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Hauptgebäude der Humboldt-Universität, Unter den Linden in Berlin-Mitte.

© imago images/Joko

Update

Juristisches Gutachten über Post-Doc-Paragraf: Berliner Dauerstellen "hätten vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand"

Die Humboldt-Universität legt ein Gutachten zum Tenure Track für Postdoktoranden vor. HU-Jurist Matthias Ruffert sieht Gesetzgebungskompetenz beim Bund.

Die umstrittene Neuregelung des Berliner Hochschulgesetzes, die Postdoktoranden eine bessere Karriereplanung garantieren soll, ist einem Gutachten eines HU-Juristen zufolge verfassungswidrig. "Für eine solche Regelung fehlt dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz", heißt es in einer Mitteilung der Humboldt-Universität vom Montag.

"Im Fall eines zulässigen Rechtsstreits vor dem Bundesverfassungsgericht hätte die Regelung keinen Bestand und würde für nichtig erklärt“, teilt die HU zu dem Gutachten von Matthias Ruffert, Professor für Öffentliches Recht und Europarecht, mit. Der neue Paragraf besagt, dass einer bestimmten Gruppe von Postdoktoranden eine Dauerstelle reserviert werden muss.

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HU-Präsidentin Sabine Kunst war in der vergangenen Woche aus Protest gegen die Regelung zurückgetreten: In ihren Augen ist der Paragraf von den Universitäten finanziell und strukturell so nicht umzusetzen. Kunst war für ihren Rücktritt teilweise scharf kritisiert worden.

Ziel von Zeitverträgen: "immer neue Nachwuchswissenschaftler"

In der Expertise Rufferts heißt es nun, das Grundgesetz ordne die Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht dem Bund als Gegenstand der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung zu. Den Text von Matthias Rufferts "verfassungsrechtlicher Stellungnahme" finden Sie hier.

Bei dem betreffenden Paragrafen 110 im Berliner Hochschulgesetz handele es sich auch um eine arbeitsrechtliche, und nicht um eine hochschulrechtliche Regelung –, "was sich nicht zuletzt aus der Begründung im Gesetzgebungsverfahren ergibt, in der die ‚gute Arbeit‘ im Mittelpunkt steht". Mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz habe der Bund bereits in der Sache von seiner Gesetzgebungskonkurrenz Gebrauch gemacht. In der Folge entfalle die Landeskompetenz.

[Lesen Sie auf Tagesspiegel Plus unser Interview mit Ex-Staatssekretär Steffen Krach über den Streit um das Hochschulgesetz]

Das Ziel des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sei es, die Erneuerungsfähigkeit des Wissenschaftsbetriebes "in dem Sinn zu erhalten, dass sich auf den vorhandenen Stellen immer neue Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler qualifizieren können", heißt es weiter. Die neue Berliner Regelung vereitele aber genau das.

In Berlin soll Postdoktoranden auf Qualifikationsstellen, die aus Haushaltsmitteln finanziert werden, künftig eine unbefristete Stelle reserviert werden. Sollte die Causa tatsächlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen und Karlsruhe sich der Sichtweise des HU-Juristen anschließen, könnte ein ähnliches Szenario wie beim Berliner Mietendeckel eintreten. Auch der war vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden, weil Karlsruhe keine Zuständigkeit der Berliner Landesgesetzgebung sah.

Ein FU-Verfassungsrechtler denkt ähnlich

Die Berliner CDU kommentierte denn auch gleich, das Rechtsgutachten bestätige "den Verdacht, dass sich der rot-rot-grüne Senat nach dem Mietendeckel-Desaster ein weiteres Mal anmaßt, Dinge zu regeln, die außerhalb seiner Gesetzgebungskompetenz liegen". Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus werde nun über die Bundestagsfraktion eine Normenkontrollklage auf den Weg bringen, kündigte der wissenschaftspolitische Sprecher Adrian Grasse an.

Der FU-Verfassungsrechtler Christian Pestalozza teilte auf Tagesspiegel-Anfrage mit, die Ansicht, Berlin bleibe für die Be- und Entfristungsbestimmungen im neuen Hochschulgesetz kein Raum, sei „gut vertretbar“. Voraussetzung sei, man teile die Auffassung des Bundesgesetzgebers, bei seinen Regelungen handele es sich um Arbeits- und nicht um Hochschulrecht.

Auch Pestalozza schlägt eine Normenkontrollklage vor, um das neue Gesetz zu überprüfen. Die könnte aber nicht nur die Opposition anstrengen. Auch das Land Berlin könnte es einerseits eine Normenkontrolle gegen die Bundesregelungen einleiten - mit der Behauptung, sie verstießen kompetentiell oder jedenfalls inhaltlich gegen das Grundgesetz.

Tobias Schulze: Befristungen nach Zeitvertragsgesetz weiter möglich

Für den Linken-Politiker Tobias Schulze, der maßgeblich mit dafür gesorgt hat, Paragraf 110 ins BerlHG zu bringen, ist eine Frage bereits geklärt: "Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz des Bundes entstammt dem Hochschulrahmengesetz und nicht dem Arbeitsrecht." Ziel sei die wissenschaftliche Qualifikation sowie das Umsetzen von Projekten - "nur dazu gibt es ein Sonderbefristungsrecht der Wissenschaft".

Dieses gelte natürlich auch für Berlin und sei von der geplanten Entfristung von Postdoktorand:innen "nicht berührt". Alle Befristungen im Rahmen des WissZeitVG seien weiterhin möglich, so Schulze. Das novellierte Hochschulgesetz dagegen sehe grundsätzlich vor, "dass wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen nach Erreichen des Qualifikationszieles und Erbringen weiterer vorher vereinbarter Leistungen (Tenure Track) eine Anschlusszusage gegeben werden kann".

Nur im Falle von Habilitation oder adäquaten Leistungen zur Berufungsfähigkeit "muss diese Möglichkeit gegeben werden", betont Schulze: "Es geht also nicht um einen Automatismus zur unbefristeten Stelle, sondern um die Etablierung eines qualitätsgeleiteten Zugangsverfahrens zur Entfristung nach der Qualifikation - im Falle der Promotion als Kann-, im Falle der Berufungsfähigkeit als Muss-Vorschrift."

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