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Okerfarbene Felszeichnung, die zwei Krieger im Kampf zeigt.

© Roland Félix/SIARB

Jahrhundertealte Felszeichnungen in Bolivien: Die Kämpfe der starken Strichmännchen

Frühe Kunst aus der Kolonialzeit: Ein bolivianisch-deutsches Team erforscht einmalige Felszeichnungen im Tiefland der Chiquitania.

Strichmännchen mit langen Armen und kleinen Köpfen gehen mit Äxten und Speeren aufeinander los – auf mindestens 500 Jahre alten Felsbildern in der Chiquitania im Tiefland Boliviens. Matthias Strecker von der Bolivianischen Felsbildgesellschaft (SIARB) hat in der Region bisher etwa 70 Fundstätten von Felsmalereien dokumentiert, die abstrakt gezeichneten Männer aber sind die ersten, die Kampfdarstellungen zeigen.

„Inzwischen haben wir sogar eine Szene mit Pfeil und Bogen gefunden“, erzählt Strecker im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Darstellung müsse aus der Kolonialzeit stammen, da in den Chroniken der spanischen Eroberer oft von umherziehenden, sich bekriegenden Stämmen der indigenen Bevölkerung die Rede sei, die mit vergifteten Pfeilen angriffen. Dazu passe eine Darstellung von Menschen mit europäischen Hüten und Speeren, sagt Strecker.

Die Chiquitania ist ein bewaldetes Gebiet in der Nachbarschaft zum Amazonastiefland und zum Chaco. Die dort lebenden Menschen hatten wohl ausgeprägte Beziehungen zum Amazonasgebiet, wie archäologische Keramikfunde bestätigen. Im 17. Jahrhundert begannen die Jesuiten dort Kirchen und Missionsstationen zu bauen, um die Einheimischen zu christianisieren und ihnen Schutz vor der Ausbeutung und Versklavung durch die spanischen Kolonisatoren zu bieten.

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Bilder an steilen Felswänden, in kleinen Höhlen und an "Arcos"

Von 1609 bis 1767 konnten sie so arbeiten, bis es der spanischen Obrigkeit zu viel wurde und sie die Jesuitenmissionen schlossen, weil sie den „Jesuitenstaat“ mit seinem etablierten Sozialsystem für die Ureinwohner nicht mehr duldeten. Diese Missionstationen der Jesuiten gehören seit 1990 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Aber nicht alle Völker des Tieflandes der Chiquitania ließen sich von den Jesuiten zur Sesshaftigkeit in den Missionsstationen und zum Christentum überreden. Einige zogen weiter umher und bekämpften sich auch untereinander.

Die Felsbilder finden sich an steilen Felswänden, in kleinen Höhlen und an sogenannten Arcos – bogenförmigen Gesteinsformationen. Eine einzige Stätte mit Felsgravierungen hat man bisher auf dem Boden gefunden. Bis heute sind die Felsbilder in diesem Teil Boliviens systematisch nicht erfasst und erforscht worden.

Eine ockerfarbene Felszeichnung zeigt einen Jäger, der mit einer Waffe in der Hand einer Gruppe von Affen nachsetzt.
Jagdszenen vom Amazonas. Hier wurde eine Gruppen von Affen dargestellt, denen ein Jäger nachsetzt (rechts im Bild).

© Roland Félix, SIARB

Das leistet nun Matthias Strecker mit den Mitarbeitern der bolivianischen Felsbildgesellschaft, die als private wissenschaftliche Gesellschaft vom Staat anerkannt wird, allerdings keinerlei staatliche Unterstützung oder Förderung erhält. Das Projekt wird daher von der Gerda-Henkel-Stiftung bis 2022 gefördert.

Zehn Typen von Menschenfiguren identifiziert

Die Datierung der Malereien im Gebiet der Stadt Roboré in der Provinz Santa Cruz, wo die meisten Bilder bisher gefunden wurden, ist schwierig. Organische Malereien mit Holzkohle könnte man leicht datieren, etwa mit Hilfe der AMS-Methode, einer Massenspektrometrie. Doch die meisten Malereien sind in Ocker ausgeführt. Hier ist höchstens das Bindemittel organisch zu datieren, und das ist äußerst kostspielig.

Also bleibt die Annäherung an die Chronologie durch das Studium der Superpositionen und stilistische Vergleiche. Immerhin konnten die Forscher frühe geometrische Darstellungen identifizieren, während die realistischeren Abbildungen von Menschen und Tieren anscheinend jünger sind als die geometrischen Bilder.

Zehn Typen von Menschenfiguren habe man bisher erfasst, sagt Strecker. Diese völlig unterschiedlichen Darstellungsweisen erklären sich die Forscher:innen mit dem Transitcharakter des Gebietes. Unterschiedliche Völker waren hier durchgezogen und hatten sich auf den Felswänden verewigt.

Landschaftsbild aus einer Regenwaldregion in Bolivien.
In diesen Wäldern mit ihren Felsformation in der Chiquitania finden sich die Zeichnungen, deren genaue Datierung noch aussteht.

© Anke Drawert/SIARB

Noch die Spanier hatten sich über die Sprachenvielfalt der indigenen Völker gewundert, sie konnten zum Teil nicht miteinander kommunizieren. Die heutigen Bewohner der Chiquitania hätten zu ihren Vorfahren keinerlei Bezug mehr, erläutert Strecker, da das Gebiet immer von Zu- und Abwanderung und damit einem gewissen Bevölkerungsaustausch geprägt gewesen sei.

Brandrodungen gefährden die Bilder, machen sie aber auch zugänglich

Man weiß inzwischen, dass die Menschen keine festen Siedlungen besaßen, sondern innerhalb eines gewissen Territoriums von Ort zu Ort zogen. Erste Anzeichen von Landwirtschaft und damit von einer zeitweise sesshaften Lebensweise ließen sich aber nachweisen. In dem waldreichen Gebiet wurde ein Stück Wald abgebrannt und landwirtschaftlich genutzt. Dann zog man weiter und kehrte viel später wieder zurück, wenn sich der Boden erholt hatte. Die temporären Dörfer waren wohl mit leichten Materialien gebaut.

Welche Bedeutung dabei die Felsmalereien spielten, ist noch nicht erforscht. Waren es wichtige, heilige Orte? Kehrten die Menschen immer wieder zu ihnen zurück? Diese Fragen versucht das Forschungsprojekt von Matthias Strecker und seinen Kolleg:innen zu klären.

Felszeichnung von zwei Vögeln mit großen Körpern und kurzen Flügeln, ausgeführt in weißer Kreide.
Auch behäbige Vögel finden sich unter den Darstellungen auf den Felswänden.

© Roland Félix/SIARB

Aber die einmaligen Felsbilder von Bolivien sind in Gefahr. Die große Trockenheit von 2019 und illegale Brandrodungen haben zu verheerenden Bränden in diesem endogenen Wald mit seiner einzigartigen Biodiversität geführt, die auch eine Gefahr für die Felsbilder darstellten. Durch die Zerstörung des Waldes waren allerdings manche Felsbilder leichter zugänglich als zuvor.

Zwei Mitarbeiter sind häufig unterwegs, um die Bilder zu fotografieren und zu dokumentieren. Der so entstandene Katalog umfasst mittlerweile über 300 Seiten. „Die Bewohner haben sogar von sich aus Brandschneisen geschlagen, um die Felsbilder vor den Flammen zu schützen“, erzählt Strecker. „Sie haben aus eigenem Antrieb den Wert dieser Malereien erkannt und sind von sich aus mit vielen Freiwilligen aktiv geworden.“

Eine touristische Nutzung könnte zur Rettung beitragen

Genau hier setzt das Projekt auch an, denn das Wissen um die Felsbilder und ihre historische Bedeutung ist bis heute nur in Teilen der indigenen Bevölkerung ausgeprägt. Trotzdem erkennen mittlerweile einzelne Gemeinden das touristische Potenzial der Felsmalereien. Die Gemeinde Roboré etwa möchte die Felsbilder gerne für Reisende zugänglich machen, tut das im Moment aber wenig sachkundig. Im Zuge eines EU-Straßenbauprojektes standen Mittel für Umwelt- und Kulturschutz zur Verfügung. Eine Höhle wurde eingezäunt, wobei der Zugang ständig offensteht, ein Pfad wurde zementiert, was Ausgrabungen verhindert.

Wie schützt man die Malereien, wie verhindert man Vandalismus, wie regelt man geordnet den Besuch der wertvollen Stätten? Das sind weitere Themen des Forschungsprojektes. Strecker bemüht sich um die Ausbildung von örtlichen Führern, damit das Geld aus dem Tourismus in der Gemeinde bleibt. „Wir wollen die älteren lokalen Führer stärken, sie als ,site stewarts’ ausbilden, als freiwillige Kontrolleure, und so die indigenen Dorfgemeinschaften einbeziehen.“ So steige die Wertschätzung und damit der Schutz für die wertvollen Felsmalereien. Nur wenn sich die Bevölkerung des Wertes und der Bedeutung der Felsmalereien bewusst ist, lassen sich diese langfristig erhalten.

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