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In einer Schule fordert ein Schild Schüler und Lehrkräfte dazu auf, 1,5 Meter Abstand zu halten. Das Verb halten ist mit einem großen H geschrieben.

© Felix Kästle/dpa

Jugendforscher über Schulöffnungen: "Klimaretter sind diszipliniert - aber nicht mehr lange"

Können sich Schüler an Abstandsregeln halten? Jugendforscher loben die Vernunft von Kindern und Jugendlichen. Aber Sehnsucht nach Nähe lässt nicht verbieten.

„In Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen“ und unter strengen Abstands- und Hygieneauflagen soll bis zu den Sommerferien möglichst jede Schülerin und jeder Schüler in Deutschland zeitweise wieder die Schule besuchen können. Das besagt das „Rahmenkonzept für die Wiederaufnahme von Unterricht und Schulen“ der Kultusministerkonferenz (KMK).

Es bildet die Grundlage für die Empfehlung der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten zum Schulbesuch während der Corona-Krise, die für den heutigen Mittwoch erwartet wird.

Doch sind Kinder und Jugendliche überhaupt willens und in der Lage, insbesondere den gebotenen Sicherheitsabstand von eineinhalb Metern einzuhalten, sobald sie nicht mehr an ihren Einzeltischen im Klassenraum sitzen?

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Alexandra Langmeyer vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München ist optimistisch: „Kinder und Jugendliche haben gut verstanden, dass wir in einer Pandemie leben.“ Alles drehe sich um Corona, ihr ganzes Leben habe sich verändert. An dieses Vorwissen könnten Lehrkräfte gut anknüpfen, wenn Schülerinnen und Schüler jetzt schrittweise in die Schulen zurückkehren, sagt Langmeyer, die am DJI die Fachgruppe „Lebenswelten und Lebenslagen von Kindern“ leitet.

Bei FFF für Mobilitätseinschränkungen, bei Pandemie für Vorgaben

Der Berliner Jugendforscher Klaus Hurrelmann beobachtet, dass „Kinder und Jugendliche bisher in erstaunlicher Weise diszipliniert“ seien. „Sie sind zu Hause geblieben, eine große Mehrheit ist mit der eingegrenzten Situation zurechtgekommen.“

Das erlaube ein gute Prognose für ihr Verhalten in der Schule. Hurrelmann sieht die größeren Kinder und die Jugendlichen sogar als Avantgarde bei der Einsicht in staatliche Vorgaben im Kampf gegen die Pandemie, wenn sie wissenschaftlich abgesichert sind. „Bei Fridays for Future plädieren sie etwa für Mobilitätseinschränkungen, um das Klima zu retten, deshalb sind sie jetzt offen für den Gesundheitsschutz in der Pandemie“, sagt Hurrelmann, Professor für Public Health an der Hertie School of Governance.

Beim Wiedersehen mit Freundinnen und Klassenkameraden werde die Bedrohung durch Covid-19 allerdings „nicht immer so präsent sein“, gibt Alexandra Langmeyer vom DJI zu bedenken. Zumal in den Familien die teilweise widersprüchlichen Nachrichten zur Infektionsgefahr für Kinder und Jugendliche kursieren.

[Lesen Sie auch wie es in Dänemark, dem Vorreiter bei der Öffnung der Grundschulen, mit dem Abstandhalten klappt]

Deshalb müssten Lehrkräfte ihnen immer wieder erklären, dass sie selber – ohne Vorerkrankungen – bei einer Ansteckung wahrscheinlich gar nicht oder nicht schwer erkranken würden, aber das Virus an Ältere weitergeben können.

Die KMK-Vorsitzende Stefanie Hubig (SPD) erklärte bereits, aufgrund von „Hygienevorgaben an den Schulen, den verkleinerten Lerngruppen und der notwendigen Wahrung des Abstands“ werde es vor den Sommerferien für die rund elf Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland keinen regulären Schulbetrieb mehr geben.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach twitterte am Montag sogar, regulärer Unterricht müsse wohl „für mindestens ein Jahr“ ausfallen. Das könne „als epidemiologisch sicher gelten“. An der „Übertragung durch Aerosole und Kontakte im Klassenraum“ könnten Vorsichtsmaßnahmen nichts ändern.

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Geht man davon aus, dass es gleichwohl bei der schrittweisen Öffnung der Schulen zumindest für einen Präsenzunterricht ein bis zwei Mal pro Woche bleibt: Wie sollen Lehrkräfte dann die strengen Regeln durchsetzen? Sie dürften „nicht in ein autoritäres System verfallen“, warnt Langmeyer. Und rät, den Kindern zu vermitteln, warum die politischen Vorgaben umgesetzt werden müssen.

[Wie die Schulen für den Wechsel zwischen Präsenzunterricht und Homeschooling gewappnet sind, lesen Sie in unserem aktuellen Artikel: Die meisten Schulen haben kein Konzept für den Fernunterricht]

Details sollten sie auch gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern aushandeln und gestalten: „Malt ein Plakat, wie das Abstandhalten aussehen soll oder wie wir uns die Hände waschen.“ Regeln, die Kinder und Jugendliche in einem partizipativen Prozess mit aufstellen, halten sie auch eher ein.

Bei Jugendlichen dürfte es – trotz aller Einsicht in den Ausnahmezustand – schwieriger werden, zumindest außerhalb der Schule, sagt Klaus Hurrelmann. „Ab 13,14 Jahren muss man draußen sein, will seine Grenzen testen, soziale und erste sexuelle Kontakte haben.“ Das gehöre zur Persönlichkeitsentwicklung, die für viele Wochen nicht gelebt werden konnte – „und jetzt aus ihnen herausbricht“.

Warnung vor Coronapartys

Aufgabe der Schulen und der Eltern sei es, weiterhin an die Vernunft zu appellieren. „Trotzreaktionen und eine daraus resultierende stärkere Verbreitung des Virus muss die Gesellschaft bei den allgemeinen Lockerungen und damit auch bei den Schulöffnungen aber in Kauf nehmen“, sagt Hurrelmann.

Andererseits laufe vieles auch virtuell ab – nicht nur große Teile des Unterrichts. „Die Digital Natives können teilweise nicht unterscheiden, ob sie jemanden physisch oder im Netz getroffen haben.“ Es sei zu hoffen, dass die kreative Kommunikation unbeabsichtigte „Coronapartys“ zumindest einschränke.

Alexandra Langmeyer steckt mitten in einer Studie zum „Kindsein in Zeiten von Corona“, es geht um die Rolle von Freunden und Familie und um Mediennutzung. Eine Erkenntnis vorab: „Die Schule ist ein wichtiges Sozialisationsfeld, deshalb ist es Kindern und Jugendlichen wichtig, dort wieder Kontakt zu Gleichaltrigen aufzunehmen.“ Gleichzeitig sei das Lernen ein Antrieb, wieder in die Schule zu gehen – vor allem für Kinder, die zu Hause keine idealen Bedingungen für das Homeschooling haben.

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