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Der Festredner Matthias Tschöp erforscht Diabetes

© David Ausserhofer/AvH

Jahrestagung der Humboldt-Stiftung: Freie Menschen, freie Forschung

Zusammen mit Bundespräsident Steinmeier begrüßte die Alexander-von-Humboldt-Stiftung 600 internationale Wissenschaftler in Berlin.

"Mit Sorge" sieht es Frank-Walter Steinmeier, "dass heute in vielen Teilen der Welt die großen Vereinfacher an Zulauf gewinnen" und "der Glaube an Vernunft und Diskurs vielfältigen Anfechtungen ausgesetzt ist." Das sagte der Bundespräsident am Donnerstag im Schloss Bellevue vor etwa 600 Forschern, die die Alexander-von-Humboldt-Stiftung in den vergangenen Jahren gefördert und zur Jahrestagung nach Berlin geladen hatte. Für die großen Probleme unserer Zeit brauche es gemeinsame Lösungen, so Steinmeier.

Mit Freiheit kommt Verantwortung

Kritik, freie Forschung und freier Dialog seien in immer mehr Ländern der Welt bedroht, sagte auch der Präsident der Stiftung, Hans-Christian Pape. Umso wichtiger sei es, sich die Pflichten zu vergegenwärtigen, die mit der Freiheit kämen: "Als Wissenschaftler können wir keine Freiheiten einfordern, wenn wir uns unserer Verantwortung nicht bewusst sind. Als verantwortungsvolle Forscher müssen wir uns immer wieder klarmachen, dass wir nicht für uns selbst forschen – für unsere Reputation, für unsere Karriere oder für unsere nächste Publikation – sondern für das Gemeinwohl."

Von der Allgemeinheit stammt auch das Geld, mit dem die Stiftung die Forscher selbst und nicht Projekte fördert. Das Budget der Stiftung von mehr als 110 Millionen Euro kommt zu 95 Prozent vom Bund. Mit Stipendien und Forschungspreisen hat sie seit ihrer Gründung 1953 mehr als 28 000 Wissenschaftler für Forschungsaufenthalte nach Deutschland geholt. Mit dem hierzulande höchstdotierten Forschungspreis, der Alexander-von-Humboldt-Professur, gewinnt sie seit zehn Jahren Spitzenforscher für die deutsche Wissenschaft.

Der Durchbruch im Kampf gegen Diabetes blieb aus

Der Diabetesforscher Matthias Tschöp hat eine solche Förderung in Höhe von fünf Millionen Euro über fünf Jahre erhalten. Er kam 2011 von der Universität Cincinnati in den USA an das Helmholtz-Zentrum München.

In seiner Festrede forderte er seine Kollegen auf, sich große Aufgaben zu suchen – etwa gegen die großen Volkskrankheiten vorzugehen: "Jeder Siebte in diesem Raum wird seinen eigenen Diabetes bekämpfen müssen. Wir müssen endlich etwas finden, um diese Epidemie aufzuhalten." In der Diabetesforschung habe es seit Langem keinen Durchbruch mehr gegeben, der mit der Entdeckung des Insulins vor etwa 100 Jahren vergleichbar wäre.

Mehr als 400 Millionen Menschen leiden an Diabetes vom Typ 2, der früher "Altersdiabetes" genannt wurde, Tendenz steigend. Obwohl Forscher heute besser verstehen, was während der Zuckererkrankung im Körper passiere, liegen die Ursachen immer noch im Dunkeln. Auch eine Therapie, die die Ursachen bekämpfe, gebe es noch immer nicht.

Neues aus dem Werkzeugkasten von Mutter Natur

Wer Fettleibigkeit heilen könne, würde die Mehrzahl der Diabetes-Fälle beseitigen und die Epidemie wäre abgewendet, sagte Tschöp, der das Helmholtz-Diabetes-Center in München leitet. "Dagegen gibt es zwar ein paar Medikamente, aber sie führen nur zu drei bis fünf Prozent Gewichtsverlust", sagte der Forscher. "Das ist viel zu wenig." Für ihn liegt der Schlüssel in den Hormonen, mit denen Gehirn und Gedärm kommunizieren: "Wir wollen in das Gehirn gelangen, mit den Werkzeugen von Mutter Natur."

Derzeit entwickelt er synthetische Hormone, die wie ein Generalschlüssel in vielen Schlössern gleich mehrere Funktionen ausführen können. Solche "Poly-Agonisten" werden derzeit klinisch erprobt und könnten die Diabetes-Epidemie stoppen helfen. Tschöps Vision ist, "ein Portfolio von Stoffwechsel-Präzisionsmedizin", bei der Patienten je nach Bedarf mit verschiedenen Hormonen behandelt werden.

Wirksame Therapien braucht es eher heute als morgen

Baldige Erfolge seien nötig, sagte Tschöp, denn unsere heutigen Lebens- und Ernährungsbedingungen beeinflussen das Erbgut. Es gebe Hinweise, dass nicht nur die Aktivität von Genen der Patienten heute verändert, sondern dieser Effekt auch an die Nachkommen weitervererbt werde. "Wir müssen schnell handeln."

Dafür sei grenzüberschreitende, interdisziplinäre Forschung, wie sie die Alexander-von-Humboldt-Stiftung fördert, nötig. Humboldt-Präsident Pape ermutigte die Wissenschaftler, für ihre Arbeit einzustehen: "Wir sollten ehrlich, offen und verständlich kommunizieren, was wir erforschen, warum wir dies tun und welche Fortschritte dadurch möglich werden."

Martin Ballaschk

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