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Jordanien: Dalish, der erste Beduine

Berliner Forscher finden in Jordanien Zeugnisse einer frühen, teilweise sesshaften Kultur.

Ein Arbeitsmodul in der Wüste umfasst zwölf Tage. Dann müssen die Archäologen zurück in die Zivilisation, um sich und die Ressourcen aufzutanken. Skorpione sind auf der Grabung alltägliche Begleiter. 45 Grad sind die Regel. Wenn Hans-Georg Gebel und seine Mannschaft Pech haben, verlieren sie durch einen Sandsturm vier oder fünf Tage. „Da gehen nicht nur die Kameras kaputt, sondern auch das Differential-GPS leidet“, berichtet der Prähistoriker von der Freien Universität Berlin. Unter solch widrigen Bedingungen hat Gebel jetzt in der südöstlichsten Ecke Jordaniens, an der Grenze zu Saudi Arabien, eine bislang unbekannte Kultur entdeckt.

Das Gesicht dieser Kultur präsentierte der Generaldirektor der jordanischen Altertumsverwaltung, Ziad Al Saad, jüngst in Amman: einen abstrahierten Steinkopf mit großen Augen und einer ausgeprägten Nase. Die 35 Zentimeter große Basaltstatue hat das deutsch-jordanische Archäologenteam aus einem Gräberfeld in der Wüste geborgen und nach ihrem lokalen Führer „Dalish“ getauft. „Er erzählt uns von unserer ganz frühen Kultur und Geschichte“, sagte Al Saad.

Das ist kaum übertrieben, denn Dalish ist 6000 Jahre alt und damit die älteste Steinskulptur, die bislang in Jordanien gefunden wurde. Zwei waagerechte Furchen in der Stirn und zwei senkrechte auf der Brust weckten bei den arabischen Medien sofort die Assoziation an die noch heute übliche Kopfbedeckung und das Hemd der arabischen Männertracht. Dalish wurde so ohne Umschweife zum „ersten Beduinen“.

Tatsächlich kann Gebel eine Lücke in der jordanischen Historie schließen. Gräber, Brunnen und Behausungen erlauben es ihm, ein Stück Kulturgeschichte des 4. Jahrtausends nachzuzeichnen. Dass er dabei mit Lehrmeinungen kollidiert, ist zwangsläufig.

Das Artefakte-Arsenal der jordanischen Geschichte ist überreichlich bestückt. Denn die Region am Jordan war immer Durchgangsland, seit der Mensch vor 60 000 Jahren von Afrika auszog, um die Welt zu erobern. Jordanien hat keine Chance, alle Zeugnisse seiner Vergangenheit zu sichern, es sind einfach zu viele. Und die Entwicklung von Infrastruktur und Tourismus, Wohnen und Arbeiten gefährdet täglich die Belege des kulturellen Erbes. Die Regierung forciert deshalb großräumige Oberflächenuntersuchungen, um wenigstens zu dokumentieren, wer hier wann welche Spuren hinterlassen hat – von den Enkeln der Urafrikanerin Lucy über Römer und Kreuzritter bis zu Britanniens Spion Lawrence von Arabien.

Gebel gräbt seit Jahren in Jordanien, sein aktuelles Projekt basiert auf einem dieser legendären archäologischen Glücksumstände. Eigentlich war er in die Wüste gezogen, um die nördlichen Ausläufer einer Steinzeitkultur im angrenzenden Saudi Arabien aufzuspüren. Die hat er nicht gefunden. Doch schließlich stießen die Archäologen im Trockental Qubal Beni Murra östlich von Al Jafr auf eine Ansammlung von senkrecht stehenden, zwei Meter großen Steinen mitten in der Wüste.

Die Stelen markierten über 200 megalithische Gräber, von denen schnell klar wurde, dass sie in der Zeit zwischen 4000 und 3500 v. Chr. angelegt worden waren. Der Friedhof von Beni Murra erstreckt sich über zwei Quadratkilometer. Gebel erkennt darin „eine ganze Begräbnislandschaft, deren Ausmaß wir noch gar nicht haben abfahren können“. Er schätzt das Totenreich in der Wüste inzwischen auf mindestens 900 Quadratkilometer, von Nordjordanien bis vor die Tore der saudischen Hauptstadt Riad.

Die Gräber sind nahezu ausnahmslos geplündert, auch heute stochern die sporadisch vorbeiziehenden Beduinen in den Steinsetzungen. Sie hoffen auf Gold, aber bislang haben sie immer „nur Knochen, Muschelperlen und Basaltsteine“ gefunden. Gebel will im kommenden Jahr ein Grab systematisch ausgraben – auf der Suche nach Knochen, die eine Isotopenanalyse erlauben. Davon erhofft er sich Auskunft über die Herkunft und Lebensweise der Menschen in der Wüste vor 6000 Jahren.

Neben den Gräbern zeugen zahlreiche Brunnen von zielgerichteten menschlichen Aktivitäten. Einen hat das deutsch-jordanische Team ausgegraben. Es kam bis in eine Tiefe von fünf Metern, dann musste die Grabung aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden. Die Archäologen fanden auch siedlungsartige Camps mit steinumrandeten Pferchen, kleinen Rundhäusern und Herdstellen.

Wohnbauten, riesiger Friedhof, Brunnen, Muschelperlen – wie passt das in eine Landschaft, die heute 25 Millimeter Niederschlag verzeichnet, also lebensfeindliche Wüste ist? Die archäologischen Befunde werden durch die moderne Klimaforschung untermauert: Vor 6000 Jahren war die arabische Wüste – wie die Sahara – für rund ein halbes Jahrtausend Savanne mit zahlreichen Seen und hohem Grundwasserspiegel, ein ideales Gebiet mithin für eine halbsesshafte Hirtenkultur. Eine solche Wirtschaftsweise belegen auch sogenannte Fächerschaber aus Flint, die im Camp gefunden wurden. Mit diesem Hirtenwerkzeug par excellance konnte man schlachten, scheren, schaben und Felle entfetten, es ist das Universalwerkzeug der ausgehenden Kupfersteinzeit.

Und so kann Hans-Georg Gebel seine noch namenlose Gruppierung im Wadi Beni Murra charakterisieren als Teil einer Hirtenkultur mit starkem Ahnenkult, für den die Menschen immer wieder zu den Gräbern ihrer Verstorbenen zurückkehrten. Die Viehzüchter hatten weite „Schweifflächen“, trafen bei ihren Wanderungen mit den sesshaften Gesellschaften etwa im Jordantal zusammen. Denen lieferten sie Fleisch, von ihnen erwarben sie die Muscheln für ihren Schmuck und die Feuersteinklingen für ihre Fächerschaber. Sie hatten ein profundes Wissen über Wasser und Wasserwirtschaft, was ihnen eine zumindest temporäre Sesshaftigkeit in festen Siedlungen erlaubte. In den rund 500 Jahren ihrer Existenz waren ihre Seen und Brunnen die unerlässlichen Stützpunkte für direkte Handelsverbindungen zwischen den beiden aufstrebenden Regionen Ägypten und Mesopotamien, aber auch hinein in die Weiten der arabischen Halbinsel.

Als es ab 3500 v. Chr. allmählich kühler und trockener wurde, versickerte diese Hirtenkultur. Ihr Vermächtnis aber war wegweisend: Ihr Wassermanagement legte die Grundlage für die Oasenwirtschaft. Mit dieser These stellt Gebel die Lehrbuchmeinung infrage, dass sich die Oasenwirtschaft während der Feuchtphasen entwickelte. Vielmehr wurden mit zunehmender Trockenheit aus den Hirten mit ihrer Brunnentechnologie sesshafte Oasenbauern, die dann die Kanalbewässerung entwickelten und die Dattelpalme domestizierten, ist Gebel überzeugt.

Das ist mehr als ein akademischer Disput. Die Oasenwirtschaft ermöglichte überhaupt erst die Besiedlung der arabischen Halbinsel und ist somit, meint Gebel, „absolut gleichbedeutend mit der sogenannten Neolithischen Revolution, also dem Übergang zur bäuerlichen Wirtschaftsweise“. So gesehen, wäre Dalish nicht nur der erste Beduine, sondern auch der Urahn der Oasenbauern.

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