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Gefährliche Entwicklung. Radikalisierte Studierende können an der Uni Wissen erwerben, das ihnen bei Terrorakten helfen könnte.

© picture alliance / dpa

Islamismus: Wie Unis sich auf radikalisierte Studierende vorbereiten können

Die Zuwendung zum Islamismus läuft oft im Verborgenen ab, doch es gibt Signale. Ein Experte sagt, wie Hochschulen reagieren können.

„Mutter, bleibe standhaft, ich bin im Dschihad“, säuselt die Stimme. „Trauer nicht um mich und wisse, er hat mich erwählt.“ Das A-cappella-Lied, vorgetragen in vier Strophen, vermittelt den Eindruck, es richte sich an die Mutter des künftigen Kämpfers im vermeintlich heiligen Krieg. Doch es meint den Kämpfer selbst, der sein Gewissen erleichtern soll und die Schuldgefühle gegenüber seiner Mutter. Sie werde seine Entscheidung nämlich nachvollziehen können, auch wenn er im Krieg umkomme, will der Sänger einreden.

Es ist ein traditioneller arabischer Gesang, allerdings auf Deutsch, gedacht für Konvertiten oder auch andere, die auf der Suche nach Informationen über den Islam durchs Internet surfen und die kein Arabisch verstehen, erläutert Nils Böckler vom Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement. Das privatwirtschaftliche Institut berät Unternehmen und Behörden, schult deren Mitarbeiter – jetzt auch die von Universitäten, zum Beispiel beim HIS-Institut für Hochschulentwicklung in Hannover.

Erst "Jugend forscht", dann Chemiekenntnisse für Bombenanschläge

Böckler erzählt von dem Chemiestudenten, der als Schüler einen Preis bei „Jugend forscht“ gewann, an der Universität dann aber vom Studium zunehmend frustriert war. Auf der Suche nach Anerkennung und Bestätigung surfte er durchs Netz und landete bei Dschihadisten, denen er seine Chemiekenntnisse für Bombenanschläge zur Verfügung stellen wollte.

Seine schleichende Radikalisierung lässt sich, wie bei anderen Fällen, im Nachhinein durchaus rekonstruieren. Klar ist, es geht meist um die Suche nach Bestätigung in einer schwierigen Lebensphase. Doch daraus ein einfaches Muster abzuleiten, um künftig auf Attentäter aufmerksam zu werden, ist schwierig: Es gibt einfach zu wenig Fälle, und die sind auch sehr unterschiedlich, wie Andreas Schwegel, Leiter der Beratungsstelle für politisch motivierte Straftaten des Landeskriminalamtes Niedersachsen, erläutert: „Es gibt in dem Sinne keine idealtypischen Radikalisierungsverläufe.“ Dennoch hat Schwegel Ratschläge parat: „Wenn Sie es mit einem Menschen zu tun haben, der vorher kein Problem hatte mit Nicht-Muslimen, anfängt in ihnen Feindbilder zu sehen, und das nicht nur Provokation ist, sondern Teil seines Lebensinhalt, kann das ein Zeichen für Radikalisierung sein.“

Kann sein, muss nicht. Ebenso wie andere Verhaltensweisen: „Aggressiv missionieren“, wie es Schwegel nennt. „Oder wenn sich Gleichgesinnte einer bestimmten Couleur finden, die sich immer stärker abschotten und eine konspirative Mentalität entwickeln, kann das ein Zeichen für Radikalisierung sein.“

Damit komme es aber weniger auf äußere, leicht zu erkennende Merkmale wie Kleidung oder Bart an, sondern vor allem auf das soziale Verhalten. Andreas Schwegel: „Man kann das nicht wie eine Checkliste betrachten nach dem Motto, wenn 15 von 20 Merkmalen erfüllt sind, habe ich einen Extremisten vor mir, sondern man muss sich schon die Mühe machen und die Person in ihrer Gesamtheit sehen.“

Doch wie können Hochschulen solche Entwicklungen über Jahre beobachten? Kaum einer der Mitarbeiter hat so engen Kontakt zu den Studierenden, dass sie eine persönliche Entwicklung mitbekommen würden. Tatsächlich ist es meist so, dass die Hochschulen erst aktiv werden, wenn es konkrete Bedrohungsszenarien gibt oder geben könnte. Das muss aber nicht unbedingt etwas mit Radikalisierungen zu tun haben. Meistens sind es eher Studierende in psychischen Ausnahmesituationen. Für Seminarleiter Nils Böckler ist es daher wichtig, dass eine Art Warnsystem entsteht, bei dem Auffälligkeiten registriert werden.

Die anderen Studierenden sind besonders gefragt

Wenn jemand von anderen als störend empfunden wird, weil er zum Beispiel offene Diskussionen nicht zulassen willen, sich stark diskriminierend äußert oder gar handgreiflich wird. Wie der Fall an einer Hochschule, bei dem Studenten von einem Handgemenge mit einem älteren Kommilitonen arabischer Herkunft berichtet hatten. Später stellte sich heraus, dass der Student verärgert war, weil er meinte, wegen seines Alters müssten ihn jüngere Studenten respektvoller behandeln.

Böckler empfiehlt, dass sich Hochschulen vorbereiten und entsprechende Ansprechpartner bereit halten, die dann auf derart auffällige Personen zugehen und klarmachen, dass in der Institution Hochschule ein solches Verhalten nicht geduldet werde. Auch wenn dies mit einer islamistischen Radikalisierung meist nichts zu tun habe, sei es wichtig, Entwicklungen zu erkennen. Am besten sei es, wenn es Hochschulen gelänge, dazu eine Atmosphäre der Achtsamkeit zu entwickeln, sagt Böckler.

Da sind dann besonders die anderen Studierenden gefragt. Denn sie verbringen die meiste Zeit miteinander, mehr jedenfalls als mit Verwaltungsmitarbeitern und mit den meisten Professoren. Wenn ihnen etwas merkwürdig vorkomme, sollten sie die Hochschule kontaktieren, etwa psychologische Beratungsstellen oder Beauftragte für Sicherheitsmanagement. Oder auch Ansprechpartner für Bedrohungsmanagement, die es allerdings erst an wenigen Hochschulen gibt.

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