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Interview: „Wir waren verblüfft, wie schnell das funktioniert“

Marius Wernig von der Stanford-Universität verwandelt Hautzellen in Nerven - ohne den Umweg über embryonale Stammzellen.

Herr Wernig, Ihre Arbeitsgruppe an der Stanford-Universität hat es geschafft, ohne den Umweg über Stammzellen direkt aus Hautzellen Nervenzellen zu erzeugen. Welche Bedeutung hat dieses Ergebnis?

Zunächst einmal waren wir total verblüfft, wie effizient und schnell unser Verfahren funktioniert hat. Wenn Sie „erwachsene“ Zellen zu Stammzellen umprogrammieren, dann brauchen Sie mindestens vier Wochen, um diese zu erzeugen. Dann müssen Sie sie noch hochzüchten und weiterentwickeln. Wir haben mit unserer neuen Methode schon nach ein paar Tagen Nervenzellen gewonnen. Und nicht höchstens ein Prozent Umwandlung, wie bei der Stammzell-Rückprogrammierung, sondern 20!

Braucht man dann überhaupt noch die umstrittenen embryonalen Stammzellen?

Wir müssen so viele Wege wie möglich erforschen und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um festzustellen, was der wirklich beste therapeutische Ansatz ist. Vielleicht stellt sich heraus, dass für die eine Erkrankung die eine Methode und für ein anderes Leiden ein anderes Verfahren sinnvoll ist. Deshalb wäre es kontraproduktiv, die Forschung an embryonalen Stammzellen schon einzustellen.

Welche Anwendungsmöglichkeiten sehen Sie für Ihre umprogrammierten Zellen?

Zunächst muss man einschränken, dass wir bisher nur Mauszellen umprogrammiert haben. Aber wir rechnen fest damit, dass das auch mit menschlichen Zellen klappt. Zum einen sind solche Nervenzellen sehr gut geeignet, um Krankheiten in der Kulturschale zu studieren.

Welche?

Ich denke vor allem an neurodegenerative Leiden, etwa Parkinson (Schüttellähmung) oder Alzheimer, aber auch an Erkrankungen, bei denen wir nicht genau wissen, welche Region im Gehirn betroffen ist. Also Depression, Schizophrenie und Autismus. Diese Erkrankungen lassen sich nur sehr schwer an Mäusen studieren. Deshalb ist es ein aufregender Fortschritt, nun direkt Nervenzellen von betroffenen Patienten untersuchen zu können. Nervenzellen, die zuvor Hautzellen waren.

Erhoffen Sie sich auch Fortschritte für die Behandlung?

Man kann versuchen, in der Zellkultur neue Medikamente zu testen, die gezielt auf Krankheitsprozesse einwirken.

Die Öffentlichkeit hat eher die Vorstellung, dass eines Tages spezielle Zellen für die Therapie eingesetzt werden können. So könnte etwa ein Patient mit Parkinson neue Nervenzellen gespritzt bekommen.

Das ist die zweite große Möglichkeit. Aber es ist sehr schwer vorherzusagen, in welcher Form solche Therapien möglich sein werden. Nehmen Sie das Beispiel Alzheimer. Diese Krankheit betrifft das ganze Gehirn. Sie könne jetzt nicht das halbe Gehirn durch neue Stammzellen ersetzen, das erscheint mir futuristisch. Bei Parkinson habe ich mehr Hoffnung, weil hier eine ganz bestimmte Gruppe von Nervenzellen ausgefallen ist, nämliche jene, die den Botenstoff Dopamin produzieren.

Vor kurzem haben wir ein Interview mit Ihrem Kollegen Rudolf Jaenisch geführt. Der hat bezweifelt, dass der Zellersatz bei Parkinson sehr erfolgversprechend ist.

Da müssen immer noch große Fragen geklärt werden. So könnte es sinnvoll sein, die Zellen nicht dorthin zu spritzen, wo sie ausgefallen sind, sondern in ein Areal, in das sie hineinwirken. Außerdem werden wir nur die Bewegungsstarre behandeln können, aber kaum die Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit.

Wann rechnen Sie mit der konkreten Anwendung am Menschen?

Das kann recht schnell gehen. Ich habe nach meiner Veröffentlichung schon einige E-Mails von Biotechfirmen bekommen. Dabei spreche ich natürlich von der Möglichkeit, Krankheiten zu studieren, besser zu verstehen und auf dieser Basis neue Arzneimittel zu entwickeln. Der Zeitpunkt für eine echte Zelltherapie steht dagegen noch in den Sternen.

Sie kommen aus Europa. Was hat Sie in die USA verschlagen?

Ich habe in Wien Medizin studiert, dann an der TU München promoviert und danach bei Oliver Brüstle in Bonn mit embryonalen Stammzellen gearbeitet. Ich wurde vor die Frage gestellt, im Krankenhaus zu arbeiten oder in die Grundlagenforschung zu gehen – dafür habe ich mich dann entschieden. Ich wechselte 2003 in das Labor von Rudolf Jaenisch, den Sie ja schon erwähnt haben, an das Whitehead-Institut in Cambridge. 2008 ging ich nach Stanford.

Was ist der Unterschied zu Europa?

In Europa gibt es viel mehr Sicherheit. Sie bekommen als Wissenschaftler häufig ein ganzes Paket geschnürt, man bezahlt Ihnen zusätzliche Stellen, so dass Sie nicht auf Fördermittel angewiesen sind. Das ist in den USA anders. Dort benötigen Sie Drittmittel, die Sie bei Förderagenturen einwerben müssen. Durch diesen permanenten Druck ist man gezwungen, produktiv zu sein. Der Amerikaner ist Pragmatiker. Man hat keinerlei Scheu davor, hochriskante Forschungsvorhaben zu beginnen, bei denen die Gefahr besteht, zu scheitern. Aber die Belohnung ist im Fall des Erfolgs auch größer. Diese Weltanschauung hat mir gefallen und ist vielleicht der Hauptgrund, warum wir in den USA geblieben sind. Mein Projekt ist ein Beispiel dafür.

Man könnte annehmen, dass die größere Sicherheit europäischen Forschern Mut zum Risiko verleiht.

Natürlich sind etliche bahnbrechende Entdeckungen aus Europa hervorgegangen. Trotzdem: Die europäische Arbeitsweise ist es, mehr sorgfältig ins Detail zu gehen, während man in Amerika eher auf das „big picture“ blickt.

Könnten Sie sich vorstellen, wieder in Europa zu arbeiten?

Auf jeden Fall! Es gibt zum Beispiel hervorragende Wissenschaftsstandorte in München, Heidelberg und Berlin, aber auch in Österreich, Großbritannien und in Spanien, wo sich Barcelona und Madrid hervortun. Auch die finanzielle Ausstattung ist sehr gut, Europa muss sich also keinesfalls verstecken.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

MARIUS WERNIG (35) ist Mediziner und Stammzellforscher an der Stanford-Universität in Kalifornien. Dem gebürtigen Österreicher gelang es, Hautzellen direkt in Nervenzellen zu verwandeln.

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