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„Institut für Internet und Gesellschaft“

© picture alliance / dpa

Internetforschung: Berliner Institut forscht mit dem Geld von Google

Das „Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft“ (HIIG) in Berlin forscht zu digitalen Themen - ausgerechnet mit dem Geld von Google. Doch das Misstrauen gegenüber dem Internetriesen sitzt tief. Das HIIG kämpft um das Vertrauen. Einfach ist das nicht.

Der Name klingt nach uralter Tradition, auch das Logo strahlt gediegene Seriosität aus. Dabei ist das „Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft“ (HIIG) in Berlin noch ziemlich jung: Erst seit zwei Jahren existiert die Forschungseinrichtung. Es will die erste zentrale wissenschaftliche Anlaufstelle für Internetthemen in Deutschland sein. Seine Gründung erregte Aufsehen – und auch reichlich Misstrauen.

Das liegt nicht so sehr an der Humboldt-Universität, der Universität der Künste und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, die das Institut betreiben. Stein des Anstoßes ist vielmehr der Geldgeber. Der Name verbirgt auch, dass Google die Einrichtung finanziell trägt. 4,5 Millionen Euro spendierte der umstrittene Konzern. Dieser wolle sich wissenschaftlich verbrämt Einfluss in Deutschland kaufen, lautete der Vorwurf, der sofort im Raum stand.

Wie um das Gegenteil zu beweisen, wurde ein internationaler Beirat eingerichtet. Zudem erhielt Google im Kuratorium, dem Aufsichtsgremium des Instituts, nur einen von acht Sitzen. So wollte man von Beginn an die wissenschaftliche Unabhängigkeit sichern. Derzeit wird in viele Richtungen geforscht, eines der zentralen Themen lautet Partizipation. Auch bei der Tagung, die das HIIG jüngst zu seinem Geburtstag ausrichtete, standen Fragen rund um Internetbeteiligungen im Mittelpunkt.

Statt um spektakuläre Thesen ging es in den präsentierten Forschungsprojekten eher darum, das diffuse Bauchgefühl der digitalen Gesellschaft um solide gewonnene Fakten zu ergänzen. Kleine Erkenntnissplitter, mühsam gewonnen aus gigantischen Datenmengen. So hat Jan Schmidt vom Hans-Bredow-Institut aus Hamburg Hinweise gefunden, dass schützende Anonymität nicht automatisch mehr politische Teilnahme bedeutet – zumindest in Deutschland. Der Soziologe untersuchte Online-Petitionen, die an den Deutschen Bundestag gerichtet werden. Die Identitätsverschlüsselung, die dort seit einiger Zeit möglich ist, wird zwar gerne genutzt, hat die absolute Zahl der Mitwirkenden aber nicht erhöht. Auch eine zunehmende Bekanntheit der Webseite sorgt nicht dafür, dass mehr Bürger die Petitionen unterschreiben.

Die Direktoren werden immer wieder angefeindet

Was heißt das, was folgt daraus? Das sei für das HIIG zunächst nicht relevant, erklärt Wolfgang Schulz, Jurist, Medienrechtler und einer der HIIG-Gründungsdirektoren. Man habe sich bewusst dagegen entschieden, politische Handlungsempfehlungen abzugeben: „Wir verstehen uns ausdrücklich nicht als Think Tank und wahren gegenüber der Politik einen gewissen Abstand.“

Klingt gut, glaubt aber kaum jemand. Der Generalverdacht, am HIIG werde politischer Lobbyismus betrieben und vor allem solche Forschung vorangetrieben, die die Geschäftsmodelle amerikanischer Internetkonzerne rechtfertigen helfen, lastet weiter schwer auf dem Institut. Die vier Direktoren, die alle auch als Professoren an anderen Universitäten lehren, sehen sich immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Zuletzt giftete der Literaturwissenschaftler Roland Reuß in der FAZ: „Die Kooperation einer Institution wie der Humboldt-Universität mit dieser Firma wird, wenn unsere Gehirne in zwanzig Jahren nicht vollständig gewaschen sind, als herausragendes Beispiel peinlicher Anbiederung in die Annalen eingehen.“

Kein Wunder, so Reuß weiter, dass es bei der Onlinerecherche im Bibliothekskatalog der HU Google-Cookies regne. Cookies sind kleine Textdateien, mit deren Hilfe sich die Onlineaktionen eines einzelnen Nutzers sehr genau verfolgen lassen. Michael Voß, Leiter der EDV-Abteilung der Unibibliothek, weist den Vorwurf, die HU-Bibliothek gebe solche Daten an amerikanische Unternehmen weiter, zurück. Nach welchen Büchern einzelne Nutzer suchen und welche sie ausleihen, das werde nur auf Servern der HU-Bibliothek gespeichert – und auch nur für wenige Wochen. Eine direkte oder indirekte Kooperation mit Google gäbe es nicht. „Wir sind uns sehr bewusst, wie sensibel diese Daten sind.“

Das Misstrauen gegenüber Google abbauen

Das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber Google sitzt tief. Das gibt auch Wolfgang Schulz zu. „Wir sind da mitten in einen Kulturkampf hineingeraten zwischen den traditionellen Medien und der Internetindustrie, die wiederum vor allem von Google repräsentiert wird.“ Das HIIG möchte nicht Teil dieser ideologischen Grabenkämpfe sein, sondern mit Grundlagenforschung zur Versachlichung der Debatten beitragen. „Aber uns ist auch klar, dass man Vertrauen nicht kommunizieren kann. Das muss man sich erarbeiten.“ Und das braucht Zeit.

Diese Zeit hat das Institut gerade gewonnen. Der amerikanische Konzern hat seine Unterstützung verlängert, von 2014 bis 2016 sollen weitere 4,5 Millionen fließen, darüber hinaus wurde bereits eine Anschlussfinanzierung bis 2019 vereinbart. Doch auch andere Geldgeber sind mittlerweile beim HIIG eingestiegen. Mit 450 000 Euro unterstützt das Bundesforschungsministerium ein Projekt zur Sicherheit von Netzen und Daten, bei dem das HIIG unter anderem mit der Hochschule der Polizei in Münster kooperiert. Auch kleinere Sponsoren werden mit offenen Armen empfangen wie die Beratungsfirma KPMG, die eine Doktorandenstelle zahlt. „Insgesamt ist es ein wichtiges Ziel für die nächsten Jahre, mehr Drittmittel einzuwerben und die Finanzierung des Instituts auf eine breitere Basis zu stellen“, sagt Schulz.

Ein anderer Schwerpunkt ist die internationale Vernetzung. In vielen Ländern gibt es vergleichbare Institute, darunter das Berkman Center an der Harvard Universität, das MIT Media Lab und das Oxford Internet Institut. „Es herrscht sehr großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit uns“, sagt Schulz. Entstanden sind bereits Forschungskooperationen und ein reger Austausch von Doktoranden. Dass das vermeintlich rückständige Deutschland von amerikanischen Internetforschern skeptisch beäugt werde, hat Schulz dabei noch nicht erlebt. Im Gegenteil: „Gerade weil es hierzulande ein strenges Daten- und Jugendschutzrecht gibt, gelten wir international als interessanter Testfall.“ Bei der Frage, wie man das regeln könnte, wird gerne nach Deutschland geschaut.

Noch gibt es keine Projekte, die sich kritisch mit Google auseinandersetzen

In den letzten zwei Jahren ist das Institut gewachsen: Knapp vierzig Mitarbeiter sind es derzeit, davon 12 Doktoranden. Die Arbeiten kreisen um Urheberrecht, Entrepreneurship, digitale Verwaltung, vernetzte Städte, Datenjournalismus, Öffentlichkeitsbegriff, Medienregulierung, Konstitutionalismus. Auffällig viele juristische und wirtschaftsnahe Themen finden sich im Portfolio des Instituts, dagegen kaum geisteswissenschaftliche oder kommunikationsphilosophische Ansätze.

Und bislang auch nichts, was auf eine dezidiert kritische Auseinandersetzung mit der Rolle großer Internetunternehmen wie eben dem Geldgeber Google hindeutet. Geplant sei das aber, sagt Schulz. „Wir wollen uns demnächst damit beschäftigen, welche Funktion Akteure wie Google, Apple, Twitter oder Facebook im Hinblick auf die Gestaltung öffentlicher Räume haben.“ Die Konzerne würden oft in einem Atemzug genannt, dabei handle es sich um strukturell sehr unterschiedliche Plattformen. „Da muss man differenzieren.“ Das Forschungsprojekt soll in etlichen Ländern parallel laufen.

Die Zeitung „Washington Post“ hat wenige Tage, nachdem sie von Amazon-Gründer Jeff Bezos gekauft wurde, einen sehr kritischen Artikel über Amazons Lobbyaktivitäten in Washington veröffentlicht. Es war ein klares Signal – sowohl an die Leser, als auch an den neuen Besitzer: Glaubt nicht, dass wir jetzt um bestimmte Personen oder Unternehmen einen Bogen machen. Das HIIG hätte zwei Jahre Zeit gehabt für ein solches Signal. Vielleicht kommt es nun demnächst.

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