen, die geeignet sind, die Ausbreitung zu begrenzen und das muss auch so weitergehen. Wir müssen zusammenstehen, zusammenarbeiten, Informationen und Materialien austauschen. Das PEI selbst hat sehr gute Beziehungen zu chinesischen Behörden.

Wir hatten MERS, Sars und jetzt einen Ausbruch mit einem neuen Coronavirus. Und künftig wird es wohl wieder ein etwas anderes Virus sein – wirkt das PEI auf die Entwicklung universellerer Impfstoffe hin?
Wir haben mit dem Dengue- und Ebola-Impfstoff zum ersten Mal so genannte Hybridvirus- und Vektor-Impfstoffe, die aus Erbgutanteilen verschiedener Viren gemacht werden und abgeschwächt sind. Und bei den RNA-Impfstoffen wissen wir, dass wir die Zeit für die Herstellung großer Mengen von Impfstoffdosen reduzieren können im Vergleich zur langwierigen Herstellung von Influenza-Impfstoff.

All diese neuen Impfstoffe basieren auf der Kenntnis des Erbguts der Viren und den Bestandteilen dieser Viren, die vor einer Infektion oder Erkrankung schützen können. So kann man sehr schnell aus einem MERS-Impfstoff einen Coronavirus-Impfstoff machen.

Heißt schnell, schnell genug für diese Pandemie?
Auf keinen Fall schnell genug für den jetzigen Ausbruch. Die ersten Diagnosen wurden im Dezember bekannt. Dadurch, dass die MERS-Impfstoffplattformen schon in der Entwicklung waren, kann jetzt ein schneller Switch passieren, wegen der Vorergebnisse. Aber das bedeutet nicht, dass wir binnen zwei Monaten einen Impfstoff haben, der in der Breite angewendet werden kann.

Ich möchte da keine Hoffnungen wecken, denn man muss die Ergebnisse zur Herstellung, nichtklinischen und später klinischen Erprobung abwarten, ob so ein Impfstoff die richtige Immunantwort auslösen kann und sicher ist. Das kann man nicht vorhersagen.

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