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Studierende der Universität Teheran auf dem Weg zu Lehrveranstaltungen.

© imago/photothek

Update

Internationale Mobilität und Corona: "Wissenschaftsaustausch genauso restriktiv begrenzt wie Tourismus"

Stipendiaten bleiben zu Hause, die Zahl ausländischer Erstsemester sinkt um 20 Prozent. Die Grünen warnen vor Schäden, doch die Fulbright-Kommission ist optimistisch.

Die Pandemie bremst die Mobilität auch von internationalen Studierenden und Forschenden aus. So konnten im vergangenen Jahr 913 DAAD-Stipendiat:innen aus dem Ausland ihr geplantes Studium in Deutschland nicht antreten, 32 konnten es nicht fortführen und 960 traten es online an.

Das geht aus Zahlen des Auswärtigen Amtes hervor, die jetzt für die Beantwortung einer kleinen Anfrage der Grünen im Bundestag ermittelt wurden. Gleichzeitig konnten 2548 studentische DAAD-Stipendiaten ihren Gastaufenthalt wie geplant antreten.

Stark verringert hat sich aber auch die vom DAAD geförderte Auslandsmobilität für deutsche Studierende: 706 konnten nicht antreten (ebenso viele aber online studieren), 270 brachen ihren Auslandsaufenthalt ab - und für 1464 lief es nach DAAD-Erkenntnissen wie geplant.

Für die Fulbright-Stipendien, mit denen Studierende aus den USA nach Deutschland kommen (und andersherum), sieht die Bilanz noch schlechter aus: 66 konnten ihre Reise nicht antreten, 82 nicht fortführen und nur fünf wie geplant antreten. Bei vergleichbaren Stipendien, die internationale Forschende nach Deutschland bringen, wurden 549 nicht angetreten und 83 nicht fortgeführt. Ihren Forschungsaufenthalt in Deutschland wie geplant durchführen konnten aber 4395 Personen.

Grüne sehen Wirtschaft und Wissenschaft geschwächt

Das Statistische Bundesamt (Destatis) meldete am Mittwoch, dass die Zahl der ausländischen Studierenden im ersten Hochschulsemester 2020 gegenüber dem Vorjahr um 21 Prozent auf 99.400 zurückging. 

Es gibt also durchaus Einbrüche bei der internationalen Mobilität, aber wie gravierend sind sie angesichts des weltweiten Ausmaßes der Pandemie? Für Kai Gehring, den forschungspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion, steht fest: Deutschland werde wissenschaftlich und wirtschaftlich geschwächt, weil "die Bundesregierung den Austausch der Nachwuchstalente und Spitzen-Forscher*innen derart hat einbrechen lassen".

Auch in Pandemiezeiten dürfe der Bund den Bildungs- und Wissenschaftsaustausch "nicht dermaßen zum Erliegen bringen und ihn genauso restriktiv begrenzen wie Tourismus". Er müsse vielmehr – neben digitalen Formaten – auch reale Forschungsaufenthalte und Wissenstransfer ermöglichen, fordert Gehring.

Tatsächlich geht aus der Antwort des Auswärtigen Amtes hervor, dass zahlreiche Auslandsvertretungen coronabedingt im Notbetrieb arbeiten, was zu einer teils erheblichen Reduzierung der Kapazitäten zur Annahme und Bearbeitung von Visumanträgen an den Auslandsvertretungen geführt hat. Dadurch komme es teilweise zu höheren Wartezeiten - zusätzlich zu lokalen Restriktionen bis hin zu Lockdowns, die die Mobilität ohnehin einschränken.

Starker Rückgang bei Visaanträgen

Sehr deutlich ist den Zahlen des Auswärtigen Amtes zufolge der Rückgang von im Ausland beantragten Visa für einen Studienaufenthalt in Deutschland: 2019 waren es weltweit noch 72.243 Anträge, 2020 nur noch 43.722. Ob dies auf staatliche Reisebeschränkungen oder auf den Reiseverzicht potenzieller Gaststudierender zurückzuführen ist, wurde nicht untersucht. Die Quote der bewilligten Anträge sank nur geringfügig von 88,6 auf 87,1 Prozent.

Internationale Studierende und Lehrende sitzen im Hörsaal einer deutschen Universität.
Der Weg aus dem Ausland zu einem Studium in Deutschland ist in Corona-Zeiten eingeschränkt.

© Jan-Peter Kasper/FSU/dpa picture-alliance

Für den Iran legen die Zahlen des Außenministeriums und eine Auswertung der Grünen jedoch nahe, dass es wegen des eingeschränkten Betriebs in der Teheraner Botschaft schon bei der Annahme der Anträge hakt und früher ergriffene Maßnahmen zur Beschleunigung der Verfahren in der Pandemie zurückgenommen wurden.

Das Auswärtige Amt sagt jedoch zu, in der zweiten Jahreshälfte 2021 zusätzlich einen "externen Dienstleister" mit der Annahme von Studierenden-Anträgen zu beauftragen. "Ferner wird geprüft, ob sich diese Anträge für eine Verlagerung und Bearbeitung im Inland eignen", erklärt Staatssekretärin Antje Leendertse gegenüber der Grünen-Fraktion.

Sollte sich die Corona-Lage indes nicht weltweit entspannen, könnten die Mobilitätszahlen für 2021 eher noch schlechter ausfallen. So fassen die Grünen mit Stand von Anfang März zusammen: "Die Vertretungen in Dublin, Edinburgh, Gaborone, Harare, Kapstadt, Lilongwe, London, Lusaka, Maputo, Porto Alegre, Pretoria, Recife, Rio de Janeiro, Sao Paolo erteilen derzeit keine Visa für internationale Forschende und Studierende aufgrund der Einreisebeschränkungen auf Grundlage der Coronaschutzverordnung."

Auswärtiges Amt: Ausnahmen für Studierende und Forschende

Was aber ist dran am Vorwurf des forschungspolitischen Sprechers, der Bund würde den Bildungs- und Wissenschaftsaustausch "genauso restriktiv begrenzen wie Tourismus"? Das sieht das Auswärtige Amt allerdings ganz anders. Man habe Studierende und Forschende bei den seit dem 2. Juli 2020 geltenden Ausnahmen von den EU-weiten Einreisebeschränkungen berücksichtigt

Der im Sommer vergangenen Jahres von Studierendenvertretungen und Hochschulen stark kritisierte Nachweis eines Präsenzstudiums "ist seit dem 8. September 2020 nicht mehr erforderlich", erklärt Leendertse. Denn auch in Zeiten coronabedingter Online-Lehre sei "die persönliche Erfahrung vor Ort ein wesentlicher Bestandteil eines Auslandsstudiums" - und trage wesentlich zum Studienerfolg und zur langfristigen Bindung an das Gastland bei.

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Doch die Grünen werfen der Bundesregierung vor, gleichwohl Visa zu verwehren, "wenn ein Studium oder Forschungsprojekt Online absolviert werden kann". Die Formel der Auslandsvertretungen laute: "Nur online - kein Visum". Das liest sich in der Antwort aus dem Auswärtigen Amt wiederum anders.

Passanten vor der deutschen Botschaft in Teheran.
Die deutsche Botschaft in Teheran arbeitet wegen der Pandemie nur noch eingeschränkt, was zu erneuten Wartezeiten bei der Visaannahme und -bearbeitung führt.

© epa Taherkenareh/picture-alliance/ dpa

"Trotz der COVID-19-Pandemie geht die Bundesregierung in Abstimmung mit der Hochschulrektorenkonferenz grundsätzlich davon aus, dass Studiengänge, die üblicherweise in Präsenz erfolgen, auch weiterhin Präsenzanteile beinhalten und ein Aufenthalt in Deutschland somit erforderlich ist", heißt es. Nur wenn sich bei Nachforschungen "eindeutig ergibt, dass ein Studium oder Forschungsvorhaben ausschließlich als Fernstudium bzw. Onlineprojekt angelegt ist", werde "weiterhin kein Visum erteilt".

In der Heimat wird vielfach die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt

In der Heimat zu bleiben und sich online mit der Gastuni zu verbinden, sei für viele Studierende und Forschende jedenfalls keine Alternative, warnen die Grünen. Das globale Netzwerk „Scholars at Risk“ berichtet für 2020 von 341 Fällen in 58 Staaten und Territorien, in denen nicht-mobile Studierende und Forschende bedroht und in ihrer Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wurden.

In der Antwort des Auswärtigen Amtes heißt es dazu auch: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es vereinzelt zu Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit oder einer Diskriminierung/Verfolgung von internationalen Studierenden und Forschenden kommt, die Studium und Forschung an einer Einrichtung in Deutschland virtuell vom Herkunftsland aus durchführen.“

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Zudem sei laut einer DAAD-Umfrage ein nicht unerheblicher Anteil Studierender von den angebotenen Lehrveranstaltungen etwa aufgrund mangelnder digitaler Infrastruktur vor Ort oder der individuellen technischen Ausstattung ausgeschlossen.

Kai Gehring fordert von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU), gemeinsam dafür zu sorgen, "dass während der Pandemie nicht nur Geschäftsreisende weiter ins Land kommen dürfen, sondern auch Studierende und Forschende – ohne, dass diese monatelang oder gar ganz vergeblich warten müssen."

Optimismus bei der Fulbright-Kommission

Für die Fulbright-Kommission verspricht Barbara Ischinger, die Geschäftsführerin von Fulbright Germany, unterdessen: Wer wegen Covid-19 das Fulbright-Stipendium 2020/21 nicht durchführen konnte, dürfe es auf 2021/22 verschieben. "Wegen der Pandemie soll kein Fulbright-Austausch verloren gehen", erklärte Ischinger am Donnerstag.

Aktuelle Zahlen böten Anlass zu Optimismus: 2020/21 könnten insgesamt 80 US-Nachwuchstalente in Deutschland gefördert werden (von denen viele auch schon im Land seien) - und 64 deutsche Fulbrighter in den USA. Steigende Bewerbungszahlen versprächen zudem "einen neuen Aufschwung bereits Ende dieses Jahres".

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