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Ein Porträtbild von Derviş Hızarcı.

© Doris Spiekermann-Klaas/Tsp

Kampf gegen Antisemitismus: Bundesverdienstkreuz für den Berliner Pädagogen Derviş Hızarcı

Ehrung für den Unermüdlichen: Seit Jahren streitet der Berliner Pädagoge Derviş Hızarcı gegen Judenhass. Jetzt wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Drei Stunden hat Derviş Hızarcı mit einem Parteigänger des rechtsextremen AfD-Flügels beim Kaffee über Deutschland und Deutschsein diskutiert. Gegen das Blut-und-Boden-Gespinst und die rassistischen Irrungen seines Gesprächspartners warb der Experte für Antisemitismus ruhig, aber mit klarer Kante für eine offene Migrationsgesellschaft.

Auch wenn er kaum etwas bewirkt haben mag, und jeden verstehe, der mit Rechten nicht rede, hält er es nicht für einen Fehler. Man dürfe den Weg nicht mit dem Ziel verwechseln, sagt Hızarcı im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Vielleicht habe er ja ein Saatkorn säen können, das den Anderen irgendwann aus seinem falschen Bewusstsein herauswachsen lasse.

„Es ist immer zu früh dafür, Menschen zu verurteilen, ihnen die Chance zu nehmen, sich weiterzuentwickeln.“ Den pädagogischen Ansatz aus seinem Berliner Lehreralltag hat sich Hızarcı zum Prinzip gemacht. Ein zugewandtes Miteinander in der Gesellschaft sei für ihn unerlässlich.

Für eine Erinnerungskultur, die niemanden ausschließt

Bereits in den Nuller-Jahren hat der heute 38-Jährige Sohn anatolischer Eltern den Kampf gegen Antisemitismus aufgenommen und sich für eine Erinnerungskultur eingesetzt, die niemanden ausschließt. Nun wurde dem aus Neukölln stammenden Pädagogen zum Tag des Ehrenamtes am 3. Dezember für sein „Engagement in der Einwanderungsgesellschaft“ das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Dass der Antisemitismus genau wie der ihm seit seiner Kindheit begegnende antimuslimische Rassismus ein gesellschaftliches Kernproblem darstellt, sei ihm im Anschluss an den 11. September 2001 bewusst geworden. Damals hat der gläubige Muslim Hızarcı viel Feindschaft und Misstrauen aus der weißdeutschen Mehrheitsgesellschaft erfahren. „Moscheen, die für mich Orte der Geborgenheit waren, bekamen auf einmal einen zwielichtigen Ruf.“ Heilige Räume, für ihn mit religiösen Feiern und ethischen Werten konnotiert, standen plötzlich unter dem Generalverdacht, Brutstätten des Terrors zu sein.

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Gleichzeitig sei er im Schulkontext mit antisemitischen Verschwörungserzählungen konfrontiert worden. „Manchmal hatte ich das Gefühl, dass einige muslimische Kids das ihnen aufgebürdete Misstrauen auf die Juden als Abstraktum projiziert haben“, sagt Hızarcı. Er selbst habe gemerkt, wie idiotisch es sei, das falsche Bild einer Bevölkerungsgruppe mit falschen Bildern anderer Bevölkerungsgruppen zu kompensieren.

Ein unermüdlicher Netzwerker an allen Fronten

„Ich bin in einem multikulturellen Haus aufgewachsen, meine Nachbarn waren griechisch, polnisch, deutsch, jüdisch und ex-jugoslawisch.“ Auch wenn er aus einer Familie stamme, die man im heutigen Jargon als bildungsfern bezeichnen könne, hätten seine Eltern ihn unbedingte Toleranz gelehrt.

Nach der Schule beginnt er ein Lehramtsstudium in Berlin und Magdeburg, macht sein Referendariat an einer Hauptschule in Lichtenberg und wird Lehrer an einer Gemeinschaftsschule in Kreuzberg. Er beginnt, sich mit dem Judentum und mit deutsch-jüdischer Geschichte zu befassen, mehrere Jahre arbeitet er in der Bildungsabteilung des Jüdischen Museums Berlin.

Derviş Hızarcı und eine Gruppe von Schüler:innen stehen vor einer Museumsvitrine mit einer Thora-Rolle.
Derviş Hızarcı als Mitarbeiter des Jüdischen Museums Berlin, bei einer Führung durch die Ausstellung.

© Promo

Freunde und Bekannte nennen Hızarcı einen unermüdlichen Netzwerker, der ständig an allen Fronten unterwegs ist. 2011 wird er Aufsichtsratsmitglied der Türkischen Gemeinde Berlins, unterhält einen regen Dialog mit deren jüdischem Pendant und baut Kontakte zur israelischen Botschaft auf. „Wir haben zum Beispiel Leute aus der Botschaft zum Fest des Fastenbrechens eingeladen“, sagt Hızarcı.

Mit seinen Schülern organisiert er Reisen in die Türkei und nach Israel, bringt türkische und israelische Diplomaten zu Filmabenden und Diskussionsforen zusammen. Ein Ehrenamt gibt das nächste, Hızarcı stößt zur Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), die unter seiner Leitung von einem Nachbarschaftsverein zu einem maßgeblichen Akteur der Diskriminierungsprävention avanciert.

Das Wichtigste sind die Weggefährten

„Das Schöne an der KIgA ist, dass sie sich gegen die entlastende Projektion von Antisemitismus auf Muslime verwehrt, die mir selbst bei vielen Deutsch-Deutschen begegnet ist, zugleich aber nicht verschleiert, dass Antisemitismus in manchen muslimischen Communitys ein Problem darstellt.“ Er verabschiedet sich aus dem Schuldienst und wird 2019 zum Antidiskriminierungsbeauftragten des Berliner Senats.

Nach einem Jahr aber hört er wieder auf. „Ich hatte kaum Mittel und keine Strukturen, mir waren im Grunde die Hände gebunden“, sagt Hızarcı. Der Kampf gegen Judenhass aber bleibt sein Metier. Bei einem kürzlich gehaltenen Vortrag in Cambridge zu muslimisch-jüdischen Allianzen hat Derviş Hızarcı erklärt, noch wichtiger als Weg und Ziel seien die Weggefährten.

Verschiedene Menschen zusammenzuführen, sei nicht nur ein Mittel zum Abbau von Vorurteilen. Es gehe auch darum, Gemeinschaft zu stiften. „Wenn ich attackiert werde, sind Juden die ersten die mich anrufen und umgekehrt, wir müssen einander beistehen.“

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